rbb-Umfrage - Fast jeder Berliner Politiker wird beschimpft oder beleidigt

Di 10.12.19 | 20:18 Uhr | Von Florian Eckardt, Boris Hermel und Götz Gringmuth-Dallmer
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Während einer Abstimmung über eine Diätenerhöhung steht eine Gruppe an Politikern und Politikerinnen im Berliner Abgeordnetenhaus (Bild: imago images/Olaf Wagner)
Video: Abendschau | 10.12.2019 | Boris Hermel | Studiogespräch mit Sawsan Chebli (SPD) | Bild: imago images/Olaf Wagner

Wer in die Politik geht, braucht ein dickes Fell: Eine rbb-Umfrage unter Berliner Politikern zeigt, dass die allermeisten im Laufe ihrer Karriere schon beschimpft oder beleidigt wurden. Oft bleibt es nicht dabei. Von Florian Eckardt, Boris Hermel und Götz Gringmuth-Dallmer

Mehr als 90 Prozent der Berliner Politikerinnen und Politiker wurden im Laufe ihrer politischen Karriere schon beschimpft oder beleidigt. Das zeigt eine exklusive Umfrage des rbb. Befragt wurden die Parlamentarier des Abgeordnetenhauses, die Berliner Abgeordneten im  Bundestag, alle Bezirksbürgermeister und die Mitglieder des Senats.

Die Auswertung zeigt, dass Mitglieder aller Parteien von Beschimpfungen betroffen sind. Mehr als die Hälfte der PolitikerInnen wurde auch schon bedroht. Besonders stark betroffen sind Mitglieder der Parteien am linken und rechten Rand.

Insgesamt fragte der rbb 205 Berliner Politiker und Politikerinnen aller Parteien an, ob sie im Laufe ihrer politischen Karriere schon einmal beschimpft oder beleidigt worden sind – oder gar Opfer von Bedrohungen wurden. 157 Antworten gingen ein. Dabei ergibt sich ein klares Bild:  

Auf die Frage, ob sie schon einmal beschimpft oder beleidigt worden seien, antwortete eine große Mehrheit mit "Ja". 93,6 Prozent gaben an, schon einmal beschimpft oder beleidigt worden zu sein. Am stärksten trifft das Mitglieder der Parteien aus dem linken Spektrum. Alle befragten Politiker der Linken erklärten, beschimpft oder beleidigt worden zu sein. Dicht darauf folgen Politiker und Politikerinnen der SPD: Unter ihnen beantworteten 97,2 Prozent die Frage mit "Ja". Dahinter liegen die Grünen mit 96,7 Prozent und die AfD mit 90,5 Prozent. Bei der CDU gaben 84,6 Prozent an, schon einmal beschimpft oder beleidigt worden zu sein. Bei der FDP waren es 81,8 Prozent.

Offenbar bleibt es in vielen Fällen auch nicht bei der bloßen Beschimpfung: Mehr als die Hälfte der Politikerinnen und Politiker, die an der Umfrage teilnahmen, waren auch bereits Ziel von Bedrohungen.  

Besonders stark betroffen sind hier Politiker der AfD und der Linken: 76,2 Prozent der befragten AfD-Politiker und -Politikerinnen und 63,6 Prozent bei der Linken wurden im Laufe ihres politischen Lebens bedroht. Bei den Grünen waren es 60 Prozent, bei den SPD-PolitikerInnen, die sich an der Umfrage beteiligt haben, waren es 44,4 Prozent.

Unter den Befragten von der CDU gaben 42,3 Prozent an, bereits bedroht worden zu sein,  bei der FDP sagten das 27,3 Prozent.

Mehr als die Hälfte wird regelmäßig bedroht

Die Antworten bei der Befragung zeigen auch, dass es sich bei den Beschimpfungen keineswegs um seltene Erlebnisse handelt: Mehr als die Hälfte der Befragten - 52,9 Prozent - gab an, dass sie fast täglich beschimpft und beleidigt werden, nämlich bis zu fünf Mal die Woche.

Besonders regelmäßig werden offenbar Mitglieder der Parteien des linken Spektrums beleidigt und beschimpft: Bei den Linken sind es 63,6 Prozent, gefolgt von der SPD mit 58,3 Prozent, die Frage entsprechend beantworteten.

