#Wiegehtesuns? | Bundeswehr-Reservist - "Wir sind für alles da - nur nicht für den Verteidigungsfall"

Mo 21.03.22 | 08:23 Uhr | Von Sylvia Tiegs
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Bundeswehr-Reservist Jan Ludwig (Quelle: Sylvia Tiegs)
Audio: Inforadio | 21.03.2022 | Sylvia Tiegs | Bild: Sylvia Tiegs

Der Krieg in der Ukraine beschäftigt auch Jan Ludwig. Er ist Reservist der Bundeswehr. Zustand und Ansehen der Truppe treiben ihn besonders um - und die Sorge um einen Freund an der Nato-Grenze. Ein Gesprächsprotokoll.

In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, was sie gerade beschäftigt – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Jan Ludwig, 36, ist gebürtig aus Cottbus, aufgewachsen in Berlin. Nach Realschule und Grundwehrdienst verpflichtete er sich 2004 für acht Jahre als Zeitsoldat. Ludwig war am Standort Strausberg, auf der Luftverteidigungs-Fregatte “Hessen” und im Bundeswehr-Krankenhaus eingesetzt. Heute arbeitet Jan Ludwig als Disponent bei einem Krankentransportunternehmen. Er ist aktiver Reservist, um das Soldatenhandwerk nicht zu verlernen, wie er sagt. Und: weil die Bundeswehr “wie eine zweite Familie” für ihn ist.

Meinen besten Freund, der noch aktiver Soldat ist, hat es gerade richtig erwischt. Seine Einheit geht wahrscheinlich nach Litauen, die Nato-Grenze im Osten sichern. Das hat mich geschockt, da musste ich mit meinen Gefühlen kämpfen. Ich habe ihm versprochen, für seine Familie da zu sein. Er hat Frau und zwei Kinder. Die bleibt ja hier zurück.

Da spielt dann doch der Gedanke mit: Was passiert, wenn der Krieg sich ausweitet? Wie sind wir vorbereitet? In den letzten Jahren wurde bei der Bundesregierung viel gespart, gerade was Personal und Material angeht. Die Aussetzung der Wehrpflicht war für mich der schrecklichste Schritt, den man hätte machen können. Denn gerade auch durch den Wehrdienst hat die Bundewehr Soldaten bekommen. Mich eingeschlossen.

Auch was in den letzten Jahren an Material gespart wurde, ist grauenhaft. Wir haben selbst im Bundeswehr-Krankenhaus mit Materialien aus der Wendezeit gearbeitet. Erst 2010 haben wir dann umgerüstet.

Das ist schon erschreckend. Und man sieht ja auch jetzt, dass viele Sachen nicht einsatzbereit sind. Zum Beispiel die Tornados, die teilweise am Boden stehen, weil keine Ersatzteile da sind. Oder das Sturmgewehr G36, was angeblich um die Ecke schießt. Die Liste könnte noch länger werden.

Mein Eindruck ist: Viele Deutsche haben all die Jahre nach der Wende gedacht, in Europa herrscht Frieden, es kann nichts mehr passieren. Und man hat wirklich Stück für Stück die Bundeswehr runtergerüstet. Wir sind eine Mädchen-für-alles-Truppe geworden: Wir haben in der Flüchtlingskrise 2015 geholfen; beim Hochwasser, und auch jetzt wieder bei Corona. Wir sind für alles da - aber nicht für den Ernstfall, für den Verteidigungsfall.

Ich glaube, für eine gewisse Zeit wären wir in der Lage, uns zu verteidigen. Aber dann wird es auch bei uns eng. Weil wir eben viel runtergespart haben. Wenn wir jetzt wirklich in den Krieg gehen sollten und dann - sag ich mal - Panzer ausfallen und wir keinen Nachschub haben, weil irgendwelche Ersatzteile fehlen, dann stehen wir auf dem Schlachtfeld, und nichts geht mehr.

