700 Bewohner verlassen Berliner Containerdorf - Flüchtlingsunterkunft auf dem Tempelhofer Feld wird geräumt
Bis zu 3.000 Geflüchtete lebten in den Hangars des Ex-Flughafen Tempelhof. Um das Chaos zu beenden, wurde ein Containerdorf auf dem Vorplatz errichtet. Nach eineinhalb Jahren werden die Container nun geräumt - viele Bewohner ziehen mit Wehmut aus. Von Nina Amin
Ein Zaun, dahinter reihenweise einstöckige weiße Containerboxen auf grauem Steinplattenboden. Trostlos - so beschrieben Jogger und Spaziergänger auf dem Tempelhofer Feld den Anblick, als die Flüchtlingsunterkunft vor anderthalb Jahren aufgebaut wurde: "Es ist ja wie im Zoo. Von drinnen gucken sie raus, und wir gucken rein", sagte damals eine Frau. "Das mit dem Zaun finde ich schon komisch. Wie eine Parallelwelt, die man nicht betreten soll, die geschützt für sich existieren soll", erklärte ein Mann. "Es ist ein ganz schlechter Platz. Im Winter eiskalt, im Sommer total heiß - und Privatsphäre ist doch hier überhaupt nicht", so beschrieb 2017 eine weitere Fußgängerin ihren Eindruck.
Wesentlich besser als das Leben in den Hangars
Alles eine Frage der Perspektive. Für die Geflüchteten in den Hangars bedeutete der Umzug in die Container wesentlich mehr Privatsphäre: Von Schlafkabinen ohne Dach und Kantinenessen zu abschließbaren Wohneinheiten mit Küche und Bad. Barbara Schmitz leitete von Anfang an die Unterkunft auf dem Vorfeld. Für sie sei diese ein ganz besonderer Ort: "Ich habe auch in den Hangars gearbeitet. Ich stand am Zaun und habe gesehen, wie das Containerdorf aufgebaut worden ist. Ich habe gedacht, ich will das unbedingt machen - wir machen das was richtig Tolles draus. Ich denke, das ist uns auch gelungen. Das war von Anfang an unser Dorf", sagt Schmitz heute.
Und die Dorfgemeinschaft auf dem Tempelhofer Feld habe sich - anders als damals in den Hangars, wo es oft Streit gab - gut entwickelt: Auf dem zentralen Platz sitzen die Bewohner bei schönem Wetter abends zusammen. Zumindest bis jetzt. Denn nun, nach nur 18 Monaten, heißt es wieder: umziehen.
"Negativ daran ist, dass man 'umgezogen wird'."
Koffer, Teppiche, Kinderfahrräder - alles kommt in den großen Lastwagen. Für die Bewohner steht ein Reisebus bereit. Auch Semso Velagic muss umziehen. Auf die Frage, wie er seine Zeit auf dem Tempelhofer Vorfeld beschreiben würde, antwortet er: "Ein Wort: phänomenal. Es war wunderschön hier."
Der 34 Jahre alte Bosnier ist als Wäschefahrer in einem Hotel angestellt. Längst hat er einen Aufenthaltstitel, wie die meisten Bewohner der Unterkunft. Er bewohnt mit seiner Frau und seinem Kind einen der vielen Container. Eine richtige Wohnung finde er nicht: "Ich suche schon seit vier Monaten, aber es ist schwer", sagt Velagic.
Also bleibt ihm keine andere Wahl, als in die vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten zugewiesene Unterkunft zu ziehen. Die Familie kommt in ein anderes Containerdorf. Der Abschied fällt nicht nur ihm, sondern auch der Unterkunftsleiterin Barbara Schmitz schwer.
"Ich weiß ja, dass sie in wirklich gute Unterkünfte kommen und da wohnen werden. Negativ daran ist, dass man 'umgezogen wird'. Es ist kein eigener freier Entschluss", sagt sie.
Nicht genug Wohnheimplätze für Kinder im gleichen Bezirk
Bei der Umzugsplanung wurde laut des Flüchtlingsamtes darauf geachtet, dass Familien mit Grundschulkindern möglichst in eine Unterkunft in Tempelhof-Schöneberg ziehen - damit Kinder nicht die Schule wechseln müssen. Aber das klappt nur bedingt. Denn mehr als zweihundert Kinder leben im Containerdorf, die Wohnheimplätze im Bezirk seien aber begrenzt, heißt es beim Flüchtlingsamt. Samira Rashidi zum Beispiel kann nicht in Bezirk wohnen bleiben. Ihre Schule will die zehnjährige Afghanin aber nicht verlassen, erzählt sie. Der Grund: Ihre Freundinnen.
Aber auch in der Unterkunft auf dem Tempelhofer Feld ist sie mit vielen Kindern befreundet. Deutsch ist für die Kinder auf dem Vorfeld längst Alltagssprache geworden. Nicht nur in der Schule, sondern auch untereinander reden sie Deutsch. Müssen sie auch, da sie sonst verschiedene Sprachen sprechen. Am liebsten fährt Samira nach der Schule mit ihren Camp-Freundinnen auf dem Feld Fahrrad. Das ist vorbei, wenn sie nach Lichterfelde zieht. Immerhin eine Freundin zieht auch mit ihrer Familie in die gleiche neue Unterkunft.
