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Video: Kontraste | 19.10.2017 | Jo Goll / Norbert Siegmund | Quelle: dpa

Anschlag auf den Berliner Breitscheidplatz

V-Mann soll Gruppe um Amri zu Anschlägen aufgehetzt haben

Der Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäter Anis Amri könnte von einem V-Mann des Landeskriminalamts NRW zu seiner Tat angestachelt worden sein. Der Mittelsmann soll in Islamistenkreisen für Anschläge geworben haben. Von Jo Goll und Sascha Adamek

Das Wichtigste in Kürze:
- Vorwürfe gegen LKA-Vertrauensperson erstmals durch drei unabhängige Quellen bestätigt
-  Laut einer bislang geheimen Akte des Verfassungsschutz-Chefs von NRW soll die Vertrauensperson von einem Anschlag mit einem LKW gesprochen haben
- Erstmals veröffentlichte interne Vernehmungsprotokolle zeigen, dass die Vertrauensperson einräumte, über Anschläge gesprochen zu haben

Eine wichtige Bezugsperson des Terroristen Anis Amri in der militanten Islamistenszene war ein V-Mann des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen. Recherchen des rbb und der "Berliner Morgenpost" belegen nun, dass die sogenannte Vertrauensperson VP-01 frühzeitig Islamisten zu Anschlägen in Deutschland angestachelt haben soll. Laut eines Zeugens war dabei auch von einem Anschlag mit einem Lkw die Rede.

Zeuge berichtet über möglichen Lkw-Anschlag

Die vom Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen (LKA) auf den Terroristen Anis Amri angesetzte Vertrauensperson hat der Recherche zufolge diverse Mitglieder der IS-nahen Abu-Walaa-Gruppe und womöglich auch Amri selbst zu Anschlägen animiert. Laut der Ermittlungsakten hatte ein Mitglied der Gruppe bereits kurz nach dem Anschlag gegenüber dem LKA ausgesagt: Die Vertrauensperson mit dem Kürzel VP-01 habe "immer wieder" mitgeteilt, "dass man Anschläge in Deutschland verüben solle". Ein ehemaliger Anhänger der Abu-Walaa-Gruppe sagte dem rbb,  VP-01 sei sogar "der Radikalste" gewesen.  

Die meisten Gruppenmitglieder hätten nicht über Anschläge in Deutschland gesprochen, da sie nach Syrien zum Kämpfen ausreisen wollten. VP-01 habe mehrmals zu Mitgliedern der Gruppe gesagt: "Komm, du hast eh keinen Pass, mach hier was, mach einen Anschlag." Die Vertrauensperson des LKA sei häufig mit Amri unterwegs gewesen und habe ihn in seine Unterkünfte gefahren. Bekannt war bisher nur, dass er Amri nach Berlin gefahren hatte.

Der Kriminologe Tobias Singelnstein kritisierte den Einsatz von VP-01. V-Personen dürften "nicht den agent provocateur spielen". Dies wäre eine "rechtsstaatswidrige Tatprovokation". V-Personen dürften nur "passiv Informationen entgegennehmen", anstatt andere zu Straftaten anzustiften.

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Den Bart abrasieren, um nicht als Islamist aufzufallen

Das LKA Nordrhein-Westfalen hielt die Aussage eines Zeugen über das Verhalten von VP-01 laut einem Vermerk vom Dezember 2016 nicht für richtig und unterstellte dem Zeugen, damit von eigenen "strafrechtlich relevanten Taten" abzulenken. Gegenüber dem rbb und der "Berliner Morgenpost" bestätigten jetzt drei Anwälte unabhängig voneinander diese Vorwürfe gegen die Vertrauensperson VP-01. Der Düsseldorfer Strafrechtsanwalt Johannes Pausch sprach von "förderndem Verhalten" des V-Mannes gegenüber einem Mandanten, der bereits wegen Vorbereitung eines Sprengstoffanschlages verurteilt wurde.

So habe VP-01 bei Fragen nach einem Anschlag gesagt, sein Mandant solle sich den Bart abrasieren, um nicht als Islamist aufzufallen. Auch habe VP-01 "Einkaufszentren" als Anschlagsziele ins Spiel gebracht. Anwalt Pausch sieht hierin eine klare Grenzüberschreitung der Befugnisse von V-Leuten. Er halte dieses Verhalten seinem Mandanten gegenüber für "unverantwortlich", kritisiert Pausch.

Der Frankfurter Rechtsanwalt Ali Aydin bestätigte dem rbb und der "Berliner Morgenpost", er wisse aus eigener Recherche, dass der V-Mann zu mehreren Personen aus der Abu Walaa-Gruppe gesagt haben soll: "Lasst uns diese Ungläubigen töten, wir brauchen gute Männer, damit wir hier in Deutschland Anschläge verüben können." Aydin betont, dass er für diese Aussage nicht nur eine Quelle habe. Für ihn sei klar, dass der V-Mann zu Anschlägen "angestachelt" habe. Rechtsanwalt Aydin fordert Ermittlungen, ob VP-01 auch direkt auf Anis Amri eingewirkt habe, einen Anschlag zu begehen.

"Ein agent provocateur im Dienste des Staates"

Auch der Bonner Strafverteidiger Michael Murat Sertsöz berichtet ähnliches. Sein Mandant Mikail S., der kürzlich wegen des Verbreitens von Terrorpropaganda verurteilt wurde, habe ihm berichtet, dass VP-01 ihn mehrfach aufgefordert habe, sich eine Waffe zu besorgen und "Aktionen" durchzuführen. "So wie Mikail das Verhalten der VP-01 geschildert hat, handelte dieser wie ein agent provocateur im Dienste des Staates", sagte Sertsöz.
Bei einer Befragung durch das LKA bestritt VP-01 die Vorwürfe und wies darauf hin, er habe sich entsprechend seinem Auftrag "immer als anschlagsbereit" gezeigt, um an Informationen zu gelangen.

Das LKA Nordrhein-Westfalen verweigerte die Auskunft zu den Vorwürfen gegen VP-01 mit Verweis auf laufende Gerichtsverfahren und den Untersuchungsausschuss zum Fall Amri in Nordrhein-Westfalen.

mit Informationen von Susanne Katharina Opalka und Norbert Siegmund

Beitrag von Jo Goll und Sascha Adamek

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