Untersuchungsausschuss - Amri-Anschlag: Schwere Vorwürfe gegen Innenministerium

Fr 15.11.19 | 10:34 Uhr
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Berlin: Besucher laufen hinter einem Sicherheitswall mit Pfeilern auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz. (Quelle: dpa/Christoph Soeder)
Bild: dpa/Christoph Soeder

Polizisten aus Nordrhein-Westfalen haben im Untersuchungsausschuss zum Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz schwere Vorwürfe gegen das Bundesinnenministerium, das Bundeskriminalamt und die Berliner Polizei erhoben.

Informant soll "zu viel Arbeit" gemacht haben

Ein Kriminalhauptkommissar, der am Donnerstag im Bundestag als Zeuge befragt wurde, sagte, ein Beamter des Bundeskriminalamtes (BKA) habe ihm am Rande einer Besprechung beim Generalbundesanwalt am 23. Februar 2016 gesagt, der Informant des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamtes, der damals auf die Gefährlichkeit des späteren Attentäters Anis Amri hingewiesen habe, "mache zu viel Arbeit".

Diese Auffassung werde auch von "ganz oben" vertreten, habe ihm der BKA-Beamte in dem Vier-Augen-Gespräch gesagt. Auf seine Nachfrage, wer mit "ganz oben" gemeint sei, habe der Beamte damals entweder das Innenministerium oder den damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) selbst genannt sowie einen leitenden Kriminaldirektor des BKA im Bereich Staatsschutz. Er sei nach diesem Gespräch "konsterniert und geschockt" gewesen und habe darüber auch direkt im Anschluss mit zwei Staatsanwälten gesprochen, sagte der Kriminalhauptkommissar. Er habe den Eindruck gewonnen, dass der ihm sonst als sehr kompetent bekannte BKA-Beamte "sozusagen als verlängerter Arm diese Meinung so wiedergegeben hat, wie es ihm vorgegeben wurde".

LKA-Mitarbeiter aus NRW machten mehrmals Druck in Berlin - vergeblich

Der LKA-Mitarbeiter aus NRW sagte, seine Behörde habe damals gegenüber dem BKA und dem LKA in Berlin, wo sich Amri inzwischen häufig aufhielt, klargemacht, dass der Informant absolut glaubwürdig sei und seit vielen Jahren für das LKA arbeite.

Polizeibeamte aus Nordrhein-Westfalen hatten nach Angaben des Zeugen in den Monaten vor dem Anschlag mehrfach Druck in Berlin gemacht, wo Amri ihrer Ansicht nach damals nur "relativ nachlässig" überwacht wurde. Eine weitere Beamtin des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamtes, die ebenfalls als Zeugin vernommen wurde, sagte, dass sie Amri "durchaus als gefährlich eingeschätzt habe und als unberechenbar". Sie sei angesichts seiner radikalen Äußerungen und seines raschen Eintauchens in die deutsche Salafisten-Szene der Überzeugung gewesen, "man muss da ein Auge drauf haben". Als sie später erfahren habe, dass Amri in Berlin nicht mehr so engmaschig beobachtet wurde, sei bei ihr ein "ungutes Gefühl" entstanden.

Amri hatte am 19. Dezember 2016 in Berlin einen Lastwagen gekapert. Er raste damit über den Weihnachtsmarkt und tötete zwölf Menschen. Nach dem Anschlag floh er nach Italien, wo ihn die Polizei erschoss.

"Amri war jemand, dem ich einen Anschlag jederzeit zugetraut hätte"

Amri hatte nach seiner Einreise 2015 zunächst in Nordrhein-Westfalen gelebt. In Hildesheim knüpfte er Kontakte zu dem Kreis um den Hassprediger Abu Walaa, der nach Einschätzung der Behörden damals als Statthalter der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Deutschland agierte und junge Salafisten ermunterte, in das IS-Gebiet auszureisen. Im März 2016 verlegte Amri seinen Lebensmittelpunkt nach Berlin.

Der Informant, der das nordrhein-westfälische Landeskriminalamt auf die Gefährlichkeit Amris aufmerksam machte, trug auch zu den Ermittlungen über die Abu-Walaa-Gruppe bei, die sich inzwischen in Celle vor Gericht verantworten muss.

Als er von dem Anschlag gehört habe, sei sein erster Gedanke gewesen, "das, was alle meine Kollegen gedacht haben, lass es nicht Amri sein", sagte der Zeuge aus Nordrhein-Westfalen. Amri habe eine "Privataudienz" bei Abu Walaa gehabt und sei jemand gewesen, "dem ich einen Anschlag jederzeit zugetraut hätte".

Sendung: Inforadio, 15.11.2019, 09.30 Uhr

4 Kommentare

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  1. 4.

    Terror durch Unterlassen wäre die passive Form der Beteiligung.

  2. 2.

    Der PKW wurde nicht "gekapert", sondern der polnische Fahrer wurde von Amri getötet, um in den Besitz des "Terrorwerkzeugs" zu gelangen...
    Übrigens spielt das polnische Opfer politisch und medial fast nie eine Rolle, was sich auch am noch unverschämteren Umgang mit seinen Angehörigen durch deutsche Behörden - im Vergleich zu den deutschen Opferfamilien -verdeutlichen lässt.

  3. 1.

    Der Verdacht der Einflußnahme staatlicher Stellen auf Weisungen noch unbekannter Stellen verdichtet sich immer mehr. Aber man kann sich ja seinen Teil denken, wer da Finger im Spiel hatte um die "Quelle" Amri "abzuschöpfen. Der "NSU" und das "Celler Loch" lassen grüßen.

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