Berlin-Friedenau - Wie Bürgerräte mehr Mitbestimmung in die Politik bringen wollen
Fünf Frauen aus Friedenau wollen mit Bürgerräten die demokratische Beteiligung im Kiez stärken - nach einem Vorbild aus Österreich. Im August soll es losgehen. Was könnten sie bewirken? Von Wolf Siebert
S-Bahnhof Friedenau, der Dürerplatz in Berlin. Früher belebte ein Markt den kleinen Platz, jetzt gibt es nur noch einen Aldi-Supermarkt. Aber auch die Frauen der Initiative "nur-mut.org" mit ihrem mobilen bunten Stand sind hier und informieren über den ersten Friedenauer Bürgerrat. Uta Claus von nur-mut.org erklärt einer älteren Dame, was geplant ist: dass der Bürgerrat Vorschläge der Bürger sammelt, wie es im Kiez besser werden kann und dass es anschließend ein Bürgercafé geben wird.
Im Bürgercafé werden die Vorschläge öffentlich diskutiert. Dann gehen die Ideen an Politik und Verwaltung, wo sie geprüft werden. Anschließend berichtet das Bezirksamt dem Bürgerrat, welche Vorschläge umgesetzt werden können. Die alte Dame mit dem kleinen Hund ist durchaus interessiert. Sie wünscht sich vor allem, dass mehr für alte Leute getan wird und es endlich wieder einen Markt auf dem Dürerplatz gibt.
Überall wurde gemeckert, sie wollten etwas tun
Die Mitglieder eines Bürgerrats werden wie Schöffen aus dem Melderegister ausgewählt. Die Teilnahme ist freiwillig. Uta Claus sagt, sie sei aktiv geworden, als vor drei Jahren die Demokratie unter Beschuss geriet: "der Aufstieg von Pegida und Afd, hasserfüllte Parolen, Sätze wie 'Die da oben machen eh was sie wollen' oder 'Als Einzelner kann man eh nichts machen'." Claus zeigt sich überzeugt: "Als Einzelner kann man sehr wohl etwas machen. Man kann es wenigstens versuchen." Gemeinsam mit vier anderen Frauen gründete sie die Initiative nur-mut.org. Sie wollen anderen Mut machen, aktiv zu werden, um das Leben in ihrem Kiez zu verbessern – durch Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger. Das erste Projekt, das die fünf durchgeboxt haben, sind die "Bürger*innenräte". Es soll im August starten und wird vom Potsdamer Institut für transformative Nachhaltigkeitsstudien (IASS) beratend begleitet.
Zusammenarbeit nicht erst, wenn es Streit gibt
Die Initiatorinnen entdeckten das Modell des "Bürgerrats" im österreichischen Vorarlberg. Dort funktioniert es schon seit vielen Jahren erfolgreich. Ziel sei die Zusammenarbeit zwischen Bürgern, Politik und Verwaltung - und zwar nicht erst, wenn es Streit gib, sagt Uta Claus. Politik und Verwaltung würden die Interessen und Stärken der Bürger kennenlernen. Umgekehrt würden Bürger verstehen, wie Verwaltung funktioniert. Insofern sei das ein Zusammenrücken und damit ein wichtiger Demokratiebaustein.
Nicht nur Ja oder Nein
Das Modell überzeugte auch die Bezirksbürgermeisterin. Angelika Schöttler (SPD) machte deshalb beim Senat 150.000 Euro Fördermittel locker für Bürgerräte. Diese sollen bis März kommenden Jahres im ganzen Bezirk Tempelhof-Schöneberg eingeführt werden, um Bürgerinteressen rechtzeitig einzubeziehen. Das gelte nicht nur für Kiez-Themen, sagt Claudia Häuser-Mogge von nur-mut.org. Man könne das am Beispiel des Volksentscheids zum Tempelhofer Feld deutlich machen: "Viele waren gar nicht gegen die Bebauung, sondern gegen diese Form der Bebauung. Wenn in einem Bürgerrat darüber gesprochen würde, gäbe es vielleicht Empfehlungen, wie Tempelhof bebaut werden könnte und nicht nur Ja oder Nein, was uns ja nicht wirklich weiterführt."
Der erste Bürgerrat ist kein dauerhaftes Amt, sondern Engagement auf Zeit - auch wenn die fünf Frauen natürlich hoffen, dass viele länger engagiert bleiben.