Konzern Heimstaden kauft tausende Wohnungen - Berliner Mieter wehren sich gegen schwedischen Investor
Mehr als 140 Häuser hat der schwedische Immobilienkonzern Heimstaden in Berlin gekauft. Viele Mieter befürchten jetzt die Umwandlung ihrer Wohnungen in Eigentum. In ganz Berlin schließen sie sich nun zusammen - und fordern die Politik zum Handeln auf. Von Wolf Siebert
Rentnerin Doris wohnt seit 36 Jahren in einer kleinen Wohnung am Wildenbruchplatz 3 in Berlin-Neukölln, und da will sie auch bleiben. "Die kriegen mich hier so schnell nicht raus!", sagt sie. Sie hat - noch - eine günstige Miete. Aber sie hat Angst, dass sich das durch den neuen Eigentümer, die schwedische Heimstaden-Gruppe, ändern wird.
Die Mieterinnen und Mieter der Häuser, die Heimstaden gekauft hat, haben sehr schnell eine Protestbewegung aufgebaut. Sichtbar im Netz und an diesem Abend auch auf der Straße, in Friedrichshain: eine Demonstration vor der Bezirksverordnetenversammlung.
Mieterin Jagna spricht aus, wovor viele Angst haben: Dass sie ihre Mietwohnung verliert, weil diese in eine Eigentumswohnung umgewandelt wird. "Die Strategie der großen Immobilienkonzerne ist immer dieselbe: Aufkaufen – Aufwerten – Verwerten. Als Mieterin kommt man dabei nicht wirklich gut raus."
Die Mieterinnen und Mieter wollen der Bezirksverordnetenversammlung Mut machen - aber auch Druck: "Kauft unsere Häuser!" steht auf ihren Plakaten. Zwar hat Heimstaden einen Kaufvertrag. Da aber viele Häuser in Milieuschutzgebieten liegen, kann das Bezirksamt noch dazwischengehen: Denn der Bezirk hat ein Vorkaufsrecht. Das Problem: Der schwedische Heimstaden-Konzern hat in mehreren Berliner Bezirken eingekauft, 143 Häuser, für gut 830 Millionen Euro, rund die Hälfte der Häuser hat Milieuschutz. Die alle mit Steuergeld zu kaufen ist unmöglich. Denn zum Jahresende sind die öffentlichen Töpfe, die man dafür anzapfen könnte, ziemlich leer.
Heimstaden will keine "Abwendungsvereinbarungen"
Friedrichshain-Kreuzberg hat bereits bei früheren Heimstaden-Käufen das Vorkaufsrecht ausgeübt, denn Baustadtrat Florian Schmidt von den Grünen pusht das Thema. Er sieht sich selbst nicht als Berufspolitiker, eher als "Aktivist", der dagegen kämpft, dass Mietwohnungen als "Ware" gehandelt und für viel Geld verkauft werden. Auch Schmidt weiß, dass das Geld fehlt, alle Häuser zu kaufen. Deshalb ringt er mit Heimstaden um sogenannte Abwendungsvereinbarungen: Wenn sich der Investor in einer solchen Vereinbarung zu einem langfristigen Schutz der Mieterinnen verpflichtet, kann er das Vorkaufsrecht des Bezirks abwenden.
Zum Mieterschutz gehört für Schmidt auch, die Mietshäuser nicht aufzuteilen, um sie als Eigentumswohnungen verkaufen zu können. Heimstaden lehnt das ab, sagt Schmidt: "Bei dem Gespräch, das wir geführt haben, hat die Heimstaden klar gesagt: Sie kann nicht darauf verzichten, aufteilen zu können, weil das den Anlegerinteressen entgegensteht. Und da muss ich sagen: Wenn Anleger- und Mieterinteressen in Konflikt geraten, dann stehen wir auf Seiten der Mieterinnen."
Anfrage bei Heimstaden. Der Kommunikationsmanager antwortet: Man sei zwar zu Abwendungsvereinbarungen bereit, aber es müsse eine Lösung sein, "die für beide Seiten akzeptabel" sei. Bis zu diesem Abend war es offenbar noch nicht soweit.

