Interview | Regisseur Andres Veiel - "Jedes Jahr, das wir verloren haben, rächt sich in der Zukunft"
Wer trägt die Schuld, wenn der Klimawandel einmal ganze Länder verwüstet und Millionen Menschen heimatlos macht? Regisseur Andres Veiel lässt in seinem Film "Ökozid" diese Frage vor Gericht klären - im Jahr 2034. Und hofft inständig, dass es nie so weit kommt.
Das Erste zeigt "Ökozid" am Mittwoch, 18.11., um 20:15 Uhr
rbb: "Ökozid" hat ein düsteres Setting: Im Jahr 2034 verklagen afrikanische und asiatische Staaten Deutschland wegen seiner Klimaschutzpolitik - und bei diesem fiktiven Gerichtsprozess muss die dann ja ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel als Zeugin aussagen. Wie ist es Herr Veiel, wünschen Sie sich Angela Merkel wegen ihrer Klimaschutz Politik vor Gericht?
Sie ist nicht als Angeklagte vor Gericht, sondern als Zeugin. Angela Merkel ist ja als Naturwissenschaftlerin eine der Personen im politischen Betrieb, die sich sehr früh schon sehr intensiv mit dem Klimawandel beschäftigt haben: Mit der Notwendigkeit, etwas zu tun und etwas zu ändern.
Wenn man dann aber die praktische Politik sieht, wie viele Chancen sie hat verstreichen lassen, wie viele ganz konkrete Vorgaben der EU-Kommission abgeschwächt, relativiert, manchmal auch verschoben wurden, dann sehe ich eine unglaubliche Diskrepanz zwischen Sein und Schein.
Das war für uns eine Herausforderung. Und sie wird nicht in Handschellen vorgeführt, sondern sie kommt freiwillig als Zeugin, um ihre Sicht auf die Jahre ihrer Politik als Kanzlerin darzustellen.
Und auch als Bundesumweltministerin. Denn im Film wird ja die gesamte Klimapolitik Deutschlands von den 1990er-Jahren bis ins Jahr 2020 aufgerollt. Was sind denn für Sie die grundsätzlichen Fehler der deutschen Klimaschutz-Politik, sagen wir mal der letzten 30 Jahre?
Erstmal gab es sehr konkrete Chancen, die aufgrund einer falschen, protektionistischen Industriepolitik geopfert wurden. Die entscheidenden Konsequenzen - und die werden sich erst in den nächsten fünf bis zehn Jahren knallhart herausstellen - sind die, dass wir den technologischen Anschluss verpasst haben. Wir hätten vor zehn, 15 Jahren schon sehr viel stärker und intensiver in andere Antriebstechnologien wie Wasserstoff und Elektromobilität investieren können - die deutsche Industrie hat da entscheidende Jahr verloren. Beispielsweise im Automobilsektor ist Toyota bei Wasserstoff vorne und die Firmen wie Tesla in den USA, in Kalifornien, aber auch China haben uns um Jahre überflügelt. Das wird ganz böse zurückschlagen.
Es ist also nicht nur ein moralisches Argument, es ist durchaus auch ein ökonomisches Argument. Und das ist bitter, denn jedes Jahr, das wir verloren haben, rächt sich in der Zukunft, weil wir immer weniger Zeit haben und mit immer größeren schmerzhaften Einschnitten versuchen müssen, die Klimaschutzziele bis 2050 noch zu erreichen.
Der Schutz von Arbeitsplätzen in der Kohle und Automobilindustrie und auch in der Energiewirtschaft wird im Film diskutiert. Das wird vom Verteidiger der Bundesrepublik Deutschland vorgetragen. Diese Argumentation überzeugt Sie nicht?
Ich wollte nicht vordergründig einen Rachefilm machen, indem ich die Politik auf die Anklagebank setze. Es war unbedingt wichtig, dass auch die Bundesrepublik Deutschland in der Verteidigung gute Argumente erhält. Man muss ganz klar sagen: Die Entscheidungen sind alle demokratisch legitimiert gefallen. Da ist ja kein Staatsstreich passiert. Nur in der Addition all dieser Versäumnisse ist es eben hanebüchen.
Es tut weh, wenn ich in der Bilanzierung sehen muss: Es ist nicht dieses oder jenes Einzelversagen dieses oder jenes Politikers, eines Wirtschaftsministers, einer Kanzlerin oder eines Kanzlers der SPD, Gerhard Schröder, sondern es ist ein systemisches Versagen. Das muss man erstmal konstatieren, um die entsprechenden Schlussfolgerungen zu ziehen. Und die sind: Wann, wenn nicht jetzt? Wir müssen heute handeln, eigentlich schon gestern.
Beim Anschauen hatte ich schon das Gefühl, dass Ihre Sympathien recht klar verteilt zu sein scheinen - bei den Umweltschützern. Haben Sie nicht doch ganz eindeutige Sympathien in den Film reingepackt?
