#wiegehtesuns | Jongleur an Berliner Ampel - "Ich mache mir einfach jeden Tag einen schönen Tag"

Mo. 21.04.25 | 13:50 Uhr
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Ein Ampeljongleur jongliert am 25. März 2025 am Großen Stern in Berlin-Charlottenburg. (Quelle: rbb24/Winkler)
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Video: rbb|24 | 30.03.2025 | Caroline Winkler, Naomi Donath | Bild: rbb24/Winkler

Felipe ist eigentlich Investment-Banker und kommt aus Chile. In Berlin findet er keine Arbeit und jongliert nun mit Diabolo, Keulen und Bällen am Großen Stern. Eine Kunst, die jetzt sein Fulltime-Job ist. Ein Gesprächsprotokoll

In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Leben gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Felipe Valdenegro lebt mit seiner Familie in Berlin-Moabit. Vor etwa sechs Jahren zog der 39-Jährige, der in Chile als Investmentbanker arbeitete, in die Hauptstadt. Weil er anfangs keinen Job gefunden hatte, begann Felipe am Großen Stern zu jonglieren - und ist dabei geblieben. Wir treffen ihn während einer Pause am Seitenstreifen.

Mein Name ist Felipe Valdenegro und ich wohne seit fast sechs Jahren in Berlin. Ursprünglich stamme ich aus Chile und bin wegen meiner Frau nach Berlin gekommen.

In Berlin habe ich keinen Job gefunden, nichts hat geklappt. Am Großen Stern habe ich immer viele Leute jonglieren sehen. Weil ich als Kind in Chile bereits jonglierte hatte – fast jedes Kind hatte damals ein Diabolo [Anm. d. Red. Jongliergerät] – und viele Tricks konnte, habe ich mich gefragt, ob ich das nicht auch wieder machen könnte. Danach war alles Magie.

Ich habe eine Choreografie einstudiert, die ich mit jedem Mal verbessert habe. Zu Hause habe ich keine Zeit, zu üben, deshalb trainiere ich einfach hier, wenn ich meine Vorstellung mache. Meine Technik wird immer besser, da ich 300 Mal am Tag auftrete.

Ich brauche eine rote Ampel, die mich liebt

Ich komme immer sehr früh und stelle mich an eine Ampel mit viel Verkehr hier am Großen Stern. Mit fünf Spuren, das sind ca. 6.000 Autos pro Tag – habe ich mir errechnet (lacht). Und das ist einfach schön. Es gibt keine Regel, wenn kein anderer Künstler da ist, fängst du einfach an. Manchmal teile ich die Ampel mit Freunden oder anderen, die in der Stadt sind, um zu jonglieren.

Ich brauche eine rote Ampel, die mich liebt, die mir genug Zeit gibt, um meinen Auftritt zu machen. Und diese Ampel ist perfekt. Eine Ampelphase dauert manchmal 50 Sekunden oder eine Minute. Daher habe ich verschiedene Auftritte, mit Diabolo, Keulen und Bällen und ich weiß, wie lange jeder Auftritt dauert.

Es gibt sehr unterschiedliche Reaktionen. Manche Autofahrer schauen mich nicht an, weil sie vielleicht denken, dass ich unbedingt eine Spende brauche. Aber nein, ich tue das, weil ich Spaß daran habe, weil ich meine Kunst immer weiter trainiere, mein Körper wird stärker. Ich versuche, wie im Zirkus, eine professionelle Vorstellung zu machen. Aber manchmal sind die Leute ein bisschen sauer, schauen mich nicht an und wollen weiter. Aber ich kenne die Ampel auswendig und mache meinen Auftritt immer in der Zeit.

Ich bekomme aber oft auch ein Lächeln. Eine alte Dame ist zum Beispiel mal ausgestiegen, hat den Kofferraum aufgemacht, um mir aus ihrer Tasche eine Spende zu geben. Diese Kleinigkeiten machen mich sehr glücklich.

Ich will meinen Zuschauern einfach nur sagen: Genießt die Show. Sie ist kostenlos. Die Ampel ist ohne Künstler langweilig. Sie müssen nicht reagieren. Wenn Sie eine Spende geben wollen, ist das schön, aber wenn nicht, sollen sie die Zeit einfach genießen.

Das ist mittlerweile ein Fulltime-Job. Ich bin als freiberuflicher Künstler angemeldet, ich zahle meine Steuern, wie jede andere Person in Deutschland. Ich muss aber auch Disziplin haben. Montag ist mein Admin-Tag, sonst komme ich jeden Tag zwischen 8 und 10 Stunden und wenn ich keine Lust habe, komme ich trotzdem.