Dahinter liegt die CDU: 57,7 Prozent der CDU-Politiker, die an der Umfrage teilnahmen, gaben an, sie würden bis zu fünfmal pro Woche beschimpft oder beleidigt. Bei den Grünen sind es 43,3 Prozent, bei der FDP 45,5 Prozent und bei der AfD 38,1 Prozent.

Die meisten Politiker erreichen die Beschimpfungen, Beleidigungen und Bedrohungen per E-Mail: 71,3 Prozent bekommen sie auf diesem Weg. Dahinter rangieren die Sozialen Medien:  Über Kanäle wie Facebook oder Twitter erreichen 68,2 Prozent der Teilnehmer Bedrohungen, Beschimpfungen oder Beleidigungen.

66,2 Prozent der teilnehmenden PolitikerInnen gaben an, auch schon bei persönlichen Treffen oder öffentlichen Veranstaltungen mit solcher "Kritik" konfrontiert worden zu sein. Auch mit der herkömmlichen Post kommt der Shitstorm an - und zwar bei 52,9 Prozent der Befragten.

Beitrag von Florian Eckardt, Boris Hermel und Götz Gringmuth-Dallmer

15 Kommentare

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  1. 15.

    Vor allem für die Parteien an den Rändern gilt:
    Herr, die Not ist groß!
    Die ich rief, die Geister,
    Werd ich nun nicht los.
    All den kleinen Zauberlehrlinge wird gesagt: immer einmal wieder Goethe zur Hand nehmen und in tiefes Nachdenken verfallen!

  2. 14.

    Die verletzenden Taten als harmlos deklarieren und schon ist Ruhe im Amt.

  3. 13.

    Wurde bei der Auswertung berücksichtigt, was laut Landgericht Berlin "keine Diffamierung der Person und damit keine Beleidigungen", sondern unter "kontextbezogene Meinungsäusserung" fällt? Z.B. "Drecksfotze", "Stück Scheiße" u.ä..
    Leider wahr...
    https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2019/09/renate-kuenast-beleidung-berliner-landgericht.html

  4. 12.

    Sehr guter Kommentar!
    Vor allem kann doch jeder, der abdere aufs übelste beleidigt, selber aktiv werden in die Politik gehen und mitgestalten !
    Aber lieber meckern im anonymen als wirklich hier für uns alle mitzuhelfen.
    Ganz ehrlich wer will denn dann überhaupt noch Politiker sein das tut sich doch niemand wirklich mehr gerne an ist ebenso bei Schiedsrichtern und anderen Sparten zu merken und sehen.

  5. 11.

    AhaBerlinDienstag, 10.12.2019

    "Bedrohungen und wüste Beschimpfungen gehen natürlich nicht."
    So ist es.

    "Ich wünsche mir, dass die Qualität der Sprache zunimmt bei den Kommentaren und Mitteilungen der Bürger." Darf auch ruhig in deutlicher und einfacher Sprache sein, aber wie gesagt - ohne Bedrohungen und Beleidigungen.

    "Was ich mir nicht wünsche, ist ein Nachlassen der Intensität, denn die Politiker aller couleur sind an den unfassbaren Zuständen in dieser Stadt mitschuldig und brauchen sich nicht zu wundern, wenn es aus dem sprichwörtlichen Wald entsprechend wieder herausschallt."

    Wenn das mit "dem Wald" so stimmen würde, müsste jeden Tag eine Lobeshymne auf die guten und erfolgreichen Entscheidungen ebendieser Politiker angestimmt werden. Denn die sind eindeutig, trotz aller Fehler, die in jedem Betrieb mit Menschen passieren, in der Mehrheit. Auch wenn natürlich nicht für jeden und alles bei natürlichen Interessenunterschieden eine Ideallösung gefunden werden kann.

  6. 10.

    HartzIV und andere realitätsferne Belästigungen werden von Politiker*innen geschaffen, was zwar keine Beleidigungen rechtfertigt, jedoch aufzeigt, wozu künstliche Massenprobleme auf Seiten des Staates und der Staatsbürger*innen führen. Ich würde mir z. B. von christlichen Parteien wahre Nächstenliebe in der Gesetzesgebung bzw. bei deren Exekutive wünschen. Das Dumme an Beleidigungen besteht darin, dass diese zu keiner konstruktiven Kommunikation führen.

