Wenn der Fernunterricht droht - Berliner Schulen drängen auf bessere digitale Ausstattung
Unterricht in voller Klassenstärke – so läuft es momentan. Wenn die Infektionszahlen weiter steigen, soll es eine Mischung aus Präsenz- und Fernunterricht geben. Aber dafür fehlen oftmals die Voraussetzungen. Von Kirsten Buchmann und Matthias Schirmer
"Da hakt es noch ganz schön", sagt Stephan Witzke – und meint die digitale Schule. Witzke ist Vorstandsmitglied der Schulleitervereinigung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Rektor in Neukölln. Um den digitalen Unterricht voranbringen zu können, fehlt ihm an seiner Schule etwa noch ein neuer Server: "Ich möchte für alle Schüler und Lehrer das Office-Paket kaufen, aber ich kann es nicht installieren, weil der Vertrag für den Server ausläuft."
Aufgaben auch online
Seine Grund- und Förderschüler sollen erst einmal Basiswissen lernen: Wie melde ich mich am Computer an, wie lade ich eine Aufgabe für den Lehrer hoch? Denn die Kinder sollen dann Aufgaben in Mathe, Deutsch oder Englisch auch online bewältigen können - in Corona-Zeiten, wenn nötig, im Fernunterricht.
Um seine Schule dafür zum Beispiel mit Laptops ausstatten zu können, wünscht sich Witzke allerdings mehr Unterstützung. Er kann nicht verstehen, wo die angekündigte digitale Ausstattung bleibt, die mit Geld aus dem Digitalpakt des Bundes und der Länder finanziert werden soll. "Da merkt man nicht, dass es hier eine Priorität gibt, jedenfalls nicht hier konkret vor Ort."
Bei den Zeugnisvorlagen fängt es an
Andernorts ist die Kritik noch härter: "Setzen. Sechs" – so zensiert ein Gymnasiallehrer anonym im rbb Inforadio-Chat die Senatsschulverwaltung. Seit langem schaffe diese es nicht einmal, Zeugnisvorlagen als bearbeitbare PDF-Dateien zu liefern. Stattdessen kämen sie in Formaten, die an schulischen Rechnern gar nicht benutzt werden dürften. Ein Hybrid-Unterricht – also eine Mischung aus Präsenz- und Fernunterricht - sei weder vom Stundenplan her noch technisch auf eine Weise möglich, dass die Zuhausebleibenden sich darauf verlassen könnten. Die Schulen hätten oft keinen ausreichenden Breitband-Anschluss.
Welche Tools sind datenschutzrechtlich überhaupt erlaubt?
Kritik kommt auch von den Eltern: Sie habe nicht den Eindruck, dass die letzten sechs Wochen Sommerferien sinnvoll genutzt wurden, sagt Esther Konieczny vom Eltern-Krisenteam der Flaeming-Grundschule in Friedenau: Noch immer sagten ihr Grundschullehrer, sie wüssten nicht, welche elektronischen Tools sie benutzen dürfen und welche nicht. "Das, finde ich, ist ein Skandal."
Sie bekommt Unterstützung von Jacob Chammon. Er arbeitet für das Forum Bildung Digitalisierung e. V. und war selbst in Berlin Schuldirektor. Die Schulverwaltung müsse Lehrenden hier den Rücken freihalten – und die Schulleitungen stärken, so Chammon im rbb. Wer als Direktorin oder Direktor ständig den Eindruck habe, mit einem Bein im Gefängnis zu stehen, von dem dürfe auch niemand erwarten, dass sie oder er mit digitaler Eigeninitiative mutig voranschreite.
Verteidigung aus der Senatsschulverwaltung
Die Verwaltung habe sich in den Ferien keineswegs "einen schlanken Fuß gemacht“, erwidert Bildungsstaatssekretärin Beate Stoffers im rbb. Pädagogen seien mit Fachbriefen zum digitalen Lernen unterstützt worden. Und von 4,9 Millionen Euro Soforthilfe des Senates seien seit Beginn der Corona-Krise unter anderem 9.500 Tablets für sozialbedürftigte Kinder angeschafft und auch unter ihnen verteilt worden. Aus Bundesmitteln sollten nun demnächst weitere 40.000 Tablets für Schüler bestellt werden, sagt die Staatsekretärin. Außerdem würden doch bis Jahresende 2020 schon einmal alle Berufsschulen ans Breitbandnetz angeschlossen - das war ursprünglich für Dezember 2019 angekündigt. Auch für alle anderen Schulen, die allgemeinbildenden Schulen, bediene sich die Schulverwaltung hierfür des IT-Dienstleisters IDTZ. "Das ist nicht trivial, da geht es um 980 Standorte", so Stoffers.
Klar ist: Je näher wegen steigender Corona-Fallzahlen ein Fernunterricht rücken könnte - immer jeweils für einen Teil der Klasse - desto lauter dürften die Rufe aus den Schulen werden, für ihre digitalen Angebote mehr Unterstützung zu erhalten.
Erst vier Millionen aus dem Digitalpakt geflossen
Aus den Mitteln des Digitalpakts soll es für Berliner Schulen für fünf Jahre insgesamt rund 260 Millionen Euro geben. Inzwischen haben mehr als 600 der rund 800 Berliner Schulen ihre Anträge gestellt. Für sie können laut der Bildungsverwaltung also die Bezirke Fördergelder aus dem Digitalpakt beantragen. Erst ein Bruchteil der Mittel ist bisher allerdings tatsächlich geflossen, nämlich vier Millionen Euro.
Für die Beantragung der Mittel ist in Rektor Witzkes Fall der Bezirk Neukölln zuständig. Dort erklärt der kommissarische Leiter der Wirtschaftsstelle im Schulamt, Stephan Harke, dass unter anderem die Konzepte der Schulen zunächst geprüft werden müssten, auch mit Blick auf bauliche Aspekte. Und wenn neben baulichen Veränderungen für die digitale Ausstattung auch andere Großbaumaßnahmen an den Schulen liefen, werde es sehr komplex.
Schulungen für die Lehrer nötig
Inzwischen gebe es bezirksweit grünes Licht für 27 Schulen. Das Signal - auch für Stephan Witzke: Ein neuer Server komme immerhin in diesem Jahr. Eine Schulleiterin in einem weiteren Bezirk wiederum vermisst noch etwas anderes: Schulungen. Ihr Kollegium wolle zum Beispiel erfahren, welche Konferenz-Tools sicher sind, um datenschutzkonform untereinander und mit den Schülern zu kommunizieren.
Auch für Fortbildungen sollen Gelder aus dem Digitalpakt eingesetzt werden können – nur, dass diese Hilfe bis jetzt noch längst nicht in allen Schulen ankommt. Rund 600 von ihnen haben ihre Medienkonzepte eingereicht. 454 Anträge von 348 Schulen habe sie bisher bewilligt, rechnet die Bildungsverwaltung vor.
Sendung: Inforadio, 23.08.2020, 11.04 Uhr