Interview | Kurzstudie zu Pop-up-Radwegen - Autofahrer fahren jetzt "noch aggressiver und schneller"
Elf temporäre Radwege schlängeln sich durch Berlin, 25 weitere haben die Bezirke geplant. Doch was denken die Berliner über die Radwege? Die Wissenschaftlerin Sophia Becker hat das in einer Kurzstudie untersucht und zeigt: Die Wege spalten Verkehrsteilnehmer enorm.
Sophia Becker ist Professorin für nachhaltige Mobilität an der Technischen Universität Berlin. Im Rahmen der Forschungsruppe "Die Verkehrswende als sozial-ökologisches Real-EXPERIment" hat sie zusammen mit Katharina Götting für eine Kurzstudie über 1.600 Berliner zu den temporären Radwegen befragt.
rbb|24: Frau Becker, was waren die Ergebnisse Ihrer Studie?
Sophia Becker: Wir haben festgestellt, dass ein großer Vorteil, den die Menschen wahrnehmen, mehr Platz für die Radfahrer ist. Aber auch mehr gefühlte Sicherheit beim Fahrradfahren wird genannt. Ein Nachteil, der genannt wird, ist, dass es mehr Stau auf der Pkw-Spur gibt. Aber es gibt auch Probleme bei der Parkplatzsuche und beim Lieferverkehr, die teilweise noch nicht gelöst sind.
Wie haben die unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer auf die temporären Radwege reagiert?
Man sieht ganz stark, dass fast 100 Prozent der befragten Radfahrer dafür sind. Aber auch bei den Fußgängern und den Nutzern von öffentlichen Verkehrsmitteln sind drei Viertel dafür. Das heißt: Wir sehen eine sehr einheitliche Meinung beim sogenannten Umweltverbund. Bei den Autofahrenden ist es umgekehrt. Da sind knapp über 80 Prozent gegen die Radwege. Insofern gibt es zwischen den verschiedenen Verkehrsmittelnutzern tatsächlich einen großen Unterschied.
Der ADAC kritisiert, dass das Konzept 'weniger Platz gleich weniger Autos' nicht aufgeht. Wie beurteilen Sie das?
Kurzfristig tut das erst mal weh, wenn man weniger Platz hat als vorher. Das ist klar. Aber es wird nicht anders gehen. Und mittelfristig zeigt sich, dass der Verkehr tatsächlich abnimmt, weil mehr Menschen auf das Rad oder den öffentlichen Nahverkehr umsteigen. Insofern sind das erst mal Umstellungsschwierigkeiten. Aber auch vor den Pop-up-Radwegen und vor Corona gab es schon Stau. Es sind nicht die Pop-up-Radwege, die dazu führen, dass das Auto ein sehr platzkonsumierendes Verkehrsmittel ist und in den Innenstädten nur begrenzte Funktionen erfüllen kann.
Kritiker äußern auch Sicherheitsbedenken.
Also generell schaffen die Pop-up-Radwege mehr Sicherheit, zum Beispiel am Kottbusser Damm. Dort gab es vorher keine Radspur. Trotzdem können auch die Pop-up-Radwege nicht alle Sicherheitsprobleme lösen. Rechtsabbiegende LKW gibt es nach wie vor. Ebenso wie Autos, die auf dem Radweg parken. Das ist ja der Grund, warum im Mobilitätsgesetz eigentlich die baulich getrennten Radwege vorgesehen sind. Und das halte ich auch für die richtige Lösung.
Wie könnte man die Pop-up-Radwege noch optimieren?
Wichtig sind vor allem der Anfang und das Ende eines Radwegs. Für einige kommen die manchmal etwas überraschend. Das liegt daran, dass man sich umstellen muss. In den nächsten ein, zwei Jahren brauchen wir ein durchgängiges Netz mit baulich getrennten Radwegen. Dann sollte auch die Sicherheit deutlich erhöht sein.
Und das sollte auch zu weniger Aggressionen zwischen den Verkehrsteilnehmern führen. Denn das haben uns die Befragten in der Umfrage auch berichtet: Als Radfahrende haben sie den Eindruck, dass die Autofahrer jetzt noch aggressiver geworden sind. Das sind natürlich subjektive Wahrnehmungen, das ist sehr schwer zu greifen, aber es ist zumindest das, was wir als Antwort bekommen haben.
Durch die Pop-up-Radwege sind die Autofahrer aggressiver geworden?
Die Fahrradfahrer sagen, eine Wirkung der Pop-up-Radwege ist, dass die Autofahrer sich jetzt verärgert fühlen, weil ihnen Platz weggenommen wurde. Und jetzt fahren sie noch aggressiver und schneller, oder noch dichter an der Pop-up-Radspur entlang. Das ist aber ganz schwer objektiv zu messen. Es gibt auch kaum Studien zu dem Thema Aggressionen im Straßenverkehr.
Was man aber auf jeden Fall gesehen hat – und dazu gibt es auch objektive Daten - ist, dass das Rasen zugenommen hat. Die leereren Straßen haben nicht dazu geführt, dass der Verkehr auf den Straßen entspannter geworden ist, sondern im Gegenteil, dass sich mehr Leute dazu animiert gefühlt haben, jetzt mal richtig drauf zu drücken. Und das ist natürlich auch eine Gefährdung für Fußgänger und Radfahrer.
Sendung: Inforadio, 20.06.2020, 12:20 Uhr