Von der Politik wünsche ich mir, dass wirklich mehr investiert wird in die Bundeswehr, nicht nur mit 100 Milliarden Euro für Material, sondern auch für Personal. Die Politik sollte sich wirklich überlegen, ob man nicht wieder den Wehrdienst aktiviert.

Ich wurde in meiner Zeit als Soldat auf dem Nachhauseweg am Bahnhof schon mal angespuckt und als Nazi bezeichnet. Das erlebe ich auch jetzt immer wieder. Ein Großteil der Bevölkerung sieht uns, glaube ich, immer noch als Wehrmacht an. Da ist immer noch der Zweite Weltkrieg in den Köpfen, und das finde ich schade, weil wir schon lange nicht mehr die Armee sind, die wir im Zweiten Weltkrieg waren.

Wenn der Ukraine-Krieg sich ausweiten sollte, sind wir diejenigen, die die deutsche Bevölkerung retten. Das sollten viele nicht vergessen, wenn sie das nächste Mal einen Soldaten auf dem Bahnhof treffen.

Gesprächsprotokoll: Sylvia Tiegs

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Sendung: Inforadio, 21.03.2022, 08:30 Uhr

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Beitrag von Sylvia Tiegs

34 Kommentare

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  1. 33.

    Ja, es waren die westlichen Sieger, na und?
    Die Trennung war keineswegs formal, im Berlin hatten die Siegermächte das Sagen.l
    Wo war der politische Einfluss, wenn es keine Abgeordnete im Bundestag gab, die ein Stimmrecht hatten.
    Was die Gesetzgebung betrifft, daran war Westberlin nicht beteiligt, und es gab darüber auch keine Absprachen mit Westberlinern, und eine Anwendung von Gesetzen in Westbelin musste mit Siegermächten abgesprochen und von denen erlaubt werden. So gab es beispielsweise in Westberlin keine Wehrpflicht, usw.

    Das Westberlin nicht zur DDR gehörte, das ist allgemein bekannt.

  2. 32.

    Dagmar:
    "Antwort auf [Immanuel] vom 22.03.2022 um 13:32
    Westeberlin war bis zur Wiedervereinigung eine von den Siegern besetzte Stadt,"

    Nein, es waren nur die 3 Westmächte.

    Dagmar:
    "... ohne einen politischen Einfluss in der BRD"

    Nein, die BRD und Westberlin haben sich bei allen politischen Entscheidungen immer gegenseitig mitgedacht. Die Trennung war lediglich formal. Der Bundestag hatte sogar in Westberlin getagt, was der Sowjetunion nicht gefiel. Politisch gehörte Westberlin zum Westen.

    Dagmar:
    "In Bundestag gab es keine politischen Vertreter aus Westberlin, auch Bundesprässident wurde ohne Westberliner gewählt. Westberlin hatte im Bundestag nur in Zuschauerrängen ihre Vertreter, die das Geschehen im Bundestag mitangesehen haben."

    Ja, aber Westberlin hat (fast) alle Gesetze der BRD übernommen.

    Jedenfalls gehörte Westberlin nicht zur DDR!

  3. 31.

    Westeberlin war bis zur Wiedervereinigung eine von den Siegern besetzte Stadt, ohne einen politischen Einfluss in der BRD, es gehörte lediglich geografisch da zu.
    In Bundestag gab es keine politischen Vertreter aus Westberlin, auch Bundesprässident wurde ohne Westberliner gewählt.
    Westberlin hatte im Bundestag nur in Zuschauerrängen ihre Vertreter, die das Geschehen im Bundestag mitangesehen haben.

  4. 30.

    Dagmar:
    "Antwort auf [Mogelmotte] vom 22.03.2022 um 10:02
    RBB ist ein ostdeutscher Sender, es gibt auch HR, BR, SWR, WDR usw. Das ostdeutsche bezog sich auf die georgrafische Lage, sprich ehemalige DDR."

