rbb-Recherche - Hilfesuchende warten monatelang auf Termin bei einem Psychotherapeuten

So 09.01.22 | 12:41 Uhr
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Symbolbild: Ein Mann sitzt bei einer Psychotherapeutin auf der Couch. (Quelle: imago images/Cavan)
Video: rbb|24 | 12.01.2022 | Material: Super.Markt | Bild: imago images/Cavan

Während der Corona-Pandemie ist die Zahl der Anfragen für eine psychotherapeutische Behandlung in Deutschland um 40 Prozent gestiegen. Ein großer Teil der Hilfesuchenden wartet bereits mehr als sechs Monate auf eine Behandlung. Das zeigen Recherchen des Verbrauchermagazins Super.Markt vom rbb.

"Sowohl die Pandemie selbst als auch die Maßnahmen zur Eingrenzung der Pandemie waren für viele Menschen sehr belastend. Wir beobachten eine Zunahme von Depressionen und auch von Angsterkrankungen", konkretisierte der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, Dietrich Munz.

Hilfesuchende müssen lange warten

Die Zahl der Therapieplätze hat sich allerdings nicht entsprechend dem gestiegenen Bedarf erhöht. Hilfesuchende müssen derzeit besonders lange auf eine Behandlung warten. Untersuchungen zeigen: Zwischen 2020 und 2021 konnten nur zehn Prozent der Anfragenden innerhalb eines Monats einen Behandlungsplatz erhalten. Knapp 40 Prozent mussten sogar länger als sechs Monate warten.

Die Anzahl der Kassensitze von Therapeutinnen und Therapeuten beruht immer noch auf Bedarfsplanungen von 1999 - laut Munz kamen seitdem deutschlandweit nur einige Hundert Sitze dazu. "Im Vergleich zu dem erforderlichen Bedarf von mehr als 3.000 Sitzen ist das natürlich nicht ausreichend und führt nur zu einer minimalen Verbesserung der Versorgung", so Munz.

Auf Super.Markt-Nachfrage schrieb der Gemeinsame Bundesausschuss, der die Richtlinien für die medizinische Betreuung festlegt, dass viele Kassensitze nicht zu 100 Prozent für die Patientenversorgung genutzt würden, da "ein Viertel der psychotherapeutischen Praxen 20 oder weniger Patienteninnen und Patienten im Jahr versorgen, und fast die Hälfte 30 oder weniger." Gründe dafür sind oft Nebentätigkeiten der Therapeuten zum Beispiel als Gutachter.

Selbsthilfegruppen und Apps zur Überbrückung

Mehr Therapieplätze wird es erst einmal also nicht geben. Doch es gibt ein paar Tipps, wie Betroffene schneller Hilfe finden. Dietrich Munz empfiehlt Selbsthilfegruppen und auch Apps zur Überbrückung. Die Kosten für bestimmte geprüfte Apps übernehmen die Krankenkassen.

"Apps können hilfreich sein, aber sollten immer erst angewandt werden, wenn man mit einem Psychotherapeuten oder einer Therapeutin in Kontakt war und das besprochen hat", so Munz. Etwa in einem Erstgespräch, das über die Termin-Service-Stelle der Kassenärztlichen Vereinigung vereinbart werden kann. Sie ist verpflichtet, einen Termin innerhalb von vier Wochen zu vermitteln.

Auch mehr Kinder und Jugendliche in Berhandlung

In Berlin kommen seit Beginn der Corona-Pandemie auch deutlich mehr Kinder und Jugendliche zur Behandlung in psychiatrische Kliniken. Das hat eine Sonderauswertung der Krankenkasse DAK ergeben. Die Zahlen beruhen auf anonymisierten Daten von rund 38.000 Berliner Kindern und Jugendlichen.

Im ersten Halbjahr 2019 wurden demnach 22 junge Leute bis 17 Jahre wegen depressiver Episoden in Klinik-Psychiatrien behandelt. In den ersten sechs Monaten 2020 waren es 39. Das scheint nicht viel, allerdings kamen 2020 in diesem Zeitraum nur 928 über die DAK versicherte Berliner Kinder und Teenager überhaupt stationär in eine Klinik. Die Krankenkasse spricht von einer besorgniserregenden Entwicklung. Aktuellere Zahlen liegen nicht vor.

