Prozessauftakt im Mordfall Lübcke - Wie Brandenburger Lokalpolitiker mit Attacken umgehen

Kassel und der Mord an dem Poliker Walter Lübcke scheinen weit weg. Doch auch in Brandenburg gehören für Lokalpolitiker Attacken und Beschimpfungen zum Alltag. Etwa für Tom Ritter in Luckenwalde oder Andreas Noack in Velten. Von Oliver Soos
Andreas Noack musste in seiner langen Amtszeit als SPD-Stadtverordneter in Velten (Landkreis Oberhavel) schon einiges einstecken. In den 1990er-Jahren wurde sein Auto zerkratzt, die Scheiben wurden eingeschlagen. Dann war es lange ruhig, erzählt der 55-Jährige.
Bis es dann 2012 in Velten einen heftigen politischen Streit um den S-Bahn-Anschluss und um eine Wohnbebauung gab. Da sei der Diskurs entgleist, so Noack: "Vor allem in den sozialen Netzwerken wird seitdem beleidigt und persönlich diffamiert. Es gibt heute eine breite Front aus NPD, AfD, Pro Velten, bis hin zu einzelnen CDU-Stadtverordneten, die hart gegen unsere SPD-Bürgermeisterin und gegen Politiker von SPD und Linken austeilen“, sagt Noack.

Zettel im Briefkasten, Beleidigungen im Netz
Auch er selbst sei im Netz beleidigt worden und habe Zettel in seinem privaten Briefkasten gefunden, auf denen er aufgefordert wurde, doch mit den Flüchtlingen nach Syrien zu verschwinden. Und Noack erzählt von seinem wohl schlimmsten Erlebnis. Das war vor zwei Jahren, als über WhatsApp ein Drohvideo verbreitet wurde.
Der SPD-Politiker hat dieses Video noch auf seinem Laptop. Der Clip ist wie ein Schwarz-Weiß-Horrorfilm aufgemacht, mit gruseliger Musik. Es zeigt zuerst einen Teufel und dann die Gesichter von Noack, von Bürgermeisterin Ines Hübner und von anderen Stadtverordneten der SPD und der CDU. Alle haben ein schwarzes Kreuz auf der Stirn.
Man müsse "als Kommunalpolitiker leidensfähiger sein als eine Privatperson"
"Es war wie eine Aufforderung an Dritte: 'Die müsst ihr loswerden!' Kreuz auf der Stirn, abschießen", sagt Noack. Er habe in dieser Situation vor allem an seinen Sohn gedacht, wie er damit klarkommen würde, dass sein Vater bedroht wird.
Die Stadtverordneten haben dann Anzeige erstattet, doch es nützte nichts. Die Polizei konnte zwar den Urheber des Videos ermitteln - einen Mann aus dem Umfeld der rechtskonservativen Wählervereinigung Pro Velten -, sagt Noack. Doch zu einer Anklage kam es nicht.
"Die Verfahren sind seitens der Staatsanwaltschaft eingestellt worden, mit dem Hinweis, dass man als Kommunalpolitiker leidensfähiger sein muss, als eine Privatperson. Das hat mich sehr bedrückt. Das heißt auf Deutsch, dass du dir als Kommunalpolitiker gefallen lassen musst, beschimpft und bespuckt zu werden." Im vergangenen Jahr dann wurde Noack für die SPD in den Potsdamer Landtag gewählt. Hier hat er bislang noch keine Beleidigungen oder Bedrohungen erlebt. Mit dem Problem habe man vor allem als Lokalpolitiker zu kämpfen, sagt Noack.
Anschreien auf dem Boulevard, Beschimpfungen auf Wahlplakaten
Tom Ritter aus Luckenwalde (Landkreis Teltow-Fläming) wird seit einem Jahr immer wieder massiv bedroht, meist von Neonazis, sagt er. Er wurde bespuckt, im Bus angerempelt und von vorbeifahrenden Radfahrern angepöbelt. Auf dem Boulevard, der Luckenwalder Fußgängerzone, meidet er einige Geschäfte, weil er dort Mitglieder der NDP-Jugendorganisation antreffen kann und weil er aus den Läden heraus angeschrien wurde.
Tom Ritter ist 19 Jahre alt. Er ist Grünen-Stadtverordneter, organisiert in Luckenwalde Fridays-for-Future-Proteste und engagiert sich gegen Rechts. Für viele ist das Grund genug, ihn zu hassen. "Es ging tatsächlich vor einem Jahr mit Fridays for Future los. Da wurde ich auf Facebook beleidigt", erzählt Ritter. Bei der Kommunalwahl im vergangenen Jahr seien bei seinen Plakaten dann gezielt die Köpfe abgerissen oder übermalt worden, zum Teil mit üblen Sprüchen, wie "Fick dich", so Ritter.

Rechte Demos - Tage, wo er sich verstecken muss
Wenn es in Luckenwalde montags rechte Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen gibt, versteckt sich der junge Grünen-Politiker, denn er hat dann immer ungebetene Gäste vor seinem Elternhaus. "Die brüllen Sachen wie: 'Hier wohnt doch Tom Ritter, komm raus, wenn du dich traust, scheiß Grüner.' Ich gehe dann meistens weg vom Fenster, in den Garten, damit sie mich nicht sehen", erzählt der Stadtverordnete. Er habe auch die Erfahrung gemacht, dass Anzeigen im Sande verlaufen sind und habe es deshalb aufgegeben, alle Straftaten der Polizei zu melden.
Tom Ritter sagt, er habe sich im letzten halben Jahr immer wieder mit dem Fall Lübcke [tagesschau.de] beschäftigt. Ihm sei bewusst, dass aus einer Bedrohung auch tödlicher Ernst werden kann. Bislang habe er aber Glück gehabt. Er sei vorsichtig, schaue sich beim Laufen oft um, wechsle immer wieder die Straßenseite und wähle manchmal Umwege, wenn sie sicherer erscheinen. Doch trotz der Bedrohung und der Angst will sich Tom Ritter sein politisches Engagement nicht nehmen lassen.
Sendung: Inforadio, 16. 05. 2020, 6.30 Uhr