Kinder- und Jugendhilfe in Berlin - Ohne corona-positive Mitarbeitende geht es nicht mehr

Mi 02.02.22 | 06:15 Uhr | Von Konrad Spremberg
  30
Eine Betreuerin der Kinderhilfe KileLe hat ein kleines Kind auf dem Schoß. (Quelle: rbb)
Video: Abendschau | 31.01.2022 | Tom Garus | Bild: rbb

Kitas und Schulen haben zu kämpfen, aber sind präsent in der Corona-Politik. Die stationäre Kinder- und Jugendhilfe hingegen fühlt sich übersehen. Dabei seien Geld und Personal schon vor der Pandemie knapp gewesen. Von Konrad Spremberg

Corona-positiv zur Arbeit kommen, irgendwann, in absoluten Notfällen? "Das machen wir schon seit Wochen so." Silke Bishop kann zu dem, was Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey für das Gesundheitssystem vorschlägt, nur die Schultern zucken.

Die Geschäftsführerin von "Kinder lernen Leben" (KileLe), einem gemeinnützigen Träger der Kinder und Jugendhilfe in Berlin, möchte ihren Schützlingen ein Stück Alltag ermöglichen. Da war der Coronatest der Betreuenden schon mehrmals zweitrangig. "Ein ständiger Konflikt zwischen Arbeitsrecht, Corona-Auflagen und Kindeswohl", sagt Silke Bishop. Anders ginge es nicht.

Die Erschöpfung wächst, die Rücklagen schrumpfen

Müssen die jungen Klient:innen bei KileLe in Quarantäne oder Isolation, kann Silke Bishops Team sie nicht einfach nach Hause schicken. Denn ihr Zuhause, das ist hier, in einem der 20 Wohnprojekte des Trägers. Personal und Geld waren schon vor der Pandemie knapp. Seit Corona wächst die Erschöpfung, während die Rücklagen schrumpfen.

Darum hat Silke Bishop dem rbb geschrieben: Sie und ihre Mitstreiter:innen fühlten sich politisch völlig vergessen. Es ist nicht ihr erster Brief dieser Art. Vor elf Monaten schrieb sie gemeinsam mit anderen freien Trägern aus Marzahn-Hellersdorf an die Politik. Sie hakten nach, versuchten es auch über Parteibüros: keine Antwort. Weder vom Bundesfamilienministerium, damals noch unter Franziska Giffey, noch von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie kam irgendetwas zurück.

Zu wenig Aufmerksamkeit, zu wenig Geld

Die Briefe handeln von zwei ganz unterschiedlichen Wünschen: nach Aufmerksamkeit und nach handfester Unterstützung. Während die Probleme der Kitas und Schulen in der Pandemie viel diskutiert würden, bliebe die Kinder- und Jugendhilfe unter dem Radar. Die Lebensgeschichten der jungen Menschen, oft geprägt von schweren psychischen Erkrankungen, Missbrauch oder Sucht zuhause, machten das Ringen um Aufmerksamkeit nicht einfacher.

Leichter zu erfüllen wären die handfesten Corona-Bedürfnisse in der täglichen Betreuungsarbeit – gäbe es denn mehr Unterstützung. Das fängt beim Personal an: Müssen einzelne Kinder in Quarantäne, fällt die Schule aus oder erkranken Kolleg:innen, kostet das Überstunden. Die zuständige Senatsverwaltung verweist nach rbb-Anfrage auf Unterstützungsmöglichkeiten durch mobile Lernhilfe-Teams, mehrere Betreiber:innen haben das Angebot schon dankend angenommen. Die Teams können zumindest gesunde Schulkinder einige Stunden lang unterstützen. Allerdings: Nicht alle Kinder lassen unbekannte Erwachsene überhaupt in ihren Alltag.

