#Wiegehtesuns? | Familie mit chronischen Vorerkrankungen - "Ich möchte nicht riskieren, dass ich für meine Familie nicht mehr da bin"

Familie Balk aus Groß Kreutz lebt seit zwei Jahren extrem isoliert. Sie sind alle vorerkrankt. Das Ende vieler Corona-Maßnahmen macht ihnen große Sorgen, sie müssen sich jetzt noch mehr einschränken. Ein Gesprächsprotokoll.
In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, was sie gerade beschäftigt – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Olaf und Undine Balk wohnen mit ihren drei Kindern, die zwischen 11 und 15 Jahre alt sind, in Groß Kreutz (Potsdam-Mittelmark). Der Vater und zwei Kinder haben eine Blutkrankheit, die die Organe schädigt. Eine Corona-Infektion wäre für sie sehr gefährlich. Ihre Kinder sind seit zwei Jahren im Home-Schooling. Selbst Familienmitglieder treffen sie nur draußen mit Abstand und Maske. So geht es Olaf und Undine Balk:
Olaf Balk: Wir sind natürlich viel zuhause oder machen Ausflüge dahin, wo es nicht so voll wird. Für die Familie hat das einen engeren Zusammenhalt gebracht. Früher hat jeder seinen Sport gemacht, die Wochenenden waren zersplittert. Jetzt haben wir mehr Zeit gemeinsam und machen viel auf dem Grundstück oder in der Natur.
Natürlich würde ich mir wünschen, dass unsere Kinder wie wir früher aufwachsen. Rausgehen, sich frei bewegen, Sport machen. Das war früher unser Alltag, die anderen Eltern auf dem Sportplatz treffen. Wir waren eine eingeschworene Gemeinschaft und das fehlt uns sehr.
Es ist eine Abwägung. Ja, unsere Kinder verpassen einen Teil ihrer Kindheit und Jugend. Aber sie würden viel mehr verpassen, wenn sie aufgrund einer Infektion Schaden nehmen oder gar nicht mehr da sind. Ich möchte auch nicht riskieren, dass ich für meine Familie nicht mehr da bin.
Es ist sicherlich nicht die schönste Situation, aber die haben wir uns ja nicht ausgesucht. Wir waren vorher schon vorerkrankt und haben mit einer größeren Gefährdung gelebt. Ich bin bereit mich stark einzuschränken, bis das Risiko vertretbar ist. Bis es weitere Medikamente gibt, weiterentwickelte Impfstoffe oder bis die medizinische Versorgung nicht mehr überlastet ist und sich gut um uns kümmern kann, wenn es uns doch erwischt.
Es gab in Teilen der Gesellschaft Jubelschreie, dass der Freedom-Day kommt. Wir nennen ihn Free-Dumm-Day. In der jetzigen Phase bei den hohen Zahlen haben wir keinen Grund zu feiern. Wir müssen noch mehr gucken, in welche Situationen wir uns begeben. Bisher haben wir auch mal die Kinder bei uns im Dorf in den Supermarkt gehen lassen. Wenn die Masken wegfallen, machen wir das lieber nicht. Beim Einkaufen achten wir darauf, nicht zu den Stoßzeiten zu gehen, tragen FFP3-Masken und bestellen, wo es geht, online.
Was uns als Familie besonders belastet, ist nicht, dass alle freier leben, sondern dass wir weniger Möglichkeiten sehen, uns selbst schützen zu können. Ich würde mir wünschen, dass die Gesellschaft zeigt, was sie eigentlich mal war: solidarisch. Dass Wert darauf gelegt wird, allen eine Chance zu geben und dass sich Menschen deshalb freiwillig weiter an Maßnahmen halten. Ich glaube aber nicht daran.
Undine Balk: Ich mache mir Sorgen. Wir haben zwei Jahre versucht, uns und andere zu schützen. Wenigstens in Einrichtungen, wo viele Menschen sind, sollte die Maskenpflicht bestehen bleiben. Wir wissen: Masken schützen. Aber vor allem, wenn sie alle tragen.
Natürlich habe ich Verständnis für Menschen, die sich ihr Leben zurück wünschen. Ich möchte das auch. Ich würde gerne mal wieder zu Hertha gehen ins Stadion. Es fehlt mir total, mal wieder richtig schön zu singen und zu feiern - auch wenn's bei Hertha gerade nicht so viel zu feiern gibt. Aber wir können uns die Pandemie nicht wegwünschen, wir müssen aufeinander Rücksicht nehmen.
Mich hat das, was passiert ist, auch gestärkt oder kämpferisch gemacht. Die Pandemie hat so viele Ungerechtigkeiten gezeigt, dass ich das Gefühl habe: Ich werde das nicht akzeptieren, ich gebe noch lange nicht auf. Ich möchte, dass meine Kinder und auch andere geschützt werden.
Wir haben uns über Social Media Gleichgesinnte gesucht und überlegt, was wir machen können, damit man uns wahrnimmt. Briefe schreiben hilft nicht, deshalb mussten wir uns sichtbar machen. So sind wir von normalen Eltern zu Aktivisten für sichere Bildung und den Gesundheitsschutz unserer Kinder geworden.

Seit einem Jahr machen wir jeden Donnerstag eine Mahnwache für sichere Bildung vor dem Potsdamer Landtag. Ich hätte nie gedacht, wirklich nie, dass wir auf die Straße gehen müssen, um für die Gesundheit unserer Kinder zu kämpfen.
Im Moment ist es so, dass man kriminalisiert wird, wenn man sein Kind zuhause lässt. Es ist ein Spießrutenlauf, wenn eine Schulleitung entscheidet, dass dein Attest nicht gültig ist. Dann flattern Bußgeldbescheide rein oder das Jugendamt steht vor der Tür. Wir mussten klagen, damit die Präsenzpflicht für uns ausgesetzt wird. Da gab es Momente, wo wir richtig verzweifelt gewesen sind und an unsere Grenzen gestoßen sind, rechtlich und emotional.
Die Eigenverantwortung, an die jetzt appelliert wird, da fühlen wir uns als Risikogruppe wirklich allein gelassen. Man kann sich nicht alleine schützen in einer Pandemie, das geht nur als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Der beste Schutz für Risikohaushalte wären niedrige Inzidenzen.
Gesprächsprotokoll: Mona Ruzicka
Sendung: Brandenburg aktuell, 01.04.2022, 19:30 Uhr
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