Elterninitiative Hoppipolla - Wenn Eltern Kita-Plätze schaffen und sich dabei ruinieren
Eltern wollen in Neukölln eine Kita gründen, vor allem für Familien, die Erfahrung mit Diskriminierung gemacht haben. Die Verwaltung gibt grünes Licht - bis sich plötzlich herausstellt, dass die Fördertöpfe des Landes leer sind. Nun droht das Projekt zu scheitern. Von Sebastian Schöbel
Seit Februar sucht Iman Congo aus Lichtenberg einen Kita-Platz für ihren vierjährigen Sohn. Bisher ohne Erfolg. Im Gegenteil. "Wir hatten eine Situation, wo wir bei einem Kinderladen hospitiert haben und dort beleidigt wurden. Als ich gefragt habe, warum die Kinder so etwas zu uns sagen, haben die mir eiskalt ins Gesicht gesagt: Weil ihr schwarz seid."
Eine Erfahrung, die auch der Sohn von Claire Lerner machen musste. In seiner früheren Kita sei der schwarze Junge ebenfalls wegen seiner Herkunft diskriminiert worden, sagt seine Mutter. "Es gab Schimpfworte und ging so weit, dass er gar nicht mehr gehen wollte", sagt sie. Irgendwann habe der Junge gesagt: "Ich will meine Haut abwaschen."
Mit dem Wunsch, eine bessere Kita zu schaffen, gründete Claire Lerner zusammen mit anderen Eltern Ende 2018 den Verein Hoppipolla. Das ist Isländisch für: "Die Freude, in Pfützen zu springen". Heute umfasst die Gruppe 17 Erwachsene und zehn Kinder, darunter auch Iman Congo und ihr Sohn. Das Ziel: die "Schaffung eines vorurteilsbewussten, anti-rassistischen Ortes ohne klischeehafte Geschlechterrollen".
Die Eltern besuchten Seminare, darunter den Pflichtkurs der Kita-Aufsicht, fanden einen Architekten und pädagogische Fachkräfte, erstellten etliche Konzepte und Kalkulationen. Nach 40 Fehlschläge und zum Teil haarsträubenden Erfahrungen mit Vermietern hatten sie schließlich auch die passenden Räumlichkeiten unweit des Neuköllner Rathauses gesichert. Ein paar kostspielige Gutachten und juristische Beratungen später schien alles klar zu sein. "Wir wollten im August diesen Jahres loslegen, und am Anfang März war das Signal von der Senatsverwaltung, von der Fördermittelstelle noch, dass das ein realistischer Zeitplan ist."
Nach einer Woche kam die Absage
Am 19. März bewarb sich die Elterninitiative für Mittel aus dem Landesprogramm "Auf die Plätze, Kitas, los!". Eine Woche später kam die Absage: Es sei kein Geld mehr da, es bleibe nur die Warteliste.
Die Elterninitiative Hoppipolla traf das völlig unvorbereitet: Niemand in der Bildungsverwaltung habe das vorher erwähnt, sagt Claire Lerner. "Bis zum heutigen Zeitpunkt haben wir von der Senatsverwaltung kein Signal, dass das Geld fehlt."
Marianne Burkert-Eulitz, familienpolitische Sprecherin der Grünen, kann nicht nachvollziehen, "dass wir als Parlamentarier von der Verwaltung nicht frühzeitig darüber informiert wurden, dass die Voranmeldungen für das Landesprogramm schon im März 'überbucht' waren". Babette Sperle vom Dachverband der Berliner Kinder- und Schülerläden (DaKS) spricht von einer "absoluten Sondersituation". "Ich glaube, selbst die Verwaltung ist überrascht gewesen." Offenbar habe man damit gerechnet, dass mehr Geld über den Nachtragshaushalt in das Programm kommt - doch das ist nicht geschehen.
Grünen-Politikerin Burkert-Eulitz sagt, die Aufstockung der Landesmittel werde nun in der Koalition vorangetrieben. "Leider sind das keine kurzfristigen Lösungen, sondern werden Anstrengung und auch Zeit kosten", räumt sie ein.
Zeit, die die betroffenen Initiativen nicht haben, warnt Babette Sperle: Sie stünden nun vor "unüberwindlichen Problemen".
67 Millionen waren im März schon aufgebraucht
Auf rbb-Nachfrage bestätigt die Bildungsverwaltung: Von den 67 Millionen Euro, die in diesem Jahr für das Förderprogramm zur Verfügung standen, sei bereits alles verplant. Erst 2021 soll es weitere 23 Millionen Euro geben.
Für Hoppipolla kommt das zu spät, sagt Claire Lerner: Die Eltern hätten bereits über 22.000 Euro Schulden angehäuft, weil alle Ausgaben aus eigener Tasche vorfinanziert wurden. Nun drohe die Insolvenz. Denn mit den laufenden Mietkosten von rund 2.000 Euro pro Monat wachse der Schuldenberg. Der Umbau der Kita-Räume steht noch aus, Veträge mit Pädagoginnen und Pädagogen können nicht gemacht werden und die Kitaplätze würden dringend gebraucht.
Hoppipolla-Mitbegründerin Anna-Maria Müller ist sauer. "Es ist schwierig, Menschen zum Durchhalten zu bewegen, wenn gar nichts kommt", sagt sie. "Vor allen Dingen, wenn auf der einen Seite der Schuldenberg einfach immer weiter wächst. Und ich finde es auch einen sehr, sehr schlechtes Signal an die sich ehrenamtlich auf den Weg machen, um das zu tun, was das Land Berlin eigentlich tun sollte: Kita-Plätze zu schaffen."
80 Interessenten auf der Warteliste
Babette Sperle vom DaKS rät allen betroffenen Elterninitiativen, umgehend Beratung zu suchen und vor allem keine weiteren Verpflichtungen einzugehen. "Keine Mietverträge abschließen, keine Aufträge an Architekten, Gutachter auslösen", sagt Sperle - in dem Wissen, dass man all das "normalerweise machen muss, um überhaupt Zugang zu diesen Fördermitteln zu bekommen".
Die Senatsverwaltung für Bildungs teilt derweil auf Nachfrage des rbb mit: Insgesamt gebe es derzeit "weitere rund 80 Interessenten für das Landesprogramm". Darunter seien kleine und große Projekte. "Diese Projekte sind noch nicht geprüft, man kann also nicht sagen, dass sie auf alle Fälle eine Förderung erhalten würden." Das hänge von der Gesamtbewertung des Projekts ab, so eine Sprecherin der Verwaltung.
Gut möglich, dass diese Bewertung für die Hoppipolla-Kita bald nicht mehr nötig sein wird.
Sendung: Inforadio, 27.02.2020, 7:00 Uhr