Bahnverbindung Potsdam-Berlin - Einst Wegbereiter, jetzt verfallen - die Geschichte der Stammbahn

Vor über 180 Jahren wurde die Bahnstrecke zwischen Potsdam und Berlin-Mitte eröffnet und über Jahrzehnte intensiv genutzt. Doch mit Krieg und Mauerbau kam das Aus für die Stammbahn. Heute wünschen sich viele die Strecke wieder zurück. Von Friederike Steinberg
Im Jahr 1838 geht der erste Abschnitt der Stammbahn zwischen Berlin-Potsdamer Platz und Potsdam in Betrieb. Es ist die erste Bahnverbindung in Preußen und die zweite in Deutschland überhaupt. In den folgenden acht Jahren wird die Strecke bis nach Magdeburg verlängert.
Einige Jahrzehnte später bekommt die Stammbahn eine Art Zubringer: 1874 wird die "Wannseebahn" offiziell eröffnet. Mit dieser Verbindung werden die neuen Wohnviertel in Wannsee, Nikolassee und Schlachtensee angebunden. Der Bahnbogen zweigt in Zehlendorf von der Stammbahn ab und fädelt bei Wannsee wieder ein. Die Strecke der "Alten Wannseebahn" wird damals bereits zweigleisig angelegt.

Wegen der Bevölkerungszunahme in Berlin und Potsdam steigt der Bedarf nach Vorortzügen - daher wird auch die Berlin-nahe Stammbahnstrecke ausgebaut. Bis 1891 verlegen die Bahner weitere Gleise von Potsdamer Platz bis Zehlendorf - die sogenannte "neue Wannseebahn". Damit können zwischen Berlin-Mitte und Potsdam nun Fern- und Vorortzüge auf getrennten Gleispaaren fahren.
1939 eröffnet zwischen den Bahnhöfen Zehlendorf und Neubabelsberg (Griebnitzsee) ein neuer Bahnhof: Düppel, ab den 1950er Jahren Düppel-Kleinmachnow.

Gegen Ende des zweiten Weltkriegs werden zahlreiche Bahnanlagen zerstört, unter anderem der Potsdamer Bahnhof. Im April 1945 wird zudem die Brücke der Stammbahn über den Teltowkanal gesprengt - der Betrieb auf der Strecke zwischen Zehlendorf und Griebnitzsee muss nun komplett eingestellt werden. Als Reparationsleistungen müssen außerdem nach dem Krieg beide Gleise zwischen Griebnitzsee und Düppel sowie das südlich gelegene Gleis bis Zehlendorf entfernt werden. Damit kann die Bahn von 1945 an nur noch auf einem Gleis bis Düppel fahren.
Von 1948 an verkehrt wieder die S-Bahn bis Düppel. Ab dem Mauerbau 1961 sinkt das Fahrgastaufkommen aber stark. 1972 wird zwar noch ein neuer Haltepunkt auf der Pendelstrecke eingerichtet: Zehlendorf-Süd. 1980 werden jedoch beide Bahnhöfe, Zehlendorf-Süd und Düppel, im Rahmen des Streiks der Reichsbahner stillgelegt. Damit ist die Stammbahn endgültig Geschichte.
Mit der Wende werden die Karten neu gemischt. Das Bundesverkehrsministerium stellt Anfang der 2000er erste Gelder bereit, 2006 wird am Nord-Süd-Tunnel bereits ein Abzweig zur Stammbahn gebaut. Dann aber tut sich nur noch wenig.
Im Jahr 2008 erstellen die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und das Brandenburger Infrastrukturministerium eine Kosten-Nutzen-Analyse für eine Reaktivierung der Stammbahn mit dem Ergebnis, dass eine Wiederbelebung - für geschätzte Kosten von 175 Millionen Euro - nicht lohnt. Die Stammbahn werde wohl kaum neue Nahverkehrskunden gewinnen, heißt es in Gutachten. Die Trasse verlaufe am äußersten nördlichen Rand von Kleinmachnow, erschließe den Ort also kaum. Und auch am Bahnhof Dreilinden (Europarc) wird die Zahl der Fahrgäste als zu gering eingeschätzt.
2015 schlägt der CDU-Kreisverband Steglitz-Zehlendorf vor, auf der Trasse stattdessen einen Rad-Schnellweg einzurichten. Der damalige Verkehrssenator Andreas Geisel (SPD) kann sich das vorstellen - sieht zu diesem Zeitpunkt aber schon wieder Bedarf: "Wenn Berlin und Potsdam wachsen, werden wir die Stammbahn in 10 bis 15 Jahren dringend wieder für den Bahnverkehr brauchen", sagt er damals der DPA.

In Verkehrskonzepten für Berlin und Brandenburg gewinnt die Stammbahn danach immer mehr Bedeutung [vbb.de]. Mitte 2019 wird die Wiederbelebung schließlich in das Bahnkonzept "Deutschland-Takt" aufgenommen [http://dipbt.bundestag.de].
In den folgenden Monaten entbrennt ein Streit in den betroffenen Regionen, ob eine neue Stammbahn wieder genau über die alte Trasse fahren sollte. Ein Aktionsbündnis aus Anwohnern und Naturschützern schlägt vor, zwischen Zehlendorf und Griebnitzsee ein brachliegendes Gleis neben der S1 als Umfahrung zu nutzen und die inzwischen bewaldete alte Trasse nicht mehr zu bebauen.
Anfang 2020 ist laut Bahnplanern des Projekts i2030 von der einstigen Potsdamer Stammbahn zwischen Potsdamer Platz und Griebnitzsee "nicht mehr viel übrig". "Die Gleise zwischen Griebnitzsee und Düppel wurden seit 1945, jene zwischen Düppel und Zehlendorf seit 1980 nicht mehr befahren und die Anlage befindet sich in einem dementsprechend schlechten Zustand und ist zum Teil von der Natur überwuchert. Die einstigen Stationen Düppel und Zehlendorf Süd bestehen nur noch als Ruinen. Lediglich über den Teilabschnitt hinter Zehlendorf bis Lichterfelde West fährt heute unregelmäßig Güterverkehr. Weiter Richtung Potsdamer Platz sind die Gleise gesperrt."
Der Verlauf der Stammbahn sei aber weiterhin als Bahnstrecke gewidmet, "kann also aus rechtlicher Sicht jederzeit wieder in Betrieb genommen werden. Je nach Ausgestaltung des avisierten Ausbaus ist gegebenenfalls die Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens erforderlich."