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Video: Abendschau | 23.08.2019 | Jo Goll | Quelle: rbb

Terroranschlag in Berlin

Tatortvideo vom Breitscheidplatz wirft neue Fragen auf

Mitglieder des Amri-Untersuchungsausschusses haben Einsicht in ein bislang unveröffentlichtes Tatortvideo vom Berliner Breitscheidplatz erhalten. Es wurde unmittelbar nach dem Anschlag aufgenommen - und wirft Fragen auf. Von Jo Goll und Susanne Opalka

Der bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete und Innenexperte Konstantin von Notz hat sich in den vergangenen Tagen immer wieder ein 34 Sekunden langes Video angesehen, das unmittelbar nach dem Anschlag von Anis Amri auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz aufgenommen wurde. Das Video liegt auch rbb24-Recherche und dem ARD-Magazin Kontraste vor.

Kurz zuvor ist der Lkw zum Stillstand gekommen, Anis Amri ausgestiegen und offenbar bereits auf der Flucht. Aufgenommen wurde das Video vom gegenüberliegenden Bikini-Haus, aus 20 bis 30 Metern Entfernung, unter ungünstigen Lichtverhältnissen und teilweise verwackelt – aber es wirft für den Amri-Untersuchungsausschuss des Bundestages, dem auch von Notz angehört, neue Fragen auf.

17 Monate wartete der Ausschuss auf das Video

Auf dieses und andere Videos haben von Notz und die weiteren Mitglieder des Ausschusses eineinhalb Jahre warten müssen. Denn bereits im März 2018 wurde die Bundesanwaltschaft vom Amri-Untersuchungsausschuss aufgefordert, Videos, die zu den Ermittlungen gehören, bereitzustellen.

Die Parlamentarier versuchen, sich ein eigenes Bild von den Beweismitteln zu machen, um die Arbeit der Sicherheitsbehörden im Vorfeld und nach dem Anschlag zu überprüfen. Doch immer wieder stoßen sie dabei auf Widerstand - wie in diesem Fall.

Und trotz der langen Wartezeit heißt es aus der Bundesanwaltschaft, man habe diese Videos, die auch Teil der Ermittlungsakten sind, "zeitnah" zur Verfügung gestellt. Konstantin von Notz sieht in diesem wie in anderen Fällen eine Behinderung der Arbeit des Untersuchungsausschusses: "Wir haben die Videos und anderes Beweismaterial bereits vor langer Zeit eingefordert. Dass das erst jetzt kommt, irritiert maximal."

Es folgt ein Video, das kurz nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz aufgenommen wurde.

Viele erklärungsbedürftige Szenen

Die Aufnahme zeigt eine zunächst unübersichtliche Szenerie. Doch es ist zu erkennen, dass etwa ein halbes Dutzend Personen sich Sekunden nach dem Attentat aus unterschiedlichen Richtungen auf den zum Stillstand gekommenen Lkw zubewegt.

Eine männliche Person fällt dabei besonders auf: Der Mann rennt von links ins Bild, orientiert sich kurz und nimmt dann offenbar etwas im hinteren Bereich der Fahrerseite des Lkw wahr. Er bewegt sich dann im Laufschritt auf eine Person zu. Will der Mann einem Opfer helfen? Genau zu erkennen ist dies nicht.

Eine weitere männliche Person nähert sich von einem stehenden Wagen auf der Budapester Straße dem Geschehen. Als die Person ganz nahe am Lkw und vor offenbar am Boden liegenden, verletzten Personen ankommt, wird klar: Der Mann filmt mit seinem Handy die Szenen, die sich unmittelbar vor ihm abspielen.

Im hinteren Bereich des Geschehens, etwa 40 bis 50 Meter vom Lkw entfernt, ist eine weitere Person zu erkennen (unten in Video zwei mit einem weißen Kreis gekennzeichnet, Anm.d.Red), die sich schnellen Schrittes über die Budapester Straße Richtung U-Bahnhof Zoologischer Garten bewegt. Die Schuhe des Mannes haben weiße Sohlen. Bevor er aus dem Bild verschwindet, sieht es so aus, als würden drei weitere Personen zu ihm stoßen. Ob sie tatsächlich zusammengehören, bleibt unklar.

Hatte Amri vielleicht doch Unterstützer vor Ort?

Es ist eine Szene, die Fragen aufwirft. Denn von einer Überwachungskamera der Berliner Verkehrsbetriebe wird wenige Minuten später ein Mann aufgenommen, der rote Schuhe mit weißen Sohlen trägt: Es ist Anis Amri.

Doch auf diesem zweiten Video, das dem rbb ebenfalls vorliegt, ist er allein unterwegs. Die Frage ist nun, ob auf beiden Videos derselbe Mann, nämlich Anis Amri, zu sehen ist. Und: Hatte er vielleicht doch Unterstützer vor Ort, die ihm auf seiner Flucht vom Breitscheidplatz geholfen haben?

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Von Notz fordert kriminaltechnische Analyse

Inhaltlich will von Notz das Video nicht bewerten, denn die Qualität ist zu schlecht. Doch er  fordert, dass der Ausschuss diese Bilder akribisch auswertet. Denn sie könnten tatsächlich Aufschluss darüber geben, ob Anis Amri das Attentat  – wie bislang von der Generalbundesanwaltschaft angenommen – allein begangen hat oder ob es doch Mitwisser, vielleicht sogar Mittäter gegeben hat. "Es gibt seit langer Zeit gravierende Zweifel daran, ob Anis Amri ein Einzeltäter war, und dieses Video muss natürlich unter diesem Gesichtspunkt ausgewertet werden", so von Notz.

Für die Bundesanwaltschaft und das Bundeskriminalamt dagegen ist die Sache seit langem klar: "Aus der Aufzeichnung haben sich keine wesentlichen verfahrensrelevanten Erkenntnisse oder Ermittlungsansätze ergeben“, heißt es in einer schriftlichen Antwort auf eine rbb-Anfrage. Die Aufnahmequalität sei, bedingt "durch die schwachen Lichtverhältnisse zum Zeitpunkt" zu schlecht und eine wie auch immer geartete "Verbesserung oder Aufbereitung" nicht möglich. Auf Nachfrage heißt es aber auch, es habe gar nicht erst den Versuch gegeben, das Video technisch zu bearbeiten.

Für Konstantin von Notz passt der Umgang der Sicherheitsbehörden mit diesem Video ins Bild. "Wir haben den Eindruck, dass man vonseiten der Ermittlungsbehörden versucht, so wenig Steine wie möglich umzudrehen, weil man Sorge hat, was man darunter finden kann."

 

 

Sendung: Inforadio, 23.08.2019, 06:00 Uhr

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