Corona-Prämien aus der eigenen Kasse

Für zusätzliche Stellen fehlen das Geld oder die Bewerbungen – oder beides. Die Einrichtungen der stationären Kinder- und Jugendhilfe werden je belegtem Platz finanziert. Die Bezahlung ist ohnehin schlechter als im Öffentlichen Dienst. Corona senkt die Einkünfte der Einrichtungen dann zusätzlich, wenn betreute Jugendliche mit Covid-19 isoliert werden müssen und eine Vollbelegung der Wohnräume nicht mehr möglich ist. Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie schreibt, sie würde auf Antrag Räume finanzieren, die extra für die Quarantäne angemietet werden. Zum Auffangen der kurzfristigen Engpässe reicht das oft nicht aus, zumal Räume im akuten Krisenfall noch gesucht, ausgerüstet und betreut werden müssen – für KileLe ist das personell nicht mehr zu leisten.

So bleibt den Beschäftigten nur, Verwaltungs- und Betreuungsarbeit zu jonglieren, während die Träger ihre Angestellten unbedingt bei sich zu behalten versuchen. Dafür hätte sich Silke Bishop besondere Unterstützung vom Staat gewünscht: Gefahrenzulagen oder Corona-Prämien, wie sie andere Berufsgruppen bekommen haben. Weil es die nicht gab, zahlte KileLe Prämien aus den eigenen Rücklagen und leistet sich noch immer Zuschläge für Mitarbeitende, die direkt mit akuten Corona-Fällen arbeiten. "Die Kolleg:innen verstehen nicht, dass alle möglichen Bereiche Rettungsschirme und Zuschüsse bekommen haben, während für uns nicht mal geklatscht wurde."

Keine Anerkennung, kein Dankeschön

Der Senat bereitet inzwischen eine Art Corona-Bonus für die Kinder- und Jugendhilfe vor: einmalig 200 Euro pro Platz in den stationären Einrichtungen, "zur Stabilisierung des Personaleinsatzes". Das macht für KileLe etwa 38.000 Euro Einmalzahlung. "Eine nette Geste", so Bishop. Demgegenüber: 110.000 Euro Extraausgaben allein im ersten Pandemie-Jahr, nur für Überstunden und Schutzausrüstung.

Silke Bishop hätte sich mehr und frühere Kompensation gewünscht. "Es kann nicht sein, dass wir das ganze Corona-Krisenmanagement als selbstverständliche, kostenfreie Leistung anbieten, ohne dafür irgendeine Art von Anerkennung oder Dankeschön zu bekommen." Ähnliches äußern auch andere Träger im Gespräch mit dem rbb. Mehrere betonen aber gleichzeitig die großen Mühen der zuständigen Senatsstellen: "Die tun, was sie können – mit begrenzten Mitteln."

"Systemrelevant? Die Kinder- und Jugendhilfe scheint es nicht zu sein"

Auch Romina Gravina ist die Erschöpfung anzuhören. "Systemrelevant? Die Kinder- und Jugendhilfe scheint es nicht zu sein." Gravina arbeitet in leitender Position beim freien Träger abw Berlin. Dass sich etwas verändert, merken ihr zufolge inzwischen auch die Jüngsten. Auf einmal hätten sie manchmal Angst um ihre Betreuer:innen, wegen Corona: "Unsere Kids musste sich früher keine Sorgen um uns machen", sagt Gravina.

Romina Gravina glaubt aber, dass die größte Herausforderung erst noch kommt – nach der Pandemie. Aktuell gingen Jahre der pubertären Entwicklung verloren. Die Jugendlichen müssten einfach nur funktionieren, während eigentlich ganz andere Dinge dran wären. Daraus entstehe künftig Unterstützungsbedarf bei noch mehr jungen Menschen als bisher. "Es wird eine Explosion in der Kinder- und Jugendhilfe geben", sagt Gravina.

Umso wichtiger ist es, dass die Hilfseinrichtungen dann noch funktionieren.

Sendung: Abendschau, 31.01.2022, 19:30 Uhr

Was Sie jetzt wissen müssen

Beitrag von Konrad Spremberg

30 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 30.

    "Wenn Sie mich danach fragen, was das Gesundheitsamt des Landkreises Bautzen machen wird, dann werden wir unseren Mitarbeitern in der Pflege und im medizinischen Bereich kein Berufsverbot, kein Betretungsverbot erteilen." sagte Vize-Landrat Udo Witschas. Jetzt ist die Aufregung groß, doch eigentlich hat Witschas nur an die Realität erinnert.
    Lauterbach müsse wissen, dass die Versorgung von bis zu 200.000 Pflegebedürftigen und Kranken in Gefahr sei. Sagte der Vorstand der Stiftung Patientenschutz.