    Hinweis an Dagmar: Westberlin gehörte nicht zur ehemaligen DDR, sondern gehörte politisch zum Westen! Der RBB ist somit auch kein Sender für ehemaliges DDR-Gebiet, sondern für ehemaliges DDR- und Westgebiet.

  5. 29.

    Martin Brack:
    "Deshalb halte ich wenig von willfährigen Werkzeugen von Politikern."

    Wer ist ein "willfähriges Werkzeug von Politikern"? Bitte konkret!

  6. 28.

    David Weber:
    "Dabei werden die Belastungen für die Länder durch die Flüchtlinge (Verpflegung, Unterkunft usw.)nicht oder kaum berücksichtigt."

    David Weber wirft hier Opfern vor, sie würden ihre Helfer belasten. Wie kaltherzig und inhuman muss man sein, um so einen Mist schreiben zu können?!?

  7. 27.

    David Weber:
    "Mein Eindruck ist, dass ein Eingreifen der Nato immer wahrscheinlicher wird und von einigen Seiten gewünscht wird."

    Von wem? Bitte konkret!

    David Weber:
    "Polen und weitere ehem.Ostblockstaaten haben anscheinend noch eine Rechnung offen"

    Wie kommen Sie darauf? Bitte konkret statt nur wirrer Spekulationen!

    David Weber:
    "die Ukraine will bis zu letzt kämpfen und ist zu keinen Kompromissen bereit"

    Welche "Kompromisse"? Welche "Kompromisse" soll die Ukraine mit dem Kriegsverbrecher Putin schließen? Was soll die Ukraine dem brutalen Diktator Putin schenken, damit der endlich zufrieden ist? Welche Kompromisse würden Sie mit einem brutalen Einbrecher machen wollen?

    David Weber:
    "Hr.Silensky fordert immer aggresiver Unterstützung der Nato"

    ... weil gerade ein brutaler Aggressor sein Land zerstört und Menschen ermordet!

  8. 26.

    Pankower:
    "Konsequent wäre eigentlich die Wiedereinführung einer Wehrpflicht, wenn wir wirklich mit einem Verteidigungsfall
    rechnen müssen. Mit allem Pipapo wie z.B. Reservistendienst ..."

    Ich denke, wir brauchen keine Wehrpflicht. Eine kleine, aber (hoffentlich) professionelle Berufsarmee kann zwar ein Land nicht verteidigen. Aber dafür haben wir ja die NATO. Kein NATO-Land muss sich selbst verteidigen und braucht daher keine eigene Armee, die so groß ist, dass sie das Land ganz alleine verteidigen kann. Aber alle NATO-Armeen zusammen können jedes Land gegen jeden Aggressor verteidigen, weil die Summe aller einzelnen kleinen Armeen eine große Armee ergibt. Darin sehe ich den Sinn der NATO, sich zusammen zu tun, weil dann jedes einzelne Land nicht seine eigene Verteidigung ganz alleine machen muss.

    Und außerdem denke ich, dass eine Berufs- und Freiwilligenarmee professioneller und motivierter ist als eine widerwillige Wehrpflichtigenarmee.

  9. 25.

    Wie war denn das mit der NVA beim Prager Frühling 1968?
    Das war wohl ein Spaziergang? Die hatten sich verirrt.

  10. 24.

    RBB ist ein ostdeutscher Sender, es gibt auch HR, BR, SWR, WDR usw. Das ostdeutsche bezog sich auf die georgrafische Lage, sprich ehemalige DDR.
    Übrigens, sind diese Sender weitgehend Eigenständig.

  11. 23.

    rbb24 ist ein ostdeutscher Sender??? Also genau genommen ist rbb24 überhaupt kein eigenständiger Sender, sondern ein Angebot des Rundfunks Berlin-Brandenburg. Entstanden aus der Fusion von ORB und SFB. Vielleicht sollten Sie doch lieber nochmal nachlesen, bevor Sie irgendwas kommentieren

  12. 22.

