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Video: Abendschau | 19.06.2018 | Jo Goll und Norbert Siegmund | Quelle: imago/Stefan Boness

Erste Bescheide liegen vor

Breitscheidplatz-Angehörige enttäuscht über Opferrenten

Was ist ein Menschenleben wert? Lässt sich Leid in Euro beziffern? Angehörige der Opfer des Breitscheidplatz-Anschlags haben erste Bescheide über Rentenzahlungen bekommen. Die Enttäuschung ist groß. Von Jo Goll und Norbert Siegmund

Ob im Deutschen Bundestag oder im Berliner Abgeordnetenhaus: Wenn die Untersuchungsausschüsse zum Behördenversagen im Fall Amri tagen, ist Astrid Passin fast immer dabei. Die gelernte Grafikerin und Modedesignerin hat beim Weihnachtsmarktanschlag ihren Vater verloren.

Stundenlang lauscht sie dann den Zeugenvernehmungen, die Aufklärung darüber bringen sollen, warum ihr Vater und elf weitere Menschen sterben mussten - obwohl die Sicherheitsbehörden den späteren Attentäter über Monate im Fokus hatten. Und jedes Mal setzt es ihr zu, wenn sie miterleben muss, wie sich die Aufklärung im Fall Amri hinzieht.

140 Euro Rente im Monat

Doch dieser Tage ist für Passin und viele Angehörige der Terroropfer noch etwas anderes bedrückend. Gut eineinhalb Jahre nach dem Anschlag kamen die ersten Rentenbescheide - in Passins Fall ein vorläufiger Entscheid. Und der fällt deutlich geringer aus als erwartet. 140 Euro erhält die Inhaberin eines Modeladens nun monatlich, weil ihr nach eingehender Untersuchung eine psychoreaktive Störung als Folge des traumatischen Verlustes des Vaters bescheinigt wurde.

Astrid Passin fragt sich nun, wie man den Verlust eines nahen Verwandten in Euro bemessen kann. "Viele empfinden das, was die Bundesregierung uns anbietet, als lächerlich und peinlich", sagt sie verbittert. "140 Euro im Monat reichen niemals aus, um die Ausfälle auszugleichen, die man durch das, was geschehen ist, hat."

Mühsamer Nachweis der Bedürftigkeit

In der Tat muten 140 Euro Rente monatlich nicht gerade großzügig an. Und schon gar nicht für einen Staat, der im Fall Amri immer wieder versagt hat. Astrid Passin musste ihren Mode-Laden in den vergangenen 18 Monaten immer wieder schließen, weil sie seit dem Tod des Vaters noch immer therapiebedürftig ist. Und auch das musste sie mühsam nachweisen. Erst ein Jahr nach dem Anschlag bekam sie den nötigen Termin bei einer Psychiaterin.

Ähnlich schwierig war das bei Petr Cizmar, der seine Frau und die Mutter seines Sohnes beim Anschlag auf dem Breitscheidplatz verlor. Drei Stunden lang – teilweise in der Unterhose - musste sich der Tscheche untersuchen lassen. Erst dann stand fest, dass auch er eine kleine Rente erhalten wird.

Rente nur bei "definiertem Grad der Schädigung"

Auch wenn sie Elternteil oder Kind verloren haben, müssen Angehörige einen bestimmten Mindestgrad an psychischer Schädigung nachweisen. In einem Fall - die Angehörige will anonym bleiben - lehnt das zuständige LaGeSo trotz diagnostizierter psychoreaktiver Störung eine Rente gänzlich ab. Eine monatliche Grundrente stehe nicht zu, weil die anerkannten Schädigungsfolgen den "definierten Grad der Schädigung nicht erreichen", heißt es in dem Gutachten, das dem rbb vorliegt.

Astrid Passin kann das als Sprecherin der Hinterbliebenen nicht nachvollziehen. Hier, so meint sie, entscheide offenbar am Tag des Gutachtens die Tagesform. "Ich weiß nicht, wie man das katalogisieren kann. Wenn ich bei der Untersuchung zusammenklappe und einen psychisch angeschlagenen Eindruck hinterlasse, bekomme ich etwas. Wenn ich am Tag der Untersuchung aber gefestigt auftrete, gehe ich leer aus? Das kann doch nicht sein."

Opfer fühlen sich allein gelassen

Dabei hatte der damalige Justizminister Heiko Maas noch kurz vor dem Jahrestag des Anschlags im Dezember 2017 verkündet: "Diese Menschen sind zu Opfern geworden, weil sie stellvertretend für uns alle getroffen worden sind. Und deshalb dürfen der Staat und die Gesellschaft sie jetzt auch nicht alleine lassen."

Doch genau so fühlen sich etliche Angehörige der Opfer vom Breitscheidplatz – ein Stück weit allein gelassen.

Sendung: Inforadio, 19.06.2018, 06.00 Uhr

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