Deniz Yücel über Prozess in Istanbul - "Dieses Urteil ist ein weiterer Skandal"
Zu zwei Jahren, neun Monaten und 22 Tagen Haft hat ein Istanbuler Strafgericht am Donnerstag den Berliner Journalisten Deniz Yücel verurteilt - wegen "Terrorpropaganda". Der "Welt"-Autor zeigt sich im rbb empört und will gegen das Urteil ankämpfen.
Für den deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel ist seine Verurteilung wegen Terrorpropaganda durch ein Istanbuler Gericht "ein weiterer Skandal in einer Kette von Skandalen". Yücel sagte am Donnerstag dem rbb, dies habe mit seiner Verhaftung in der Türkei begonnen und sei mit öffentlichen Anschuldigungen und Isolationshaft bis hin zu Misshandlungen im Gefängnis fortgesetzt worden. Skandalös seien schließlich auch die Umstände seiner Freilassung gewesen.
Yücel, der für die "Welt" schreibt und in Berlin lebt, wurde am Donnerstag in Abwesenheit zu einer Haftstrafe von zwei Jahren, neun Monaten und 22 Tagen verurteilt [tagesschau.de]. Der 46-Jährige saß bis zum 16. Februar 2018 ein Jahr in türkischer Untersuchungshaft, er verließ das Land unmittelbar nach seiner Freilassung und kehrte nicht mehr zurück.
"Weiß nicht, ob es über Erdoğans Tisch ging"
"Heute hatte das Gericht die Möglichkeit, dem im Nachhinein ein Ende zu bereiten - stattdessen haben sie sich entschieden, dieser Kette von Skandalen neue hinzuzufügen", sagte Yücel. Das Gericht in Istanbul habe sich über das Urteil des türkischen Verfassungsgerichts hinweggesetzt, das seine Untersuchungshaft für rechtswidrig und seine Texte als von der Pressefreiheit gedeckt befunden habe. Nun werde eine schriftliche Einlassung, die er in einem Berliner Gericht abgegeben habe, für ein neues Strafverfahren missbraucht.
Ob das Gericht selbst geurteilt habe oder in Wirklichkeit Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, wollte Yücel nicht abschließend bewerten. "Die Umstände meiner Freilassung hat Erdoğan in zwei Gesprächen mit Sigmar Gabriel besprochen. Jetzt weiß ich nicht, ob es noch über seinen Tisch ging." Er vermute aber, so Yücel, dass die Richter des Strafgerichts sich einer Unterstützung gewiss sein könnten, "wenn sie nicht sogar auf Veranlassung handeln".
Yücel will Urteil anfechten
Yücel betonte, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig sei. "Wir werden selbstverständlich in Revision gehen." Letztlich sei er bereit, auch vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ziehen. "Dieses Urteil wird früher oder später aufgehoben werden, ganz sicher."
Sendung: Radioeins, 16.07.2020, 16.00 Uhr