#wiegehtesuns | Jongleur an Berliner Ampel - "Ich mache mir einfach jeden Tag einen schönen Tag"
Felipe ist eigentlich Investment-Banker und kommt aus Chile. In Berlin findet er keine Arbeit und jongliert nun mit Diabolo, Keulen und Bällen am Großen Stern. Eine Kunst, die jetzt sein Fulltime-Job ist. Ein Gesprächsprotokoll
In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Leben gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Felipe Valdenegro lebt mit seiner Familie in Berlin-Moabit. Vor etwa sechs Jahren zog der 39-Jährige, der in Chile als Investmentbanker arbeitete, in die Hauptstadt. Weil er anfangs keinen Job gefunden hatte, begann Felipe am Großen Stern zu jonglieren - und ist dabei geblieben. Wir treffen ihn während einer Pause am Seitenstreifen.
Mein Name ist Felipe Valdenegro und ich wohne seit fast sechs Jahren in Berlin. Ursprünglich stamme ich aus Chile und bin wegen meiner Frau nach Berlin gekommen.
In Berlin habe ich keinen Job gefunden, nichts hat geklappt. Am Großen Stern habe ich immer viele Leute jonglieren sehen. Weil ich als Kind in Chile bereits jonglierte hatte – fast jedes Kind hatte damals ein Diabolo [Anm. d. Red. Jongliergerät] – und viele Tricks konnte, habe ich mich gefragt, ob ich das nicht auch wieder machen könnte. Danach war alles Magie.
Ich habe eine Choreografie einstudiert, die ich mit jedem Mal verbessert habe. Zu Hause habe ich keine Zeit, zu üben, deshalb trainiere ich einfach hier, wenn ich meine Vorstellung mache. Meine Technik wird immer besser, da ich 300 Mal am Tag auftrete.
Ich komme immer sehr früh und stelle mich an eine Ampel mit viel Verkehr hier am Großen Stern. Mit fünf Spuren, das sind ca. 6.000 Autos pro Tag – habe ich mir errechnet (lacht). Und das ist einfach schön. Es gibt keine Regel, wenn kein anderer Künstler da ist, fängst du einfach an. Manchmal teile ich die Ampel mit Freunden oder anderen, die in der Stadt sind, um zu jonglieren.
Ich brauche eine rote Ampel, die mich liebt, die mir genug Zeit gibt, um meinen Auftritt zu machen. Und diese Ampel ist perfekt. Eine Ampelphase dauert manchmal 50 Sekunden oder eine Minute. Daher habe ich verschiedene Auftritte, mit Diabolo, Keulen und Bällen und ich weiß, wie lange jeder Auftritt dauert.
Es gibt sehr unterschiedliche Reaktionen. Manche Autofahrer schauen mich nicht an, weil sie vielleicht denken, dass ich unbedingt eine Spende brauche. Aber nein, ich tue das, weil ich Spaß daran habe, weil ich meine Kunst immer weiter trainiere, mein Körper wird stärker. Ich versuche, wie im Zirkus, eine professionelle Vorstellung zu machen. Aber manchmal sind die Leute ein bisschen sauer, schauen mich nicht an und wollen weiter. Aber ich kenne die Ampel auswendig und mache meinen Auftritt immer in der Zeit.
Ich bekomme aber oft auch ein Lächeln. Eine alte Dame ist zum Beispiel mal ausgestiegen, hat den Kofferraum aufgemacht, um mir aus ihrer Tasche eine Spende zu geben. Diese Kleinigkeiten machen mich sehr glücklich.
Ich will meinen Zuschauern einfach nur sagen: Genießt die Show. Sie ist kostenlos. Die Ampel ist ohne Künstler langweilig. Sie müssen nicht reagieren. Wenn Sie eine Spende geben wollen, ist das schön, aber wenn nicht, sollen sie die Zeit einfach genießen.
Das ist mittlerweile ein Fulltime-Job. Ich bin als freiberuflicher Künstler angemeldet, ich zahle meine Steuern, wie jede andere Person in Deutschland. Ich muss aber auch Disziplin haben. Montag ist mein Admin-Tag, sonst komme ich jeden Tag zwischen 8 und 10 Stunden und wenn ich keine Lust habe, komme ich trotzdem.
Wenn ich jongliere, ist das wie eine Mediation für mich. Die Bewegungen machen mich glücklich. Ich mache mir einfach jeden Tag einen schönen Tag.
Gesprächsprotokoll: Caroline Winkler