Antidiskriminierungsgesetz - Berliner Justizsenator rechnet mit Klagen wegen Diskriminierung

Vor einem halben Jahr trat das Landesantidiskriminierungsgesetz in kraft. Bisher sind bei der Ombudsstelle 113 Diskriminierungsfälle eingegangen, fast die Hälfte wegen Rassismus. Im kommenden Jahr könnten die ersten Fälle vor Gericht landen. Von Birgit Raddatz
Der Berliner Senator für Justiz und Antidiskriminierung, Dirk Behrendt (Grüne), zeigt sich zufrieden. Aus seinem Hause, der Verwaltung für Justiz, stammt das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG), das vor sechs Monaten in kraft trat. 113 Beschwerden wegen Diskriminierung durch landeseigene Behörden gingen seitdem bei der zuständigen Ombudsstelle ein. "Die Menschen nehmen Diskriminierung nicht mehr einfach hin, so nach dem Motto 'Es bringt ja eh nichts!'", sagt Behrendt. Überrascht und auch ein bisschen erschreckt habe ihn jedoch der hohe Anteil an Beschwerden, nämlich 28, wegen einer Behinderung oder einer chronischen Erkrankung.

Die Corona-Pandemie habe das noch verstärkt, glaubt Doris Liebscher, Leiterin der Ombudsstelle. Der Onlineservice der Behörden sei teilweise nicht barrierefrei, aber auch die Maskenpflicht spielt eine Rolle. "Das ist ja gerade der gesellschaftliche Aushandlungskonflikt und da passiert diesen Menschen auch Unrecht."
Verstärkte Sichtbarkeit durch Black Lives Matter-Bewegung
Bei 46 der 113 Beschwerden geben Menschen an, rassistische Diskriminierung erfahren zu haben. Jeffrey Kwasi Klein, Projektleiter des Antidiskriminierungsbüros des Vereins "Each One – Teach One" (Eoto), meint dazu: "Wir haben so viele Beratungsfälle wie noch nie, es liegt aber an uns, herauszufinden, ob das auch Fälle im Sinne des LADG sind." Bisher hat der Verein noch keinen Fall an die Ombudsstelle weitergeleitet. Klein geht wie Doris Liebscher davon aus, dass es noch mehr Beschwerden werden, wenn das Gesetz bekannter ist.
Merkmale | Häufigkeit |
Rassistische Zuschreibung und oder ethnische Herkunft | 46 |
Behinderung | 28 |
Chronische Erkrankung |
21 |
Geschlecht | 13 |
Sozialer Status | 9 |
Lebensalter | 8 |
Sexuelle Identität | 7 |
Kein Merkmal/unklar | 15 |
Quelle: Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung *Merkmale sind mehr als Beschwerden vertreten, da in einigen Sachverhalten mehrere Diskriminierungstheorien gegeben sind.
Gewerkschaft der Polizei will Klagen genau beobachten
Manchen sei es gleich am Anfang zu gut bekannt gewesen, sagt hingegen der Sprecher der Gewerkschaft der Polizei, Benjamin Jendro: "Manchen Kolleginnen und Kollegen ist bei Einsätzen damit gedroht worden. Das hat viele verunsichert." In den letzten Monaten sei das aber nicht mehr so oft vorgekommen. Jendro schätzt, dass auch das an Corona und weniger Demonstrationen liegt. Der größte Teil der Beschwerden, 23, richtete sich gegen die Polizei, acht Beschwerden gingen gegen die BVG ein, sechs gegen Bezirks- und Bürgerämter. Gegen manche anderen Behörden liegt derzeit jeweils nur eine Beschwerde vor.
Behörde | Beschwerden |
Polizei | 23 |
BVG |
8 |
Bezirks- und Bürgerämter |
6 |
Schule |
4 |
Amtsgericht |
4 |
Amt für Einwanderung |
4 |
Finanzamt |
3 |
Quelle: Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung
Der Justizsenator glaubt, dass im kommenden Jahr die ersten Fälle auch vor Gericht landen könnten. Als Gewerkschaft werde man das sehr genau beobachten, so deren Sprecher Benjamin Jendro. "Und dann muss man mal sehen, ob die Mechanismen greifen, vor denen wir immer gewarnt haben. Nämlich, dass die Behörde den Kollegen dann doch persönlich haftbar macht." Im Sinne des Gesetzes verweist der Justizsenator darauf, dass im Schadensfall das Land Berlin zwischen 300 und 1.000 Euro an die Betroffenen zahlt.
Mehr Beschwerden erwartet
Allein das Gesetz werde institutionellen Rassismus nicht abbauen, ist sich Jeffrey Kwasi Klein von Eoto e.V. sicher. "Es ist nicht nur die einzelne Einstellung eines Polizisten, die zu Rassismus führt, sondern behördliche Beschlüsse und Verordnungen." Deshalb müssten diese ebenfalls immer wieder geprüft werden.
Doris Liebscher von der Ombudsstelle geht davon aus, dass sich die Beschwerdegründe in den kommenden Jahren noch verändern werden. "Im Bereich der Schulen werden es noch mehr werden. Und wir haben eine für uns noch ganz neue Kategorie: Der soziale Status, zum Beispiel, wenn jemand im Gefängnis saß oder Hartz IV bekommt." Sie bedauert, dass sie gleichzeitig einige Fälle von Diskriminierung gar nicht im Sinne des LADG behandeln kann. Etwa solche bei Jobcentern. Denn die sind eine gemeinsame Einrichtung von Bund und Ländern.
Beitrag von Birgit Raddatz