BKA untersucht auch Fälle in der Region - Möglicherweise mehr Todesopfer rechter Gewalt

Mo 09.12.13 | 09:48 Uhr
Video: Abendschau | 08.12.2013 | Beitrag von Florian Eckardt

Deutlich mehr ungeklärte Todesfälle in Berlin und Brandenburg könnten einen rechtsextremen Hintergrund haben als bisher angenommen. Nach rbb-Recherchen hat allein der Berliner Staatsschutz 68 Verdachtsfälle an das Bundeskriminalamt übermittelt. In Brandenburg ist neben dem Landeskriminalamt das Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrum in die Untersuchungen einbezogen. Von Thorsten Mandalka.

Ein 51-jähriger Jugoslawe wird im März 2000 in seinem Imbiss im Berliner Wedding erschossen. Nichts wird geraubt, keine Spur vom Täter, keine Ahnung über das Motiv. Ist dieser Mord womöglich die Tat eines Rechtsextremisten gewesen? Diesen und weitere Fälle wird die Berliner Polizei jetzt erneut auf einen rechtsextremistischen Hintergrund untersuchen. "Wir sind alle ungeklärten Tötungsdelikte der letzten 20 Jahre - von 1990 bis Ende 2011 - durchgegangen und haben insgesamt 68 Fälle an das Bundeskriminalamt gemeldet", sagt der Berliner Polizeisprecher Stefan Redlich.

Hinzu kommen zehn weitere Fälle, von denen Opferorganisationen schon länger annehmen, dass sie von Neonazis verübt worden sind. Trotzdem ist man noch sehr vorsichtig mit der Bewertung: "Das ist keine Vorfestlegung darauf, ob tatsächlich in dieser Richtung etwas gefunden wird", so Redlich weiter.

Wissenschaftler untersuchen Fälle mit möglichen rechtsextremen Motiven

In Brandenburg gibt es solche Fälle auch: Ein junger Mann, der in einer Diskothek zusammengeprügelt wird und stirbt. Ein Autofahrer, der von der Straße abgedrängt wird und tödlich verunglückt. Bloß ein Unfall, oder hat der "Stop Nazis"-Aufkleber am Heck etwas damit zu tun gehabt?

Diesen Fragen geht das Brandenburger Landeskriminalamt nach - genauso wie seit Frühjahr 2013 auch die Wissenschaftler vom Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrum. Sie forschen im Auftrag des Brandenburger Innenministeriums. "Wir  können davon ausgehen, dass die bisherige Zahl von neun Tötungsdelikten wahrscheinlich ein bisschen höher sein wird, allein schon deshalb, weil wir in den 90er Jahren eine sehr viel engere Definition von rechtsextremistischer Gewalt hatten", urteilt Wolfgang Brandt, stellvertretender Sprecher des Moses-Mendelssohn-Zentrums.

Und diese Definition hat schlicht bedeutet: Wenn sich nicht ganz eindeutig ein Rechtsextremist zu einem politischen Mord bekannte, dann fiel der Fall aus der Statistik raus. Trotzdem ist Brandenburg - nicht zuletzt durch den erteilten Forschungsauftrag - offenbar auf dem aktuellen Stand in Sachen Verdachtsfälle: "Für Brandenburg gibt es keine neuen Zahlen, das heißt hier ist keine Ausweitung des Verdachts auf rechtsextremistische Tötungsdelikte zu sehen", sagt Brandt.

Högl: "Das darf uns nie wieder passieren"

Wie ist das Ganze nun politisch zu bewerten? Die Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl war die Obfrau ihrer Partei im NSU-Untersuchungsausschuss. Sie ist von den neuen Zahlen wenig überrascht. Im Gegenteil: jetzt müsse auch aktuell sehr genau hingesehen werden. "Es macht einen Unterschied, ob ein Kiosk überfallen wird aus fremdenfeindlichen, rassistischen Motiven oder um allein Geld zu erbeuten. Ich halte es deswegen für dringend erforderlich, dass bei den Straftaten das Motiv immer gründlich untersucht wird", sagt Högl.

Das sei im Hinblick auf rechtsextreme Motive in der Vergangenheit eben nicht immer passiert. "Das darf uns nie wieder passieren, dass wir ein rassistisches Mordmotiv nicht erkennen", schlussfolgert Eva Högl.

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