    Das Einsammeln von Eindrücken, kann an "Kanälen" liegen denen man sich bedient.
    Fakt ist, dass alle 30 Natoländer geschlossen gegen aktives Eingreifen in diesem Krieg sind.

    An Unterstellungen mangelt es in diesen Beitrag nicht, unwahr, und als Eindrücke verpackt.

  13. 21.

    In dem Fall sollten Sie Satire kennzeichnen!
    Irgendetwas gab es mal so vor dreiundzwanzig Jahren.
    Die NVA hat meines Wissens nicht so oft außerhalb des Landes
    robust agiert.

  14. 20.

    Die DDR war auch ein Ostblockstaat, und der rbb24 ist ein ostdeutscher Sender, haben die Ostdeutschen mit Russland noch eine Rechnung offen? Ich sehe dafür keine Anzeichen, auch nicht bei anderen Ländern.

    Wenn jemand mit Polen, Tschechien und co. eine offene Rechnung haben sollte, dann ist es Putin.
    Die Länder die jahrzente unter der imperialen UDSSR-Macht zu leiden hatten, sind einfach nur froh in Freiheit zu leben, und nun ist manch Einer in Sorge, ob der Putin noch mehr will, als nur die Ukraine

  15. 19.

    „Die Drohung des Herrn Putin mit seinen Atomwaffen darf keine Entscheidungsbasis sein. Die Nato hat nämlich auch welche.“

    Russland hat mittlerweile aber – auch mit atomaren Sprengköpfen bestückbare – Hyperschallraketen, über die die NATO nicht nur nicht verfügt, sondern ihnen leider auch nicht allzu viel entgegenzusetzen hat. Ein leichtfertiger Eingriff in die Kampfhandlungen in der Ukraine könnte wirklich fatale Folgen haben, die ich mir lieber gar nicht ausmalen möchte.

  16. 18.

    Ein Kommentar spiegelt meist den Kommentator, nicht jenen, den er damit abwerten will. Ich bin Pazifist, aber ich bin froh, dass es Menschen gibt, die unsere Verteidigung übernehmen wollen. Das ist nicht selbstverständlich und Sozialneid in diesem Zusammenhang ist doch etwas flach. Versuchen Sie einfach diesen Mann so anzunehmen und zu verstehen, denn darum geht es doch. Emotional die Schuhe des anderen tragen und fühlen, was jenen in seiner Lage bewegt. Das macht das Menschsein aus. Ist kinderleicht.

  17. 17.

    Was mich mal interessieren würden, warum wird die Freiheit Deutschlands nicht mehr am Hindukusch verteidigt ?

  18. 16.

    @David Weber Sie sind ja offensichtlich gut informiert, können Sie mal die Kompromisse nennen, die Herr Selenskij abgelehnt hat. Putin will die "Nazis "vernichten und eine neue Regierung und den Osten abtrennen, Evakuierung nur nach Russland. Seltsame Kompromisse. Wenn mich jemand umbringen will, wo ist da der Kompromiss? Vielleicht darf ich mir die Art aussuchen. Die Ukraine hat schlechte Erfahrungen mit den Russen gemacht. Vielleicht dürfen sie sich das GULAG aussuchen.

  19. 15.

    Die Reaktivierung der Wehrpflicht wäre eine Aufgabe für mehrere Jahre, da das gesamte Wehrersatzwesen mit "deutscher Gründlichkeit" völlig zerlegt wurde. Im Moment kommt's wohl erstmal auf eine vernünftige Ausrüstung und Attraktivitätssteigerung an, damit der Personalstand aufwächst. Dazu gehört nicht zuletzt eine geänderte Einstellung der Gesellschaft zu ihrer Armee.
    Vielleicht kann man sich da bei den Ukrainern "eine Scheibe abschneiden". Die haben ihre bis 2014 völlig heruntergewirtschaftete Truppe in eine tapfere Armee verwandelt, die den Invasoren in einer Weise die Stirn bietet, die Putin jedenfalls nicht erwartet hat. Ruhm der Ukraine! Den Helden Ruhm!

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