Emser Straße 27 in Neukölln - Warum Mieter seit 15 Monaten hinter einem Baugerüst leben - ohne dass gebaut wird
Eine Neuköllner Hausgemeinschaft wehrt sich gegen eine Fassadenmodernisierung, die sie für ungerechfertigt hält. Das Problem: Es kann nicht mehr überprüft werden, ob die Modernisierung nötig war, da große Teile vom Putz entfernt wurden. Von Oliver Noffke
Metallstangen versperren den Blick. In den Räumen des Hauses wird es selbst mitten am Tag nicht recht hell. Seit etwa 15 Monaten leben die Bewohner eines Neuköllner Mietshauses hinter einem Baugerüst, ohne dass an ihrem Haus irgendwelche Arbeiten durchgeführt werden. "Alle wollen natürlich dieses Gerüst weghaben, denn es nervt jetzt nur noch", so eine Bewohnerin. Die Hausgemeinschaft wehrt sich gegen Modernisierungsmaßnahmen, die nach einem Eigentümerwechsel angekündigt worden waren. Da dadurch der Standard der Wohnungen aufgewertet würde, wären anschließend höhere Mieten zulässig. In dem Haus zahlen einige Bewohner derzeit deutlich unter sechs Euro Miete pro Quadratmeter.
Das Haus in der Emser Straße 27 befindet sich in einem Milieuschutzgebiet. Einige Modernisierungsmaßnahmen dürfen deshalb nicht ohne Weiteres durchgeführt werden. Bevor es zu einer Aufwertung kommt, muss der Bezirk zustimmen. Das zuständige Amt kann auch vor Ort prüfen, ob die beantragten Maßnahmen wirklich notwendig sind - oder lediglich auf eine Aufwertung abzielen. Das Verhalten der neuen Eigentümerfirma hatte jedoch dazu geführt, dass so eine Überprüfung nicht mehr ohne Weiteres an dem Haus durchgeführt werden konnte. rbb|24 hatte darüber berichtet.
Streit um überraschend durchgeführte Fassadenarbeiten
Die neue Besitzerin, die Firma Wibe Immobilien Gruppe aus Wien, hatte 2018 unter anderem eine Energetische Modernisierung angekündigt. Die Bewohner stellten die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme infrage. Sie hielten die Außenfassaden zum damaligen Zeitpunkt für unbeschädigt. Sie wendeten sich an das Bezirksamt Neukölln. Wenig später erhielten sie Post vom Vermieter. Von einer neuen Dämmung war nun keine Rede mehr, stattdessen sollte die Fassade einen neuen Anstrich erhalten. Dafür ist keine Genehmigung notwendig.
Malerarbeiten wurden allerdings nicht vorgenommen. Stattdessen wurden mit Spraydosen Kringel an die Außenwände gesprüht. An einem Samstag im Dezember 2018 haben dann Bauarbeiter Putz herausgebrochen. Die entstandenen, etwa Lenkradgroßen Löcher sind in recht regelmäßigen Abständen über fast die gesamte Fassade verteilt.
Aufwertungen im Milieuschutzgebiet
Im Februar organisierten die Bewohner ein Hoffest. Sie feierten, dass ein Jahr zuvor eine dicke Bauplane von dem Gerüst entfernt worden war. Nachdem wochenlang keine Arbeiten an dem Haus durchgeführt worden waren, hatten sie gefordert, dass die Plane abgehängt werden muss. Zu dem Hoffest hatte die Hausgemeinschaft auch Georg Kössler eingeladen. Er sitzt für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. "Es wird gesagt, dass die Fassade an den Stellen hohl war und das aus Sicherheitsgründen abgeschlagen werden musste", sagte Kössler nach dem Hoffest rbb|24 über die mit Löchern übersäte Fassade. "Das ist aber natürlich schwer nachzuprüfen, weil der Putz schon runter ist."
Sind bei einem Haus im Milieuschutzgebiet mindestens zehn Prozent der Fassade beschädigt, darf eine Energetische Modernisierung genehmigt werden. Entscheidend ist dabei der Zustand der gesamten Fassade. Die Regel erlaubt es den Bezirken Zwangsrenovierungen durchzusetzen, etwa wenn sie vermuten, dass Häuser absichtlich verfallen lassen werden. Dass zehn Prozent der Fassade beschädigt sind, hatten die Mieter immer bezweifelt.
Eigentümer erwarten Genehmigung
Zur Überraschung für die Bewohner der Emser Straße 27 und die Eigentümer geriet vor einigen Monaten eine gemeinsame Begehung mit Vertretern vom Bezirksamt. Dabei wurde eine Brandmauer des Hinterhauses begutachtet. Bis dahin gingen alle davon aus, dass an diese Mauer direkt das nächste Gebäude anschließen würden. Dass es sich tatsächlich um eine Außenwand handelte hatte keiner auf dem Schirm. Seit Jahrzehnten wurde daran nichts gemacht. Damit war klar, dass wohl doch mindestens zehn Prozent der Fassade beschädigt sind, unabhängig davon in welchem Zustand der Rest der Außenwände war, bevor die Löcher in den Putz geschlagen wurden.
"Wir sind guter Dinge eine Genehmigung zu erhalten", sagte Christian Reisacher auf Anfrage von rbb|24. Er ist einer der beiden Geschäftsführer der Firma Wibe. Vergangene Woche habe es ein Telefonat mit einer Sachbearbeiterin des Bezirksamt gegeben, so Reisacher. Seither geht er davon aus, dass bald modernisiert werden kann. Weitere Fragen von rbb|24 zum Haus sowie zu einigen Vorwürfen der Bewohner wollte Reisacher nicht beantworten.
Hausgemeinschaft will sich nun von Anwalt beraten lassen
Etwa warum im vergangenen Hochsommer zwei Monate lang keine Mülltonnen geleert worden waren. Oder zu einer Wohnung im Erdgeschoss des Hinterhauses, die im Februar inseriert worden war. Die 36 Quadratmeter große Einzimmerwohnung wurde für 14,70 Euro kalt inseriert. Mittlerweile ist die Anzeige verschwunden. Der Makler hatte auf Anfrage von rbb|24 Mitte Februar angekündigt, dass die Wohnung wegen des Mietendeckels wohl nicht mehr zu diesem Preis angeboten werden kann und die Anzeige deshalb zurückgezogen werde.
Unter den Bewohnern der Emser Straße 27 ist die Stimmung derzeit getrübt. "Viele im Haus scheinen jetzt erstmal orientierungslos und enttäuscht zu sein", so eine Bewohnerin. "Die Luft ist gerade irgendwie raus. Ich weiß auch noch gar nicht, wie ich das einordnen soll", sagt sie, über die Aussicht, dass demnächst wohl doch Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt werden. Trotzdem werde die Hausgemeinschaft jetzt nicht still halten, sagt sie. "Wir werden uns jetzt von einem Anwalt beraten lassen. Das ist auf jeden Fall noch nicht das Ende."