Natürlich wäre es falsch zu sagen, dass meine eigene Haltung nicht durchschimmert. Aber als Autor muss ich mir auch selbst widersprechen, sonst wäre es ja langweilig. Das heißt: Im Shakespeareschen Sinne muss ich jeder Figur in ihrer eigenen Historie, ihrer Geborgenheit auch ein Recht auf Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit geben - unabhängig davon, wo meine Sympathien als Autor liegen. Sonst unterfordere ich mich und damit letztendlich auch den Zuschauern.
Das ist bei diesem Film nicht passiert, das kann ich schon mal sagen. Ich würde ganz gern mal auf die Grundfrage zu sprechen kommen: Was wäre gerecht? Müssten Deutschland und letztlich die westlichen Industrienationen insgesamt wegen der falschen Klimaschutzpolitik zu Schadensersatzzahlungen verurteilt werden?
Ja, unbedingt. Ich habe gestern in den Nachrichten gehört, dass die Regierungen von Guatemala und Honduras wegen der Schäden des gerade jetzt über das Land hinweggefegten Taifuns Geld von den Industrieländern fordern, die sie aufgrund der Folgen des Klimawandels unmittelbar verantwortlich machen. Das heißt, wir müssen damit rechnen, dass diese Klage, die wir jetzt in diesem Film ins Jahr 2034 gelegt haben, möglicherweise schon in ein oder zwei Jahren genau so stattfindet.
Und damit sind wir bei der Frage von Klimagerechtigkeit. Es geht nicht nur darum, dass wir bei uns schauen, was wir mit den Wäldern machen, dass wir andere Bäume pflanzen und schauen, wie die Landwirtschaft überlebt, wenn die nächsten Sommer wieder heiß und trocken werden. Sondern wir müssen sehen, dass wir ein neues Migrationsproblem haben, wenn wir diese Länder, die im globalen Süden besonders betroffen sind im globalen Süden, nicht massiv unterstützen. Dann sind nicht nur 50, sondern eher 500 Millionen weltweit auf der Flucht. 2015, das war alles noch milde dagegen.
Bislang haben Sie in Ihren Filmen oder auch Theaterstücken immer in die jüngere Vergangenheit geschaut oder auch ganz konzentriert auf die Gegenwart. Warum jetzt solch ein Zukunftsszenario? Warum nicht das Ganze in der Gegenwart ansiedeln, sondern 2034?
Für uns war es wichtig, dass wir in die Zukunft gehen, um etwas befreiter auf die Gegenwart zu schauen, weil wir ja ganz deutlich sehen, dass sich der Klimawandel zuspitzt. Und die Fragen, die sich heute stellen, werden in zehn oder 14 Jahren noch sehr viel dramatischer sein, was die Folgen betrifft. Also wird so ein Prozess nicht nur wahrscheinlicher, sondern er wird mit großer Sicherheit so oder so ähnlich stattfinden.
Inwieweit sind wir mitverantwortlich für das, was in Ländern passiert, die sehr viel weniger CO2 Ausstoß haben? Burundi zum Beispiel hat ein drei Hundertstel von dem, was Deutschland ausstößt, pro Kopf. Und trotzdem leidet ein Land wie Burundi sehr viel mehr unter den Klimawandel als Deutschland. Soll man die damit allein lassen? Oder reicht es aus, einfach einen Fonds zu gründen, ein bisschen Geld zu zahlen und Windräder und Solaranlagen aus Deutschland zu exportieren? Nein es reicht nicht.
Diese Fragen spitzen sich zu, und umso wichtiger ist es, dass wir uns damit auseinandersetzen und heute etwas tun, damit dieser Prozess vielleicht 2034 so gar nicht mehr geführt werden muss.
Wie groß sind Ihre Sorgen mit Blick auf die Klimazukunft der Erde?
Ich könnte es so zusammenfassen: Wir haben keine Chance. Aber nutzen wir sie. Das heißt, es sieht sehr, sehr düster aus. Ich glaube, dass allein grünes Wachstum uns zwar weiterbringt aber gleichzeitig natürlich nicht die Reduktion bringt, die wir in der kurzen Zeit tatsächlich herstellen müssen. Von daher ist es ein Wettlauf mit der Zeit. Wir brauchen ein anderes Modell von Wachstum, das ist immer mit Einschnitten verbunden. Das ist politisch unpopulär.
Also all das zusammen geht nur mit einer neuen Form von demokratischem Bewusstsein: Wir müssen ja Mehrheiten überzeugen. Von daher sind die Herausforderungen immens. Aber das ist sozusagen der Beitrag der Kunst: Der Film "Ökozid", um diese Fragen in die Mitte der Gesellschaft zu legen und zu sagen: Hier sind sie. Was können wir tun? Und zwar nicht nur ein paar wenige, sondern wir alle.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Frank Schmid für rbbKultur. Der Text ist eine gekürzte und redigierte Fassung. Das gesamte Interview können Sie hören, wemn Sie auf das Audiosymbol im Teaserbild klicken.