Die fünfköpfige Rashidi-Familie hat Glück. Zwei Jahren haben sie seit ihrer Flucht aus Afghanistan im Hangar gelebt, dann noch mal anderthalb in einem Container auf dem Vorfeld. Jetzt ziehen sie in eine nagelneue Gemeinschaftsunterkunft in Lichterfelde. In diesem hochwertigen Fertighaus - einer sogenannten modularen Unterkunft - hat die Familie eine eigene Küche. Samiras Schulweg wird künftig länger sein - Platz zum Fahrradfahren gibt es aber auch im neuen Heim.
Flüchtlingsrat kritisiert: Senat hat Unterbringung in Wohnungen aufgegeben
Andere müssen hingegen wieder in Flüchtlingsunterkünfte mit Gemeinschaftsküchen und Bädern ziehen. Ein Unding, äußert Georg Claasen vom Flüchtlingsrat Berlin. Das Land Berlin habe immer noch keinen Unterbringungsplan für Geflüchtete: "Das verschiebt sich nur. Die Flüchtlinge werden von der einen Notunterkunft in die nächste verschoben. Wir haben den Eindruck, dass sowohl die verantwortliche Senatsverwaltung für Soziales als auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen ein bisschen aufgebeben haben. Sie haben gesagt: Wir haben sowieso keine Wohnungen, die Geflüchteten werden auf Dauer keine finden und wir bringen sie auf Dauer in Sammel- und Notunterkünften unter."
Der Senat versuche sehr wohl, Geflüchtete in Wohnungen unterzubringen, sagt Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach von den Linken. Allerdings gebe es kaum bezahlbare Wohnungen in Berlin. "Die Leute kommen jetzt nicht unbedingt in Wohnungen. Aber ich muss Ihnen sagen, dass die modularen Unterkünfte immer noch besser sind als die Container. Diese Container sind im Sommer extrem heiß, im Winter kann man sie nicht richtig heizen. Die Lebenssituation der Menschen verbessert sich jetzt nochmal", sagt die Senatorin.
Trotzdem, räumt sie ein, müssen auch einige Bewohner aus Tempelhof in ein Containerdorf in Neukölln umziehen. Mehr als zwanzig dieser Containerdörfer stehen inzwischen in der ganzen Stadt verteilt. Bestellt wurden die Wohncontainer teilweise noch vom rot-schwarzen Vorgänger-Senat, als vor vier Jahren immer mehr Geflüchtete nach Berlin kamen. Und das Land nicht wusste, wohin mit den Menschen.
Breitenbach: "Wir mussten uns auf einen Kompromiss einigen"
Die rot-rot-grüne Koalition will diesen Notzustand eigentlich so schnell wie möglich beenden. Warum die Sozialsenatorin die Container auf dem Tempelhofer Vorfeld nicht verhindert habe, fragt Claasen vom Flüchtlingsrat. Schließlich seien sie erst 2017 aufgebaut worden, als die rot-rot-grüne Koalition bereits regierte und Breitenbach im Amt war: "Es war nicht schlau, dort zu bauen, weil es eben von vornherein auf zwei Jahre beschränkt war und dadurch von den Baukosten enorm teuer war. Da hätte man von dem gleichen Geld sicher 100 bis 150 Wohnungen bauen können und eine nachhaltigere Lösung gehabt", sagt Claasen.
Die Sozialsenatorin entgegnet: Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte es dieses Containerdorf an der Stelle nie gegeben. "Wir waren aber drei Partner bei den Koalitionsverhandlungen und mussten uns auf einen Kompromiss einigen", erklärt Breitenbach. Im betreffenden Tempehof-Gesetz steht: Bis Ende 2019 müssen die Container restlos abgebaut sein.
Was wird aus den Containern?
Momentan werde geprüft, wofür sie eventuell weitergenutzt werden können, heißt es von der zuständigen Finanzverwaltung. Denkbar wäre, die Container Kitas und Schulen als Ausweichräume zur Verfügung zu stellen. Eine Nachnutzung sei auch wegen der hohen Kosten gewollt. Mehr als 19 Millionen Euro hat die Unterkunft für die eineinhalb Jahre gekostet.
Das Containerdorf in Tempelhof ist genau wie zuvor die Hangars Sinnbild für eine Krisensituation, in die das Land vor vier Jahren geriet: Unvorbereitet und überfordert die vielen Geflüchteten unterzubringen. Seitdem wurden viele Gemeinschaftsunterkünfte gebaut oder sind noch im Bau. Normalität ist bei der Unterbringung immer noch nicht eingetreten.
Auf dem Vorfeld ist der vollbeladene Umzugswagen bereit zur Abfahrt. In den nächsten Tagen werden alle Bewohner das Containerdorf auf dem ehemaligen Flughafengelände verlassen. Auch wenn vielen der Gedanke an den Abschied in den vergangenen Wochen schwerfiel, steigen die Männer, Frauen und Kinder jetzt ohne zu zögern in den Bus. Und fahren in ihre neue - vielleicht diesmal längerfristige - Bleibe in Berlin.