rbb24
  1. rbb|24
  2. Politik
Video: Abendschau | 30.11.2020 | Petra Gute | Quelle: dpa/ Peter Förster

Interview | #Baseballschlägerjahre in Brandenburg

"Hitlergrüße waren an der Tagesordnung"

Rechtsextreme in Brandenburg zeigen sich nach der Wende offen und gewalttätig auf der Straße, der Staat wehrt sich erst spät mit der Polizeieinheit MEGA. "Die Zeit"-Reporterin Dilan Gropengiesser findet, dass deren Arbeit erfolgreich war und immer noch ist.

Prügel, Drohungen, Hetzjagden – in den Nachwendejahren bricht in Ostdeutschland auch Hass, Rassismus und Gewalt auf, besonders unter Jugendlichen. Der "Zeit Online"-Redakteur und Autor Christian Bangel, in Frankfurt (Oder) geboren und aufgewachsen, nannte diese für ihn prägende Zeit die "Baseballschlägerjahre" – daraus entstand ein Twitter-Hashtag, mit dem sich viele Menschen aus Ost und West zu Wort melden, um ihre Erlebnisse in dieser Zeit auszutauschen. Zu lange war über die Zeit der "Baseballschlägerjahre" geschwiegen worden.

ZEIT ONLINE-Reporterin Dilan Gropengiesser | Quelle: privat

Der rbb und "Zeit Online" haben sich nun – unterstützt von der Produktionsfirma Berlin Producers – zusammengetan, um die Auseinandersetzung mit dem Thema filmisch aufzubereiten. Unter dem Titel "Baseballschlägerjahre" sind insgesamt sechs 15-minütige Filme entstanden, die jene Jahre geprägt von Umbruch und Gewalt spiegeln und zugleich den Bogen in die Gegenwart schlagen.

"Zeit Online"-Reporterin Dilan Gropengiesser beleuchtet die späte Reaktion des Staates auf den anwachsenden Rechtsextremismus am Beispiel Brandenburgs: In ihrer Reportage "Nazis im Visier" beschreibt sie die Arbeit der MEGA, einer Sondereinheit der Brandenburger Polizei, die 1998 aufgebaut wurde, um rechte Gewalt einzugrenzen und zu verfolgen.

rbb|24: In der Nachwendezeit eskalierte rechtsextreme Gewalt in Ostdeutschland und vor allem auch in Brandenburg. Wie beschreiben Sie die Situation?

Dilan Gropengiesser: Es kam zu Auswüchsen der Gewalt gegenüber Ausländern. Das Besondere an dieser Zeit war, und das kennen wir so in dieser Form heute nicht mehr, dieses offen ausgelebte Rechtsextreme, zum Beispiel in Kameradschaften. Oder dass vor allem junge Menschen, die für die rechte Szene viel anfälliger waren, sich im Kollektiv jeden Abend auf dem Dorf in Brandenburg getroffen haben. Da waren Hitlergrüße an der Tagesordnung.

Skinheads haben ihre rechte Gesinnung auch über Klamotten und durch Gewalttaten nach außen getragen. Als anders aussehender Mensch hat man sich kaum noch getraut, durch gewisse Orte zu gehen. Sehr bekannt ist der Mord an Amadeu Antonio 1990 in Eberswalde, der in diese Zeit fällt, und der diese Dramatik nicht nur in Eberswalde, sondern in ganz Brandenburg verdeutlicht hat. Das Ganze hat so ein Ausmaß angenommen, dass die Polizei und die Behörden damit überfordert waren.

Was haben die Behörden unternommen?

Die ersten Jahre der Neunziger waren, wenn man so will, vor allem auch geprägt durch die Abwesenheit der Behörden und der Polizei. Die Antwort der Politik ist relativ spät gekommen, erst mit der Gründung der MEGA, der mobilen Einsatzeinheit gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit, 1998.

Ende der 1990er-Jahre haben die Behörden erkannt, dass sie neben der bloßen Strafverfolgung eine neue Strategie entwickeln mussten. Wie können wir die rechte Szene durchleuchten? Wie kommen wir denen näher? Wie können wir den Rechtsextremismus einschränken? Und ich glaube, sie sind sehr schnell darauf gekommen, dass sie auch mit anderen Bündnissen zusammenarbeiten mussten, wie dem Aktionsbündnis Brandenburg oder der Opferberatung. Und auch in Schulen gehen mussten, um den Diskurs darüber aufrechtzuerhalten, woher diese Feindesbilder kommen.

Wie kommt die Brandenburger Polizei und speziell die MEGA in Ihrem Film weg?

Ich bin erstmal skeptisch aber auch mit offenen Augen an die Recherche zu dieser mobilen Einsatzeinheit herangegangen, habe auch mit Politologen gesprochen. Und mit Menschen, die damals an Kundgebungen gegen Rechts beteiligt waren. Und ich muss sagen, durch die Bank habe ich wirklich sehr positives Feedback zur MEGA gehört.

Ich habe dann auch mit diesen Polizisten gesprochen und erfahren, wie sie sich den Kampf gegen rechte Gewalt wirklich zur Aufgabe gemacht haben, ein Kernteam waren. Damals waren es 45 Ermittler*innen. Heute sind es rund 60.

