#Wiegehtesuns? | Gesetzliche Altersvorsorge - "Wenn uns der Sozialstaat nicht absichern kann, hat er versagt"

Philipp H. ist Sounddesigner in Berlin-Friedrichshain. Viel verdient er nicht. Mit seinen beschränkten Mitteln zahlt er in eine private Rentenversicherung ein - und ist zugleich enttäuscht von der gesetzlichen Vorsorge. Ein Gesprächsprotokoll.
Zum Thema Altersarmut gibt heute einen rbb-Bürgertalk um 20:15 Uhr - im TV und Stream
In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, was sie gerade beschäftigt – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Philipp H. hat einen Bachelor-Abschluss in Sound-Technology an der Deutschen Pop Hochschule in Berlin gemacht und arbeitet seit einem Jahr als Vollzeit-Sounddesigner in Friedrichshain. Er glaubt nicht daran, dass die gesetzliche Rente mal seinen Lebensabend finanzieren wird. Deshalb hat sich Philipp für den Start einer privaten, fondsbasierten Rentenversicherung entschieden.
Ich bin enttäuscht darüber, dass uns der Staat in Sachen Vorsorge nicht mehr an die Hand nimmt. Ich bin enttäuscht darüber, dass ich erst über meinen Freundeskreis und meine Eltern erfahren muss, dass die Chance, in Altersarmut zu geraten sehr hoch ist, selbst wenn man sein Leben lang gearbeitet hat.
In der Schule haben wir so viel gelernt - und doch so wenig. Wie schließe ich einen vernünftigen Strom- oder Gasvertrag ab? Worauf muss ich achten? Was ist wichtig, wenn ich einen Arbeitsvertrag abschließe? Vollzeit, Teilzeit, geringfügig, selbstständig, Minijob… Alles Begriffe, die auf einen Millennial so einhageln bei den ersten Bewerbungsgesprächen, während man verlegen grinst und so tut, als hätte man eine Ahnung davon.
Genauso ist es mit der Rente. Woher soll ich wissen, wie lange ich lebe und was ich für das Alter brauche? Woher soll ich wissen, wieviel ich mal verdiene und ob das reicht? Woher soll ich wissen, dass die gesetzliche Rente nicht ausreichen wird? Meine Eltern haben mir zwar immer wieder gesagt: "Kind, bei uns reicht die Rente schon nicht, ihr werdet vermutlich gar keine mehr haben." Diese Ratschläge nimmt man mit, setzt sie aber nicht gleich in die Tat um.
Erst jetzt merke ich, dass ein paar Freunde von mir schon private Rentenversicherungen abschließen, so langsam in ETF-Fonds ["Exchange Traded Fund" - an der Börse gehandelter Fond, Anm.d.Red.], investieren oder sich andere Dinge einfallen lassen, um fürs Alter vorzusorgen. Da bin ich aufgewacht. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mir mit 27 schon Gedanken darüber machen muss. Aber es scheint ja Sinn zu ergeben. Einer meiner besten Kumpels macht diese Beratungen beruflich. Da ich selbst keine Ahnung von privater Rentenvorsorge habe und mich nicht vom nächstbesten Halsabschneider beraten lassen will, habe ich nun Leon an meiner Seite.
Er hat mir geraten, schon früh anzufangen. Leichter gesagt als getan. Zwei Jahre nach meinem Bachelor-Abschluss in Sound-Technology bin ich immer noch Geringverdiener. Als Sounddesigner verdient man halt nicht so viel am Anfang. Die kreative Branche generell wird bis auf die oberen zehn Prozent ziemlich räudig bezahlt. Mehr als ein Drittel meines Gehalts geht für die Miete drauf.
Nach all den Abzügen, den hohen Kosten zurzeit, und unter der Berücksichtigung meiner kleinen Lebensträume im Hier und Jetzt, kann ich monatlich gerade einmal 20 Euro in meine private Rentenversicherung einzahlen. Das wird niemals reichen. Und für die gesetzliche Rente soll ich am besten 40 Jahre lang Vollzeit arbeiten und die Hälfte abdrücken? Um dann festzustellen, dass es am Ende hinten und vorne nicht reicht? Nein, Mann!

Wie kann das sein?
Ich finde: Wenn der sogenannte Sozialstaat nicht so aufgebaut ist, dass er uns absichern kann, hat er versagt. Und wenn es immer noch keine bedingungslose Grundrente für alle gibt, gleichzeitig Hyper-Reiche immer noch nicht besteuert werden, hat der Staat noch krasser versagt. Wenn die Mieten so hoch sind, dass am Ende kaum noch etwas übrigbleibt, leben wir in einer asozialen Welt. Und wenn in der kreativen Branche weiter Hungerlöhne gezahlt werden, sind wir gezwungen, Jobs zu machen, die uns nicht gefallen und unglücklich machen.
Da muss ich nun mal leider der aus meiner Sicht asozialen Welt vertrauen, also den Kapitalmärkten. Denn die können meine Rente wahrscheinlich noch eher garantieren als irgendwelche Regierungen.
Gesprächsprotokoll: Lukas Kuite
Sendung: rbb24 Abendschau, 24.06.2023, 19.30 Uhr