Baustellen in der Straßenverkehrsordnung - Gerichtsentscheid zu Pop-up-Radwegen offenbart rechtliche Lücken
Die sogenannten Pop-up-Radfahrstreifen in Berlin sind vom Verwaltungsgericht als rechtswidrig eingestuft worden. Doch der Beschluss wirft Fragen auf, die über die umstrittenen Radwege hinausweisen. Von Thorsten Gabriel
Bei der AfD lassen sie, drei Tage nach dem Sieg vor dem Berliner Verwaltungsgericht, die Muskeln spielen. "Der Senat muss nun beginnen, die Sperren abzuräumen und die Fahrbahnmarkierungen zu entfernen", fordert der AfD-Abgeordnete Frank Scholtysek am Mittwoch per Mitteilung mit Blick auf die neuen, temporären Radwege in Berlin. Und er fügt hinzu: "Sofort. Ohne Zeitverzug."
Sein Fraktionskollege Marc Vallendar setzt mit rhetorischer Drohgebärde hinzu, dass die Fraktion gerichtlich dagegen vorgehen werde, sollte "der Senat die rechtswidrigen Radwege unangetastet" lassen. "Erster Schritt wäre ein Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgeldes von bis zu 10.000 Euro", teilte der rechtspolitische Sprecher mit.
AfD wartet erstmal ab
Fragt man nochmal persönlich nach, bekommt man eine Einschränkung zu hören, die in der Pressemitteilung nicht zu lesen ist. "Wir warten natürlich noch ab, ob der Senat jetzt wie angekündigt vor das Oberverwaltungsgericht zieht und die Vollziehung wieder aussetzen will", sagt Vallendar dem rbb. "Je nachdem wie das ausgeht, werden wir dann eben entsprechend reagieren."
Denn in der Tat ist der Beschluss des Berliner Verwaltungsgerichts noch nicht rechtskräftig. Noch tickt die Uhr für die Beschwerdefrist. Dass der Senat gegen die Entscheidung Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg einlegen wird, hatte die Senatsverkehrsverwaltung noch am Montag angekündigt.
"Das wird voraussichtlich in der kommenden Woche sein", sagte der Sprecher der Verkehrssenatorin, Jan Thomsen, dem rbb. Die Beschwerde werde derzeit vorbereitet. "Wichtig ist, dass der Beschwerde auch ein Antrag auf aufschiebende Wirkung beigelegt wird. Das bedeutet, dass wir wollen, dass die jetzigem Pop-up-Radfahrstreifen auch so bleiben."
Das heißt, dass die Radwege bleiben könnten, wo sie sind – solange bis das Verwaltungsgericht dann im Hauptverfahren möglicherweise erneut zu dem Schluss käme, dass die Wege rechtswidrig seien. Schon jetzt gilt als sicher, dass das Land in diesem Fall in die nächste Instanz gehen würde.
"Wir wollen Unfälle vermeiden und nicht erst welche zählen"
In der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz haben die Fachleute den Gerichtsbeschluss, vorsichtig formuliert, verwundert zur Kenntnis genommen. Das Gericht bescheinigt dem Senat, dass es die Radwege nicht pauschal hätte ausweisen dürfen unter Verweis auf das veränderte Verkehrsverhalten der Großstädter in Pandemie-Zeiten. Stattdessen hätte es genauerer Begründungen bedurft, weshalb an welchem Straßenabschnitt temporäre Radwege eingerichtet werden sollen.
Erstaunt ist man in der Senatsverwaltung deshalb, weil sich das Gericht in seiner Begründung auf Abschnitte in der Straßenverkehrsordnung bezieht, die nicht nur für Radstreifen gelten. "Es geht in der Argumentation des Verwaltungsgerichts nicht nur um Radfahrstreifen, sondern auch um zum Beispiel Tempo-30-Strecken vor Kitas und Schulen", sagt Verwaltungssprecher Thomsen.
Dürften die in Zukunft auch nur noch eingerichtet werden, wenn es vorher Unfälle an den betreffenden Stellen gab? "Wir wollen ja Unfälle gerade verhindern und nicht erst welche zählen, bevor wir eine sichere Verkehrseinrichtung dort anordnen können." Auch deshalb erhoffen sie sich von der Beschwerde, dass am Ende der gerichtlichen Auseinandersetzung grundsätzlich geklärt ist, wie die Straßenverkehrsordnung an dieser Stelle ausgelegt werden muss.
"Der geschützte Radstreifen ist im deutschen Regelwerk nicht vorgesehen"
Für diejenigen, die sich schon seit Jahren und Jahrzehnten dafür einsetzen, dass Radfahrende sicher auf den Straßen unterwegs sein können, kommt die Gerichtsentscheidung dagegen nicht völlig überraschend. So verweist etwa der Bundesgeschäftsführer des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), Burkhard Stork, darauf, dass auch unabhängig von den Pop-ip-Radwegen geschützte Radfahrsteifen bislang in der bundesweit geltenden Straßenverkehrsordnung nicht vorkämen. Und das, obwohl sie sich auch in Deutschland in immer mehr Städten und Kommunen großer Beliebtheit erfreuten.
"Der geschützte Radfahrstreifen ist im deutschen Regelwerk nicht vorgesehen", konstatiert Stork. "Das heißt, wir haben jetzt in allen Städten die Situation - in Berlin ist das brennglasmäßig, wie so häufig -, dass Stadtverwaltungen rumprobieren müssen, mit irgendeiner Form von Radverkehrsinfrastruktur, die ganz neu ist, die nicht in den Richtlinien steht." Mit anderen Worten: Nicht nur bei den temporären Pop-up-Radwegen, sondern auch bei den nach und nach entstehenden dauerhaften grünen Radstreifen stellt sich die Frage, auf welcher rechtlichen Grundlage sie stehen.
Ende der 2000er-Jahre waren die "protected bike lanes" in New York erfunden worden. Seitdem sei weltweit in den Städten die Überzeugung gereift, dass sicherer Radverkehr eigene Infrastruktur benötige, sagt der ADFC-Geschäftsführer.
Weitere Pop-up-Wege in Vorbereitung
Beim Senat gibt man sich vorerst optimistisch, dass sich die rechtliche Situation doch noch zu Gunsten der Landesregierung klärt. Zumal es mittlerweile ja nicht nur die beklagten acht Pop-Up-Radwege gibt, sondern noch viel mehr. "Inzwischen gibt es 14 Radfahrstreifen im Pop-up-Verfahren", sagt Sprecher Jan Thomsen und ergänzt: "Auf Arbeitsebene sind wir auch dabei, weitere vorzubereiten. Wir sind nach wie vor der Überzeugung, dass wir da richtig handeln."
Sätze, von denen sich die AfD noch einmal herausgefordert fühlt. Der Abgeordnete Marc Vallendar warnt bereits: "Wenn der Senat weiterhin der Meinung ist, dass diese Pop-up-Radwege, so wie sie derzeit angelegt wurden, rechtmäßig sind, beabsichtigen wir durchaus auch nochmal vor das Verwaltungsgericht wegen der restlichen Radwege zu ziehen."
Erstmal hat die Senatsverwaltung zwei Wochen Zeit, Beschwerde einzulegen und noch zwei weitere Wochen, um die Beschwerde zu begründen. So schnell werden die gelben Fahrbahnmarkierungen also nicht aus dem Stadtbild verschwinden.