  2. 29.

    Da habe ich mal eine Frage: Wie verhält es sich denn mit den beitragsfreien Kitas, mit dem Kindergeld usw.? Nun tragen die älteren Menschen Ihrer Ansicht auch noch zur Vernachlässigung bei der Betreuung der Kinder bei? Wenn es bei der Sanierung der Schulen, der Betreuung der Kinder/ Jugendlichen nicht voran geht, sollten Sie sich an die zuständigen Stellen im Senat wenden. Da können Sie sich gerne erkundigen, warum das sehr schleppend oder gar nicht vorangeht. Aber lassen Sie bitte die Schuldzuweisungen an eine ganz bestimmte Altersgruppe. Denn alleine schon Ihre Annahme, dass eine Generation den Kontakt zu ihren Kindern scheut ist wohl mehr als fragwürdig.

  3. 28.

    "vernachlässigt" werden sie vorher an anderer Stelle, da hat die Politik wohl wenig Einfluss!
    Aber ja, es ist traurig, dass sich hier nicht mehr bewegt

  4. 27.

    So ein Unsinn was sie da schreiben. Es geht um die Anerkennung der dort arbeitenden! Und da ist nichts, absolut nichts zu erkennen. Nur hohle Phrasen. Und große Auftritte vo r der Presse, so gesehen wo Fr.Giffey noch Familienministerin war und das Mehrgenerationenhaus in Frankfurt/Oder besucht hat. Dafür durfte das Personal vorher noch das Haus aufräumen und den Garten in Ordnung bringen....

  5. 26.

    Hauptsache der Flughafen wird unterstützt und unsere Politiker bekommen mehr Geld. Da können wir zumindest etwas anfangen einzusparen, die haben am wenigsten gelitten oder lassen sich vorherige Verluste vergolden.
    Kinder sind wichtiger.

  6. 25.

    Hier zeigt sich wieder: Tierschutz und Klimaschutz haben in Deutschlad viel höheren Stellenwert als Kinder- und Jugendschutz, bei den letzteren wird auf die Gesetzgebung vetraut, und nicht auf mit Kosten verbundene Aufsicht und praktische Arbeit.
    Als wenn die Gesetze weitgehend ausreichen würden, es zum besten der Kinder und Jugendlichen zu richten.

  7. 24.

    Mit Sicherheit. Daher ja auch mein Angriff auf Christophs polemische Äußerung, Corona mit einem Schnupfen gleichzusetzen. Das ist schlicht eine Verharmlosung.
    PS: Ich hatte ich verschrieben. Natürlich sollte es heißen "wären womöglich infiziert".

  8. 23.

    @rbb Danke für diesen Bericht. Gern mehr über insbesondere die präkeren Situationen von Kindern berichten. Wir sind noch so weit weg von der Realisierung der Kinderrechte :(
    Stimmt es wirklich, dass aus den unterbesetzten Jugendämtern, die für das Kindeswohl insbesondere für Kinder in prekären Lagen zuständig sind, Mitarbeiter*innen in die Gesundheitsämter abgezogen wurden? Wenn, wäre das meines Erachtens ein Skandal.

  9. 22.

    Ich gehe davon aus, dass auch dieser Arbeitgeber seine Angestellten nur zur Arbeit kommen lässt, wenn sie die derzeit geltenden Vorschriften erfüllen. Daher geht von getestete Personen keine große Gefahr einer Ansteckung aus. Mit den nicht zur Testung verpflichteten Mitarbeitern sieht es dann schon anders aus - oder nicht?

  10. 21.

    Was soll denn die Frage? Es ist egal ob ich rot, braun, gelb oder weiß bin. Ebenso ist es egal wer welches G trägt. Hilfe ist Hilfe!

  11. 20.

    Dafür werden aber z.B. private gemeinnützige Schulen und Kitas, die Gewinne machen, die weit über die Fördermittel hinaus gehen, mit fetten Fördergeldern bestückt.
    Solange es nicht die Unterscheidung gibt, wer die Fördermittel tatsächlich benötigt oder sie nicht einfach nur bekommt, weil er gemeinnützig ist, wird sich der finanzielle Notstand einiger Einrichtungen auch nicht ändern.
    Ich weiß, dass die Vorstände teilweise unglaublich viel administrativen Aufwand betreiben müssen, um die Zuschüsse zu rechtfertigen. Umso weniger verstehe ich die ungleiche Förderung.

