#Wiegehtesuns? | Geflüchtete aus Afghanistan - "Ich wünsche mir einen unbefristeten Aufenthaltstitel"

Nilo ist mit ihren Kindern vor acht Jahren ihrem Mann aus Afghanistan nach Berlin gefolgt. Die Familie fühlt sich hier wohl. Doch die aktuelle Migrations-Debatte verunsichert Nilo: Können sie in Deutschland bleiben? Ein Gesprächsprotokoll.
In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Leben gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.
Nilo heißt eigentlich anders. Ihr Name ist der Redaktion bekannt, aus Sicherheitsgründen wird ein Pseudonym verwendet. Nilo ist 36 Jahre alt und kommt aus Afghanistan. Während ihr Mann als Geflüchteter anerkannt ist, müssen sie und ihre vier Kinder ihre Aufenthaltstitel alle drei Jahre verlängern. Die Familie lebt in Berlin.
Mein Mann hat in Afghanistan als Personenschützer eines Anwalts gearbeitet, der für die NATO tätig war. Einmal gab es einen Bombenanschlag auf das Gebäude, in dem sie arbeiteten. Mein Mann überlebte, aber seine Beine und das Gesicht waren stark verletzt. Einen Monat lang war er im Krankenhaus. Die Taliban haben ihn mit seinem Tod und mit dem Tod der Familie bedroht. Sie forderten, dass er ihnen Informationen über den Anwalt gibt. Mein Mann ist über den Iran, die Türkei und Griechenland nach Deutschland geflohen. Kurz danach ermordeten die Taliban seinen Vater.
Vor acht Jahren durfte ich mit meinen vier Kindern zu meinem Mann nach Deutschland kommen. Mein Mann ist nach dem Anschlag immer noch schwer krank und die Ärzte können ihm nicht wirklich helfen. Es sind giftige Metallteilchen in seinem Körper. Er kann schlecht laufen und ist arbeitsunfähig. Von Jahr zu Jahr geht es ihm schlechter.
Ich vermisse vor allem meine Familie, die dort in Afghanistan geblieben ist. Ich habe seit acht Jahren meine Mutter nicht gesehen. Das macht mich sehr traurig. Allein hinfahren kann ich nicht, sie würden mich als Frau nicht wieder gehen lassen. Und unsere Eltern sind uns sehr wichtig. Nur über Video-Calls können wir sie sehen.
Mein Mann hat einen anerkannten Geflüchteten-Status. Meine Kinder und ich müssen unsere Aufenthaltstitel alle drei Jahre verlängern. Diesen Sommer ist es wieder so weit. Es ist in Ordnung für mich, doch ich wünsche mir, dass wir einen unbefristeten Aufenthaltstitel bekommen, damit meine Kinder und ich in Ruhe lernen können.
Wir schauen regelmäßig die Nachrichten im deutschen Fernsehen. Die aktuelle Berichterstattung über Migranten und Geflüchtete aus Afghanistan macht mir große Sorgen und bereitet großen Stress. Was, wenn sie unsere Unterlagen doch nicht verlängern und wir wieder wegmüssen? Meine Kinder sind hier aufgewachsen und Deutschland ist auch zu ihrer Heimat geworden.
In Afghanistan konnte ich die Schule nicht besuchen. Meine Eltern haben mich mit 13 Jahren verheiratet. Ein Jahr später war die Schulbildung für Mädchen wieder erlaubt, aber es kam für mich zu spät. Ich musste zuhause bleiben, Kinder bekommen und Hausfrau sein. Ich kann deswegen auf Paschtu auch nicht wirklich lesen und schreiben. Auf Deutsch lesen und schreiben zu lernen, fällt mir schwer. Sprechen ist einfacher.
Vor drei Jahren habe ich fast das B1-Niveau erreicht, doch dann bin ich schwanger geworden. Mit fünf Kindern und einem kranken Mann war es schwer, weiter zu lernen. Ich habe vieles vergessen, aber jetzt mache ich wieder einen Sprachkurs für Eltern an der Volkshochschule Mitte. Wenn ich die B1-Deutschprüfung geschafft habe, will ich eine Ausbildung zur Erzieherin oder Verkäuferin machen.
Ich bin sehr froh, dass meine Kinder hier zur Schule gehen und später studieren können. In Afghanistan ist das für Mädchen nicht möglich. Nun wollen die Taliban in Afghanistan sogar Fenster zumauern, durch die man Frauen sehen könnte. Dort hätten meine Töchter kein Leben.
Ich will für meine Kinder Vorbild sein. Sie sollen sehen: Ihre Mama hat fünf Kinder und pflegt ihren kranken Mann, aber sie geht auch zum Sprachkurs und lernt weiter.
Meine älteste Tochter macht gerade Abitur. Sie will Medizin studieren oder Hebamme werden. Meine zweitälteste Tochter ist in der 10. Klasse und wird auch Abitur machen. Ich wünsche mir, dass meine Kinder weiter fleißig lernen, dass sie in Deutschland ein gutes Leben führen können und ihre Zukunft hier aufbauen.
Gesprächsprotokoll: Alina Ryazanova, teilweise aus dem Paschtu übersetzt von Nilos Tochter Tabsum.
Sendung: rbb24 Inforadio, 18.04.2025, 07:05 Uhr