Kommentar | Giffey verzichtet auf Doktortitel - Ein Befreiungsschlag
Franziska Giffey hat überraschend die Reißleine gezogen: Die Bundesfamilienministerin verzichtet auf ihren Doktortitel. Damit zieht sie Konsequenzen aus den Plagiatsvorwürfen - und schafft damit etwas, was so nicht zu erwarten war, kommentiert Jan Menzel.
Das war eine Notbremse, ein Befreiungsschlag, die letzte Chance: Franziska Giffey hat die Sache in die Hand genommen und nicht gewartet, bis das nächste Gutachten, die nächste Parlamentsanfrage, die nächste dubiose Wendung diese schier unendliche Geschichte um ein weiteres unrühmliches Kapitel verlängert. Nun verzichtet sie selbst auf ihren Doktortitel.
Sie hält sich zunächst alle Optionen offen: Die Familienministerin wird Ende des Monats zur neuen Landesvorsitzenden der Berliner SPD gewählt werden, so wie lange geplant. Und sie hat im Nebeneffekt mit ihrem Titel-Verzicht etwas geschafft, was so nicht zu erwarten war: Giffey hat den vielstimmigen, oft zerstrittenen Haufen der Berliner SPD hinter sich versammelt und fest zusammengeschweißt. Das ist gemessen an der Ausgangslage eine ganze Menge.
Freie Universität hat so ziemlich alles falsch gemacht
Giffey, der Klartext-Politikerin, hilft in dieser undurchsichtigen Affäre, dass die Freie Universität so ziemlich alles falsch gemacht hat, was falsch zu machen war und nicht nur in Wissenschaftskreisen bis auf die Knochen blamiert dasteht. Das soll keine Ausrede sein oder Giffeys Fehler klein reden.
Denn erledigt ist die Doktor-Affäre noch nicht: Die Freie Universität wird die angekündigte zweite Überprüfung der Dissertation zu Ende führen. Die Hochschule muss nun Kante zeigen, ob auf den freiwilligen Verzicht die offizielle Aberkennung des Titels folgt oder nicht. Die politischen Mitbewerber werden weiter mit dem Finger auf den Fleck auf Giffeys nicht mehr makelloser Weste zeigen.
Wählerinnen und Wähler entscheiden
Es wird aber im Wahlkampfjahr 2021 um mehr als die Doktorarbeit der SPD-Kandidatin für das Rote Rathaus gehen. In den Umfragen liegen Grüne und CDU seit Monaten konstant vor der SPD. Das Rennen ist also offen. Alle Parteien werden ihre Konzepte und Visionen für die Zukunft Berlins vorlegen.
Über die Zukunft der Frau Doktor Giffey wird und muss die Freie Universität am Ende entscheiden, über die zukünftige Rolle der Politikerin Franziska Giffey dagegen die Wählerinnen und Wähler - und das ist ja nicht das Schlechteste.
Sendung: Inforadio, 14.11.2020, 10 Uhr