22 Jahre später gibt es diese mobile Einsatzeinheit, die sich auf die Bekämpfung und Einschränkung des Rechtsextremismus fokussiert, also immer noch. Und man kann schon auch festhalten, dass das ein insgesamt erfolgreiches Projekt ist, und dass Brandenburg gerade im Vergleich zu anderen Bundesländern viel erreicht hat. Die MEGA wollte gegen den Rechtsextremismus auf offener Straße vorgehen, das hat sie insgesamt geschafft, sie kann eine positive Bilanz ziehen.

Weitere Infos

"Personelle und strukturelle Überschneidungen"

Verfassungsschutz stuft "Zukunft Heimat" als rechtsextrem ein

Wie hat sich die Arbeit der MEGA verändert, wie arbeitet sie heute?

Die Polizisten der MEGA sind immer noch auf Kundgebungen tätig wie damals, gehen auch noch auf Streife. Sie arbeiten nach wie vor anonym, weil die Arbeit in der Szene gefährlich ist. Ansonsten hat sich ihre Arbeit stark verändert, ihr Einsatzgebiet hat sich jetzt auch sehr auf das Internet verlagert. Weil Rechtsextremismus nicht nur lokal stattfindet, sondern sich national und international vernetzt. Die rechtsextreme Szene hat sich weiterentwickelt und erkannt: Wenn wir Kameradschaften aufbauen, werden wir schnell ausfindig gemacht und schnell verboten. Und deswegen suchen wir uns einen neuen Auftritt.

Ein Beispiel ist der rechtsextreme Verein "Zukunft Heimat", der erstmal recht populistisch wirkt. In dem Verein bewegen sich aber einzelne Menschen, welche der MEGA bekannt sind und die immer wieder auch durch Gewaltdelikte aufgefallen sind. Einige davon haben sich in die bürgerliche Mitte, wenn man so will, begeben. Und da hält sich die Polizei, glaube ich, nach wie vor zurück: Solange keine Gewalt auftritt, versucht die Polizei, das Versammlungsrecht zu wahren.

Im Grunde kann man sagen: Die Strategie der Polizei war damals und heute eine Strategie der Deeskalation. Im Sinne der Versammlungsfreiheit müssen auch Vereine wie "Zukunft Heimat" ihre Kundgebung gewährleistet bekommen, so lange sie gewaltfrei bleiben.

Und das war auch Ende der 1990er Jahre so - und diese Strategie offenbar erfolgreich?

Deeskalation war auf jeden Fall wichtig. Die Polizei ist immer wieder in den Konflikt gekommen: Wie reagiert sie auf Kundgebungen der Rechten und Gegendemonstrationen? Das symbolische Dagegenstellen der Zivilbevölkerung war erwünscht, wenn aber zum Beispiel linke Demonstranten eine Sitzblockade gegen Rechts machten, musste aber eben auch das Versammlungsrecht gewährleistet werden. Die Polizei musste versuchen, zu deeskalieren, damals wie heute.

In solchen Situationen wurde auch die Kritik an der Polizeiarbeit laut: Man zeigt Gesicht gegen Rechts und wird weggetragen oder muss gehen. Und die anderen dürfen weitermarschieren. Das geben das Versammlungsrecht und die Demokratie aber eben her.

Auch aktuell steht die Polizei immer wieder in der Kritik, nicht genügend gegen Rechtsextremismus zu unternehmen ...

... nach wie vor steht sie unter Druck und ist, glaube ich auch, durchaus immer mal wieder überfordert. Das ist mein Eindruck mit der Situation im Internet und mit der Kommunikation zwischen den Abteilungen, weil die Arbeit irgendwie diffuser geworden ist. Und dann gibt es auch immer wieder Stimmung gegen die Polizei, bezüglich rechter Netzwerke in den eigenen Reihen. Das erhöht den Druck, auch die Kommunikation mit den Medien fällt entsprechend spärlicher aus. Ich hatte das Gefühl, damals war es einfacher, die Polizei nahbar zu begleiten und an sie ranzukommen.

Wie offen waren die Polizisten der MEGA Ihnen gegenüber?

Alle Einheiten hatten abgelehnt, mit mir zu sprechen - außer die MEGA der Polizeidirektion Süd, die ich dann auch auf Streife begleiten durfte. Ich fand es toll, wie viel mir der Leiter der MEGA der Polizeidirektion Süd erzählt hat und schon sehr klar und deutlich gemacht hat, was er davon hält, wie die Rechten sich strukturiert haben, wie sie vorgegangen sind.

Die MEGA-Polizisten selbst, die direkt mit den Rechten zu tun hatten oder haben, waren sehr auskunftsfreudig und haben Dinge auch klar benannt. Auf der Kundgebung von "Zukunft Heimat" in Cottbus wollte der verantwortliche Einsatzleiter, der nicht zur MEGA gehört, den Verein wiederum nicht als rechtsextrem benennen.

Überdies hat mir jemand erzählt: Karriere macht man bei der MEGA nicht. Wer dort arbeitet, leistet Überzeugungsarbeit.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Vanessa Klüber

Die Erstausstrahlung von "Baseballschlägerjahre" ist
am Mittwoch, 02.12.2020, 23:05 Uhr im rbb Fernsehen

Artikel im mobilen Angebot lesen