  7. 9.

    Mit dem Internet wächst die Reichweite konstruktiver wie destruktiver Vorschläge und es wächst zugleich auch die Bodenlosigkeit im Schutze der Anonymität. Wer würde schon einen Brief abschicken wollen mit komplettem Absender und mit eigener Handschrift, bei selbem Wortlaut, was jetzt unter Pseudonym passiert?

  8. 8.

    Bedrohungen und wüste Beschimpfungen gehen natürlich nicht. Ich wünsche mir, dass die Qualität der Sprache zunimmt bei den Kommentaren und Mitteilungen der Bürger. Was ich mir nicht wünsche, ist ein Nachlassen der Intensität, denn die Politiker aller couleur sind an den unfassbaren Zuständen in dieser Stadt mitschuldig und brauchen sich nicht zu wundern, wenn es aus dem sprichwörtlichen Wald entsprechend wieder herausschallt.

  9. 7.

    Guten Tag,
    vielen Dank für den Hinweis! Wir geben das an die Kollegen weiter, die sich mit dem Thema befasst haben.
    Beste Grüße

  10. 6.

    Das hätte sich für Brandenburg auch gelohnt auszuwerten.

  11. 5.

    Das ist ja leider ein allgemeines gesellschaftliches Problem geworden; der Umgang miteinander. Es ist gesellschaftsfähig geworden, sich an anderen unsachgemäß abzuarbeiten um sich selbst aufzuwerten. Leider eine Tendenz die, wenn auch nicht in den Kommentaren zu diesem Bericht, auch in den Leserkommentaren auf rbb24 deutlich schlimmer und redaktionell geduldet wird. So wird der Normalität von Beschimpfungen auch von den Medien Vorschub geleistet.

  12. 4.

    Viele Politiker brauchen sich nicht zu wundern. Man muß nur mal beobachten wie die mit dem Bürger umgehen. Geld ist wichtiger als die Menschen ( Umweltbelastung,Straßenverkehr, Grundwasserverseuchung durch Nitrat,icht geregelte Entsorgung von Kernbrennstäben u.s.w.) Ausnahme von diesem Muster sind die Linke und die Grünen. Wesentlich dünnhäutiger scheinen die Anhänger der C Parteien zu sein. Wenn die in ihrem vermeintlichen Grundrechten beeinträchtigt werden teilen die ganz schön aus,wobei die untere Grenze nicht bei der Gürtellinie endet. Ob man so auf Politiker reagieren muß liegt bei jedem selbst. Sehr viele müssen nicht so reagieren,über den Rest kann man nicht viel sagen ohne selbst beleidigend zu werden.

  13. 3.

    Das ist schön heftig mit den Beleidigung und Bedrohungen gegen Politiker.
    Aber auch für normale Menschen ist es in der Öffentlichkeit leider so, dass man auch bedroht und beleidigt wird, aus nicht nachvollziehbaren Gründen.
    Das ihat es vielleicht schon früher mal gegeben aber jetzt ist es leider fast normal.

  14. 2.

    Kein Wunder, in einer Stadt, die auseinander fliegt, es keinen Zusammenhalt, kein bißchen miteinander mehr gibt. Zuviel Geld und Gentrifizierung auf der einen Seite, zu wenig auf der anderen. Zuviel Englisch, Spanisch, etc um einen herum, nur Spaß und Party, dann wieder Streß und Angespanntheit bei Menschen, die nicht mithalten können. Ergebnis : Unzufriedenheit bei allen! Das bekommen die Politiker ab, sind ja an den Zuständen nicht unbeteiligt...

  15. 1.

    sind in dieser Aufstellung und Statistik auch die Beleidigungen der Politiker untereinander enthalten? Wenn ich mir so die Eine oder Andere Bundestagsdebatte ansehe, dann frage ich mich grundsätzlich welche Kommunikation dort betrieben wird. Und da die Politiker eine Vorbildfunktion haben, braucht sich niemand zu wundern wenn der"normale" Bürger nachzieht. Es wird ja vorgelebt.

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