Sendung: SUPER.MARKT, 10.01.2022, 20:15 Uhr

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19 Kommentare

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  1. 19.

    Die Angaben zum Thema Wartezeit im Text. Angegebenen Durchschnitt 6 Monate sind aber witzig. Ich habe alle Register gezogen, Selbst mit Hilfe der KK, meiner Internistin und dem Arbeitsamtes, habe ich erst nach fast 2 Jahre überhaupt einen Therapieplatz gefunden. Suchradius Potsdam und im Potsdamer Umland d. H. 30 km je Strecke. Soviel dazu! Laut G- KV bin ich da keine Ausnahme sondern eine von sehr vielen. Leider haben diese 2 Jahre ohne feste Hilfe deutliche Spuren hinterlassen. Mein Sohn wird paliativ behandelt. Da ist eine dauerhafte Psychologische Behandlung das a und o. Endresultat vom Lied seit über einem Jahr Burnout, mittelschwere Depression und Anpassungsstörung...immermehr körperliche Probleme

  2. 18.

    So ist es wohl! Viele Patienten brauchen zeitnah Hilfe, das ist dann nicht zu machen. Mein Bruder,selbst Arzt bemängelt das Problem schon seit längerem!

  3. 17.

    Also, ich warte seit April 2021 auf einen Termin, Schwerpunkt Traumapsyschologie.
    Schade das man so lange warten muss.

  4. 16.

    Ich fordere keine erfolgsorientierte Bezahlung. Ich fordere ein Umdenken in den Therapieansätzen, so dass es künftig NICHT mehr schon als Qualitätsmerkmal gilt, wenn jemand mglst lange in Therapie bleibt. - Als ich mich damals völlig kaputt fühlte und in eine kassenzugelassene tiefenpsychologische Praxis ging, war die ALLERERSTE (!!) Frage, die der "Therapeut" mir stellte: "Wollen Sie die nächsten zwei Jahre zwei Mal die Woche kommen oder die nächsten anderthalb Jahre drei Mal die Woche?". Im Freundes- und Bekanntenkreis höre ich immer wieder von Therapien, die Jahre (!) um den heißen Brei kreisen und erlebe, wie die Leute sich für 60 EUR die Stunde oder mehr allenfalls in Tippelschrittchen weiterentwickeln. So als ob jemand mit einem gebrochenen Fuß zwecks Heilung in einem Zimmer sitzt und allein mit dem Arzt oder einer Gruppe Woche um Woche überlegt, was denn da los sein könnte.

  5. 15.

    Das Problem ist aber so alt wie der Wald und keineswegs neu in der Pandemie. Lediglich - wie so vieles - dadurch noch dramatisiert. Überhaupt funktioniert doch - wenn man mal ehrlich ist - unser Gesundheitssystem seit Jahren mehr recht als schlecht. Man hat auch vor der Pandemie keine zeitnahen Facharzttermine bekommen und landete dann im Zweifel in Praxen mit unfreundlichen Schwestern und lustlosen Ärzten. Wenn ich immer höre, unser Gesundheitssystem sei eines der besten der Welt, frage ich mich schon lange, was das für den Rest der Welt für ein Drama bedeutet. Die Devise lautet doch schon lange, dass man in diesem Land alles werden darf, nur nicht krank.

  6. 14.

    Erfolg ist nicht leicht zu messen, und Patentverfahren, die zum Erfolg führen, haben wir auch noch nicht entdeckt. Ein ziemlich schwieriger Vorschlag von Ihnen also.

  7. 13.