  12. 19.

    Und wieder einmal zeigt sich, dass die Kinder in der Pandemie vergessen werden...tragen ja auch nicht zur Wirtschaft bei.

  13. 18.

    Stellen Sie sich vor, Sie hätten beruflich Umgang mit Kindern, waren womöglich infiziert, würden trotzdem arbeiten gehen, mindestens ein Kind anstecken und das hätte dann für das Kind oder die Kinder schlimme gesundheitliche Folgen.
    Was sagen Sie dann seinen Eltern?

  14. 17.

    Danke, das auch mal ein Bericht aus diesem wichtigen Bereich kommt. Habe selbst 20 Jahre in der stationären Jugendhilfe gearbeitet, als diese noch in öffentlicher Hand war. Seitdem wurden die Finanzen in diesem Bereich so gekürzt, dass es bestimmt immer schwieriger wurde. Wünsche den Kollegen viel Kraft zum Durchhalten und den Kids viel und mehr Glück im weiteren Leben. Würde mir von SenBJF mehr Unterstützung, wenigstens in finanzieller Art wünschen.

  15. 16.

    Wie hoch ist der Abteil 3fach Geimpfter bei diesem Träger?

  16. 15.

    Wie helfen denn die "Kinderrechte ins
    Grundgesetz" Parteien ?
    Womit helfen unsere Familienpolitiker ?
    Landeselternrat ?
    Ach, ne, für fremde Kinder nicht zuständig.
    Das Personal vom Jugendamt, dass bisher
    die Gesundheitsämter im Homeoffice
    unterstützt hat, wird ja nun wieder frei.
    Wenn Mehrleistungen und Urlaub
    abgefeuert und zuende sind.

  17. 14.

    Stimmt die Überschrift?
    Müsste es nicht eher heißen "Ohne Eltern geht es selten"?
    Denn ist es nicht so, dass Lehrer und Jugendhelfer oft nur auszubügeln versuchen, was überforderte oder ignorante Kinderproduzenten versäumen?
    Ich habe oft den Eindruck, dass viele Menschen Nachwuchs verursachen, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, ob sie überhaupt als Eltern geeignet sind.
    Doch Kids sind keine Luxusgüter, die man bei nachlassendem Interesse irgendwo abgeben kann.
    Sie eignen sich auch nicht als Kitt für auseinanderbrechende Beziehungen oder als Ersatz für abwesende Partner.
    Jedes Kind sollten in eine Familie hineingeboren werden, die es auch haben will und aufziehen kann.

  18. 13.

    Der Klassiker. Es ist nicht nachvollziehbar, wie hier mit den Menschen, sowohl groß als auch klein, umgegangen wird. Wenn ich dann die Auftritte von Fr. Giffey mit ihrer Ach so herzerwärmenden Ausstrahlung sehe, wird mir schlecht. Alles leere Worte. Wir werden uns in den einzelnen Bereichen noch wundern und die Auswüchse dessen werden den Staat immense Summen kosten. Es ist seit 20 Jahren ein Sparen auf Kosten der schwächsten. Danke, Frau Merkel. Und Hut ab vor den berichtenden Einrichtungen!!

  19. 12.

    Ich bin nicht nur traurig... In erster Linie bin ich wütend über so viel Ignoranz gegenüber Kindern und Jugendlichen, die in ihrem bisherigen Leben schon soviel erlebt und durchgemacht haben! Überall werden Gelder rein gepumpt; für die Kinder- und Jugendhilfe reicht es nicht????? Kinder sind unsere Zukunft. Kein Kind wird gefragt, ob es auf der Welt sein will! Meine Hochachtung dem Betreuungspersonal!

  20. 11.

    Ich bin immer wieder entsetzt darüber, wie in unserem reichen Land Kinder und Jugendliche von der Politik vernachlässigt werden. Das ist nicht nur menschlich erbärmlich, es ist auch ein ganz schlechter Plan für die Zukunft.

Nächster Artikel