Schmidt zieht seine Trumpfkarte "Vorkaufsrecht"
Deshalb spielt Baustadtrat Schmidt die Trumpfkarte Vorkaufsrecht. Damit die aber auch wirklich sticht und die Bezirke kaufen können, müsste der Senat die öffentlichen Finanztöpfe auffüllen: "Bei so einem großen Häuserpaket ist das natürlich sportlich, wenn man so viele Millionenzuschüsse mobilisieren muss. Der Senat wird aber dennoch in Kooperation mit den Bezirken alles Mögliche tun. In solchen speziellen Situationen braucht man dann ein beherztes Handeln, und das ist das, was nicht nur die Mieterinnen und Mieter erwarten, sondern auch ich."
Am Sonntagnachmittag werben am Haus Wildenbruchplatz 3 Protestplakate um Aufmerksamkeit und Solidarität: "Stoppt Heimstaden, schützt das Kiezleben" ist zu lesen und "Geh Heim, Staden".
Im kleinen Innenhof tauschen sich Mieterinnen und Mieter über die neuesten Aktionen der Anti-Heimstaden-Bewegung aus. Auch Rentnerin Doris ist dabei. Sie erzählt, dass viele Nachbarn die Initiative unterstützen, selbst Nachbarn, die nicht von Heimstaden gekauft worden sind. Eine Studentin freut sich, dass auf Instagram immer mehr Initiativen auftreten.
Nach zwei Monaten muss ein neuer Käufer gefunden sein
Social Media, Öffentlichkeitsarbeit, Kiezspaziergänge, alles muss gleichzeitig organisiert werden, denn die Zeit drängt: Zwei Monate hat eine Hausgemeinschaft Zeit, einen alternativen Käufer zu finden, zum Beispiel eine Genossenschaft. Denn der Bezirk übt das Vorkaufsrecht nicht für sich selbst aus, sondern für einen Dritten. Deshalb haben Studentin Nora und die anderen aktiven Mitbewohner alle Genossenschaften angeschrieben und um Unterstützung gebeten: "Aber das mussten wir selbst organisieren, weil von der Politik das Signal kam: Neukölln ist pleite, die haben nicht das Geld und die Ressourcen, das Haus zu übernehmen, also mussten wir als Mieterinnen und Mieter aktiv werden. Und wir hoffen natürlich, dass hier eine Genossenschaft langfristig einsteigt."
Dieser Kiez ist noch nicht völlig gentrifiziert, aber auch hier im Haus zahlt eine Mieterin bereits 16 Euro pro Quadratmeter - anders als Rentnerin Doris, die 1984 eingezogen ist und wenig zahlt. Auch sie weiß, dass der Milieuschutz Ausnahmen kennt und Mieterinnen nicht wirklich vor Eigentumsumwandlung schützt. Deshalb macht sie sich um ihre Zukunft Sorgen: "Die Alten werden alle vertrieben, und dann kommen Jüngere, die alle Geld haben. Und was machen die anderen? Die schlafen dann unter der Brücke? Ich finde das nicht in Ordnung. Das sollte die Politik unterbinden, aber das schaffen sie nicht."

Nicht viele können die eigene Wohnung kaufen
Einen Steinwurf entfernt liegt das Haus Finowstraße 22. Auch hier stehen an diesem Sonntag Mieterinnen und Mieter zusammen. Sie sprechen über eine Veranstaltung aller Häuser, bei der Informationen ausgetauscht wurden.
Auf dem Rasen des Innenhofs liegen Transparente: "Die Wohnungen denen, die drin wohnen", ist eine Forderung. Auch diese Mieter machen sich Sorgen. Im ersten Halbjahr 2020 wurden nämlich in Berlin rund 5.900 Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt, rund 4.800 davon lagen in Milieuschutzgebieten. Denn auch in diesen Gebieten kann - ganz legal - eine Wohnung umgewandelt werden, wenn die Mieterinnen und Mieter sieben Jahre ein Vorkaufsrecht bekommen.
Vor allem die CDU verteidigt diese Regelung seit langem. Für Finowstraßenmieter Christian ist das aber keine Option: "Die Argumentation, dass man die Menschen stärken will, dass sie Eigentum schaffen können - das kann nicht jeder. Ich habe nicht so viel Geld auf dem Konto liegen, dass ich mir einen Kredit nehmen könnte und will auch nicht 400.000 Euro für eine Zweizimmer-Wohnung zahlen, das geht nicht."

Mieterverein: Eigentümer setzen Scheinmietverträge auf
In Berlin können oder wollen sich das offenbar nur ganz wenige leisten: Zwischen 2015 und 2019 haben nur 54 Berliner Mieter aufgrund dieser Regelung ihre eigene Wohnung gekauft. Stattdessen missbrauchen manche Eigentümer diese Möglichkeit, kritisiert der Mieterverein: Sie kaufen Mieter aus ihren Wohnungen heraus, schließen mit einem Kaufinteressenten einen Scheinmietvertrag und verkaufen ihm dann die Wohnung. Deshalb wünschen sich auch die Finowstraßen-Mieter einen besseren Schutz vor Umwandlung und eine Stärkung des Vorkaufsrechts der Bezirke.
Linke für strenges Umwandlungsverbot
Bezirke und Senat ziehen in der Heimstaden-Frage an einem Strang, haben eine Arbeitsgruppe gebildet, die mit dem Immobilienkonzern verhandelt. Auch Wenke Christoph ist dabei, die Staatssekretärin für Wohnen. Anders als die Bundesregierung ist die Politikerin der Linken für ein strenges Umwandlungsverbot ohne Ausnahmeregelungen: "Ich sehe wenig Gründe dafür, aus wohnungspolitischer Sicht so etwas in der Größenordnung, wie es gerade in vielen Städten passiert, weiterhin zu erlauben. Weil wir damit den Mietwohnungsbestand in den Städten immer weiter abbauen. Und das ist gerade in einer Stadt wie in Berlin, die nicht so wohlhabend ist wie zum Beispiel München, ein wichtiges Thema, damit Mieterinnen und Mieter auch weiterhin in der ganzen Stadt Wohnungen finden können."
Die Zeit wird langsam knapp: Damit die Häuser nicht bei Heimstaden bleiben, müssen die betroffenen Bezirke das Vorkaufsrecht bald ausüben, für manche Häuser bis Mitte November, für andere bis Mitte Dezember. Das kann aber nur mit Unterstützung des Landes funktionieren. Nicht nur Mieterin Jagna hofft darauf: "Es gibt in Berlin Geld, um ein Schloss mit goldener Kuppel zu bauen. Es muss also Geld zu finden sein, um uns, die Mieterinnen und Mieter davor zu schützen, dass wir unser Zuhause verlieren."