    "Psychotherapie muss ganz klar erfolgsorientierter werden; also Menschen mit Problemen SCHNELLER ein gutes Leben ermöglichen"

    Sie sprechen ein sehr komplexes Thema an und Ihr Erfolgsrezept kann Ihnen auf die Füße fallen. Die Einführung erfolgsorientierter Vergütung in der Medizin ist nur scheinbar eine gute Lösung. Würden Sie diese einführen, werden sich keine Ärzte finden, die bereit wären schwer erkrankte und mit Todesrisiko verbundene Krankheitsbilder zu behandeln. Der ideale Patient wäre ein fast gesunder. Dies betrifft auch Psychotherapeuten: je gravierender die Störung, desto weniger Chancen auf schnelle Erfolge. Also am besten Finger weglassen.
    Es ist ein ewiges Dilemma der Medizin: die schnelle Heilung bringt den Heilenden um seine Einnahmequelle. Nun haben wir ein Gesundheitssystem, der wie der Rest wirtschaften soll: gewinnorientiert und umsatzsteigend. Die Folgen sehen wir.

  8. 12.

    Was viele nicht wissen: Es gibt eine Menge Ressourcen in der Psychotherapielandschaft, Privatpraxen, die nur mit Privatversicherten abrechnen dürfen. Gesetzlich Versicherte müssen abgewiesen werden oder sich auf ein demütigendes und anstrengendes Procedere zur Erlangung einer Kostenerstattung durch ihre Versicherung einstellen - oft mit ungewissem Ausgang. Sie müssen - selbst arg belastet - ein Systemversagen nachweisen, obwohl es längst offenkundig ist. Wie man es hier auch lesen kann.

  9. 11.

    Ein Hauptteil des Problems ist in sehr vielen Fällen der geringe Nutzen bei langer Dauer: Leute werden ewig in Einzel- oder Gruppentherapien gesteckt und machen kaum Fortschritte - eben klassische Psychotherapie. Ich hatte vor Jahren, ausgelöst durch eine Trennung, eine schwere Selbstwertkrise. Deren Ursachen lagen in der Kindheit - was, abgesehen von späteren Traumata, ja eigentlich der Standard ist. In den klassischen Therapien wird dennoch Monate bis Jahre abgewartet, dass die Patient*n da selbst drauf kommen. Und dann nochmal Monate bis Jahre, bis sie dafür eine Lösung finden. Manchen gelingt beides nicht. Für Therapeut*n eine bleibende Einnahmequelle; ein Freund von mir OHNE Traumata blieb 7 Jahre. - Psychotherapie muss ganz klar erfolgsorientierter werden; also Menschen mit Problemen SCHNELLER ein gutes Leben ermöglichen: Natürlich erstmal wegen der Betroffenen selbst - aber eben auch wegen all jener, die so dringend auf eine* professionelle* Ansprechpartner* warten.

  10. 10.

    Leider! Diese angebliche Überversorgung gibt es aber leider schon seit Jahren. Schon vor über einem Jahrzehnt wurde dies thematisiert, geändert hat sich gar nichts.

  11. 9.

    "Aber diese Entscheidung liegt bei den Krankenkassen und der Politik, nicht bei der Psychotherapeutenkammer."
    Also Politik? Möchten Sie damit andeuten, dass für etwaige Missstände diejenigen verantwortlich sind, die diese mit verursacht haben?
    Die vergangenen zwei Jahre war die Zeit in der seitens der Politik extrem selten den sich anbahnenden Problemen mit Zuversicht und Appellen an gesellschaftlichen Zusammenhalt begegnet wurde. Wichtiger war es den aktuellen Sündenbock ausfindig zu machen und das seitens der regierenden als notwendig betrachtete Angstniveau aufrecht zu erhalten. Die daraus resultierende Stigmatisierung immer neuen Gruppen hat die Zahl der ohnehin in permanenter Angstpsychose ausharrenden nur vergrößert, Nun haben wir den Salat. Das Virus alleine hat keinen traumatisiert. Der Umgang mit der Bedrohung war es.

  12. 8.

    Die Kassenärztliche Vereinigung hat für Berlin eine Überversorgung im Bereich der Psychotherapeutischen Praxen definiert. Das hat zur Folge, dass die Anzahl der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten begrenzt wird. Kassenzulassungen werden inzwischen für Preise um die 80.000 Euro verkauft, obwohl die Zulassung nicht eigentumsfähig und damit auch nicht verkäuflich ist, denn sie wird - vereinfacht gesprochen- vom Staat kostenlos vergeben. Dieses System wird unter anderem von der KV gestützt. Klingt komisch, ist aber so.