Wenn ich jongliere, ist das wie eine Mediation für mich. Die Bewegungen machen mich glücklich. Ich mache mir einfach jeden Tag einen schönen Tag.

Kurz erklärt

Jongleure gelten laut der Polizei Berlin rechtlich als Fußgänger. Diese sollen die Straße auf dem kürzesten Weg überqueren. Da das nicht geschieht, könne von einem Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung ausgegangen werden, teilte die Behörde rbb|24 auf Anfrage mit. Aber: Da die Straßenkünstler und Jongleure in aller Regel sehr gezielt auf die Ampelphasen achten, bereits vor Schaltung der Ampel den Fußgängerüberweg wieder verlassen und keine Gefährdung oder Behinderung für andere Verkehrsteilnehmende darstellen, bieten die Darbietungen meist keinen Anlass für die Einleitung polizeilicher Maßnahmen und werden somit von der Polizei auch nicht bewertet.

Gesprächsprotokoll: Caroline Winkler

14 Kommentare

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  1. 14.

    Ach du meine Güte, man muß für sowas Steuern zahlen? Er sollte mit stilisierten Äpfeln jonglieren, dass reduziert die Steuerlast auf fast Null. Zahlt er Schenkungssteuer, oder Rotphasen-Steuer? Wenn er den Steuerbescheid bekommt, jongliert er dann vor dem zuständigen Finanzamt mit Formularen, oder mit Merz‘-Bierdeckeln? Lasst doch mal den Mann in Ruhe sein Leben leben, der sieht schon genug Rot an der Ampel.

  2. 13.

    In der tat ein sehr sympathischer Mann! An ihm könnten sich viele ein Beislpiel nehmen. Damit die miese Laune-Gesellschaft endlich aufhört.

  3. 12.

    „Jongleur:innen gelten laut der Polizei Berlin rechtlich als Fußgänger:innen“
    Das ist wohl so nicht richtig...Die Polizisten wollen verständigen und verwenden immer das richtige Deutsch!

  4. 11.

    Schön von Felipe zu erfahren, wer er ist und warum er es macht. Bin auch davon ausgegangen, daß er das wegen Geldnöten macht. Es ist eine Freude ihn am Großen Stern zu sehen, danke Felipe für die Freude, welches du immer mit deinen Künsten bewirkst!

  5. 10.

    Schön, dass auch die Polizei im Rahmen ihrer Möglichkeiten locker bleibt.

  6. 9.

    Ich habe ihn tatsächlich auch schon einmal auf einer Fahrradtour gesehen. Ich hielt ihn für einen Bettler,wurde aber eines Besseren belehrt. Er ist ein echter Künstler und eine Bereicherung.

  7. 8.

    In der tat ein sehr sympathischer Mann! An ihm könnten sich viele ein Beislpiel nehmen. Damit die miese Laune-Gesellschaft endlich aufhört.

  8. 7.

    Wenn er es nur aus Spaß an der Freude und nicht für Geld tut, warum dann nicht in einem Park anstatt auf einer vielbefahrenen Straße? So etwas verlogen es kann ich ja leiden.
    An der Autobahnauffahrt Tegel hampeln auch ständig irgendwelche "Akrobaten" herum um danach alle wartenden Autos abzuklappern . Natürlich auch nur aus Spaß.
    Kann man vom Bus aus wunderbar beobachten.
    Meiner Meinung nach hat so etwas auf der Straße nichts verloren und sollte verboten werden. Und zwar bevor etwas passiert.

  9. 6.

    Toll, diese Selbstlosigkeit. Das Leben einfach Leben

  10. 5.

    Danke, Felipe, für die geteilte Lebensfreude. Bitte infizieren Sie die ganze Stadt damit.

  11. 4.

    Freiwillige „Steuerehlichkeit“? Ha,ha!
    Hoffentlich spart er für‘s Alter und hat KV. Er spekuliert sicher an der Börse -
    mit seinen Kenntnissen und dem Ein-
    kommen!

  12. 3.

    6000 Autos - falls pro Fahrzeug nur €0,10 gegeben werden, sehr guter Tagesverdienst. Und alles ohne Kassenquittung, aber Steuererlichkeit setze ich voraus.

  13. 2.

    In der tat ein sehr sympathischer Mann! An ihm könnten sich viele ein Beislpiel nehmen. Damit die miese Laune-Gesellschaft endlich aufhört.

  14. 1.

    Sehr sympathisch. Aber ich sorge mich um seine Lungen, bei dieser Dreckluft ducrh die Autoabgase! Viel Glück und Gesundheit!!!

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