Letzter Teil des Berliner Mobilitätsgesetzes - Pkw-Parkplätze sollen Ladestationen und Lieferverkehr weichen
Stück für Stück setzt Verkehrssenatorin Günther ihr umfassendes Berliner Mobilitätsgesetz zusammen. Der dritte und letzte Teil regelt den Umbau des Wirtschaftsverkehrs - und will den klassischen Pkw-Parkplatz abschaffen. Von Christoph Reinhardt
Der neue Paragraph 70 des Berliner Mobilitätsgesetzes gehört zu den Kernstücken der geplanten grünen Reform. Überschrift: "Reduzierung des motorisierten Individualverskehrs". Technokratische Abkürzung: MIV. Phonetisch korrekte Aussprache: MIEF.
Die Verdrängung des guten alten Autos soll in Berlin Gesetzesrang bekommen und Richtschnur für alle weiteren Planungen sein. Paragraph 70 des von Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) auf den Weg gebrachten Gesetzestextes nennt abstrakt die Instrumente: "Preismechanismen", Maßnahmen "zur Steuerung des Verkehrsflusses" oder "zur effektiven Nutzung des Verkehrsraums". Konkret heißt das: Die Behörden sollen keine neuen Parkplätze mehr im öffentlichen Raum schaffen. Stattdessen sollen die vorhandenen möglichst aufgerüstet werden mit Ladestationen für die Elektromobilität, umgewandelt in Lieferzonen oder freigegeben werden für den Bedarf der gewerblichen Mietwagenflotten.
Keine neuen Parkplätze, dafür mehr Platz für Lieferverkehr
Mit harten Verboten kann die rot-rot-grüne Landesregierung dabei nicht arbeiten, denn für die Straßenverkehrsordnung ist der Bund zuständig. Aber langfristig die Weichen stellen und den knappen Raum in der Stadt umverteilen sei möglich, sagt der grüne Verkehrsexperte Harald Moritz. In der Stadt im Allgemeinen und im öffentlichen Straßenraum im Speziellen gebe es ein Flächenproblen. "Wir haben auf der einen Seite den ruhenden Verkehr, das ist meist der private PKW, der 23 Stunden und mehr einfach nur steht. Auf der anderen Seite muss der Lieferverkehr illegal und in der zweiten Spur beladen und ausladen." Die Lösung, so Moritz: Weniger Parkplätze für PKW, dafür mehr Ladezonen für Lieferanten sowie über die ganzen Stadt verteilte "Umschlagplätze". Dort sollen große Lastwagen ihre Waren in kleinere, möglichst emissionsfreie Fahrzeuge umladen können.
Systemwechsel im Lieferverkehr
Der Entwurf der grünen Verkehrsverwaltung verspricht dem Wirtschaftsverkehr einerseits mehr Platz und bei künftigen Planungen eine Vorzugsbehandlung. Dafür fordert die Senatorin aber einen Systemwechsel im Lieferverkehr: Konkurrierende Lieferanten sollen zusammenarbeiten, sogenannte Gebietsspediteure sollen die Bestellungen gebündelt zu den Kunden bringen. Nicht unbedingt bis zur Haustür, sondern mit neuen "Pick-up oder Drop-off-Lösungen" in der Nachbarschaft - möglichst mit abgasfreien, leisen Autos und nicht zur Hauptverkehrszeit, sondern in den Tagesrandzeiten frühmorgens oder am Abend.
Das werde nur gelingen, räumt der Grüne Harald Moritz ein, wenn dies für die Unternehmen am Ende lukrativ sei: "Ich denke, dass es wirtschaftlich für die Unternehmen darstellbar ist. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg."
Citymaut verschoben, nicht aufgehoben
Auch die Autobesitzer von heute müssten am Ende von den noch zu entwickelnden, hoffentlich besseren Mobilitätsangeboten überzeugt sein. Um die Angebote von privaten Unternehmen, BVG und S-Bahn zu verknüpfen, soll der Senat eine landeseigene Datenbank für Verkehrsinformationen aufbauen, damit das Land nicht von privaten Anbietern abhängig ist. Auf der anderen Seite zieht das Gesetz die Daumenschrauben an: Neue Parkraumbewirtschaftungszonen und höhere Preise für Anwohnervignetten soll das Gesetz erleichtern.
Ein besonders umstrittenes Thema hat die Verkehrsverwaltung vorerst aufgegeben: die Citymaut. In den ersten Eckpunkten des neuen Gesetzes wollte sie nicht nur Gebühren für den ruhenden, sondern auch den fließenden Verkehr einführen. "Eine Citymaut taucht nun nicht mehr im Gesetzentwurf auf", sagt Moritz bedauernd, "aber Paragraph 70 lässt die Möglichkeit solcher Preismechanismen offen".
Allzu viele Konfliktherde kann sich die Koalition nicht leisten, wenn das Mobilitätsgesetz am Ende der Legislaturperiode komplett sein soll. Im Oktober nehmen zunächst die Verbände Stellung, danach muss die Senatorin auch die anderen Senatsverwaltungen zur Mitzeichnung bewegen. Und ab dem Frühjahr um die Koalitionsmehrheit im Parlament kämpfen. In einem Wahljahr: kein Selbstläufer.