  13. 7.

    Die Schwierigkeit, ähnlich wie beim Beantragen einer medizinischen Reha, besteht für Notleidende vor allem darin, dass man sich üblicherweise bereits in einer Krise befindet und gar nicht mehr die Energie hat, Zig bis Hunderte Nummern durchzutelefonieren bzw. Anträge auszufüllen, um einen freien Termin zu ergattern.

    Sehr hilfreich finde ich hierbei die Website
    https://eterminservice.de/terminservice
    Dort werden lediglich Therapeut/innen aufgelistet, die momentan auch freie Kapazitäten haben.

  14. 6.

    Kleine Korrektur. Die Vergabe der Kassensitze liegt in den Händen der Kassenärztlichen Vereinigung. Dass diese die Zulassungen begrenzen ist vor allem auch im Interesse der Krankenkasse. Es gibt übrigens genug Therapeut_Innen, nur eben nicht mit der Berechtigung über die GKV abzurechnen. Das zeigen auch die Bewerberzahlen bei der Vergabe neuer Kassensitze. Ich würde mir auch wünschen, es würden schneller noch mehr Therapeut_Innen zugelassen. Aber diese Entscheidung liegt bei den Krankenkassen und der Politik, nicht bei der Psychotherapeutenkammer.

  15. 5.

    Ja viel zu wenige.......gute Therapeuten, denn es gibt viele die sehr fragwürdig sind und sich auch noch mit Bezeichnungen......Trauma.... auf ihren Seiten präsentieren und dann geht man retraumatisiert wieder raus und wird den Scheiß überhaupt nicht mehr los und am Ende steht man wieder alleine da. Ich spreche aus eigener Erfahrung und die Therapeuten praktiziert fleißig weiter. Das muss geändert werden.

  16. 3.

    Danke für deinen Betrag so geht es mir ich wurde jetzt berentet ohne eine Therapie bekommen zu haben und die Folgen sind fatal für mich. Ich leben am Existenzminimum und verstehe die Welt nicht mehr, ich war Sachbearbeiter und nun ein bin ich ein Sozialfall ohne Perspektive.

  17. 2.

    Vielen Dank für ihren Kommentar! So sieht leider die Wirklichkeit aus. Selbst wenn man das Glück hat, einem erfahrenen Arzt gegenüber zu sitzen, die Hilfe die man wirklich braucht, um Fuß zu fassen, bekommt man sowieso nicht. Entweder ist die Zeit zu kurz, oft reichen auch die finanziellen Kosten der Krankenkassen nicht aus. Es ist ein Dilemma.

  18. 1.

    Noch schlimmer ist der Therapeuten Mangel seit Jahren! im Bereich Trauma Therapie. Die Psychotherapeutenkammer hält den Daumen auf die Kassenzulassungen, die horrende Summen kosten.
    Mit welchem Recht hat eine Kammer diese Macht?????
    Wissen ist Macht.
    Das brauchen alle!!!!!!!!
    Nicht nur eine elitäre Gruppe von Therapeuten.
    Jede/-r muss sich selbst so gut es geht weiterbilden.
    Hat man etwas Geld zur Verfügung geht das noch aber was
    machen die, denen es finanziell nicht so gut geht???.
    Die Gesellschaft besteht zu einem erheblichen Anteil aus Menschen, die mit Entwicklungstraumata und/oder Schocktraumata leben müssen. Die Folgekosten, da die Betroffenen erstmal völlig aufgeschmissen mit ihren Symptomen klar kommen müssen, sind immens. Und das Gruselige dabei ist, dass es zum Glück genügend Wissen und Erfahrungen mit Traumafolgestöungen gibt aber VIEL ZU WENIG THERAPEUTEN!
    Also quälen sich viele Jahr für Jahr, Tag für Tag durch ihren Alltag.
    Manche halten das nicht aus.

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