Versammlungsgesetz - Neues Gesetz soll Demonstrieren in Berlin leichter machen

Weniger Auflagen, weniger Polizei, mehr Spielraum: Mit einem eigenen Versammlungsgesetz für Berlin will Rot-Rot-Grün Demonstrationen erleichtern. Nach den teils heftigen Vorfällen vor dem Reichstagsgebäude ist das auch ein gewagtes Projekt. Von Iris Marx
In der Hauptstadt gehört es fast zum guten Ton, lautstark in meist großer Gesellschaft seine Meinung zu verbreiten. Ob 1. Mai, Trecker-Demo oder Protest gegen Anti-Corona-Maßnahmen – rund 5.000 Demonstrationen werden schätzungsweise jedes Jahr in Berlin abgehalten.
Immerhin handelt es sich um ein Grundrecht, das auch nur bei Demos, die unter freiem Himmel stattfinden, überhaupt eingeschränkt werden darf – und das auch nur durch ein Gesetz. Bisher hat der Bund gesetzlich geregelt, unter welchen Voraussetzungen demonstriert werden darf. Aber die Gesetzgebungskompetenz ist inzwischen auf die Länder übergegangen. Rot-Rot-Grün will daher ein eigenes Gesetz für Berlin. Es soll vor allem das Demonstrieren einfacher machen.
Am Donnnerstag berät das Abgeordnetenhaus in zweiter Lesung über den Entwurf, der dann mit den Stimmen der Koalition voraussichtlich auch beschlossen wird.
Weniger Auflagen, weniger Polizei, mehr Spielraum
Das neue Gesetz fordert, dass die Polizei bei Versammlungen unter freiem Himmel nur anwesend sein soll, wenn es "erforderlich" ist. Laut Entwurf soll sie zudem künftig zur Deeskalation und zu einem Konfliktmanagement verpflichtet sein. Die Kontaktaufnahme mit einem Ansprechpartner dürfte dabei schwierig werden, denn laut Entwurf muss es künftig keinen konkreten Versammlungsleiter mehr geben.
Das Vermummungsverbot, also das Verbot, sein Gesicht etwa mit einer Sturmhaube oder sonstigen Maske unkenntlich zu machen, soll etwas weicher geregelt werden. Danach soll nur das Tragen einer Vermummung verboten werden, nicht aber das bloße Mitführen von "Schutzausrüstung und Vermummungsgegenständen". Und das auch nur, wenn das geschieht, um etwa seine Identität nach einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit zu verschleiern. Vereinfacht gesagt: Das Tragen einer Sturmhaube darf damit nicht mehr per se verboten werden.
Künftig soll auch auf privaten Straßen oder Plätzen demonstriert werden dürfen – und das sogar schon in einer sehr kleinen Gruppe: In Zukunft sollen nach dem Gesetzentwurf bereits zwei Personen als Versammlung gelten.
In Zukunft keine Bannmeile mehr
Mit Blick auf die Ereignisse im Sommer 2020, als eine Gruppe Demonstranten in das Reichstagsgebäude eindringen wollte, klingt eine Neuerung besonders problematisch: die Umwandlung der alten Bannmeile in einen "befriedeten Bezirk", in dem auch Demonstrationen möglich sein sollen, während eine Parlamentssitzung läuft.
Bisher verbietet in Berlin die Bannmeile das Demonstrieren vor den besonderen Institutionen des Bundes und der Länder. Während der Sitzungswochen der Parlamente ist das Demonstrieren also innerhalb dieses Bereichs grundsätzlich nicht gestattet. Die Reichstags-Demonstranten konnten nur wegen der Sommerpause überhaupt in die Nähe des Bundestags kommen.
Das neue Gesetz will nun diese Beschränkung aufheben. Da es ein Landesgesetz ist, kann es das aber nur für die Institutionen der Länder tun, also für das Abgeordnetenhaus.
Ohne Ansprechpartner könnte es schwierig werden
Das Gesetz soll zwar die Möglichkeit enthalten, solche Versammlungen zu verbieten, wenn eine Beeinträchtigung der Parlamentarier droht. Ohne konkreten Ansprechpartner vor Ort könnte das in Zukunft aber schwieriger durchzusetzen sein.
Allein die Corona-Demonstrationen haben das bereits nach aktueller Rechtslage gezeigt. Für die Polizei war es mitunter kaum möglich, Versammlungsauflagen durchzusetzen. Teilweise war es unklar, wer für welchen Teil der sehr unterschiedlichen Demos zuständig war.
Eine weitere geplante Neuerung: "Verbotene Versammlungen" müssen künftig nämlich nicht mehr zwingend aufgelöst werden. Und auch Gegendemonstrationen sollen in Zukunft nicht mehr so strikte Auflagen haben wie bisher.
AfD befürchtet "Weimarer Verhältnisse"
Kritik an dem Entwurf kommt von der Opposition: FDP-Mann Holger Krestel nannte im Innenausschuss vor allem die "Aufweichung" beim Vermummungsverbot ein "Bonbon für Vertreter des Schwarzen Blocks". Denn dessen Anhänger würden ihre Gesichter oftmals mit Sturmhauben, Masken oder weiten Kapuzen verdecken. Ohnehin sei ein eigenes Versammlungsrecht für Berlin gar nicht erforderlich. Die Bundesregeln seien völlig ausreichend.
Dem schließt sich auch der CDU-Fraktionschef Burkard Dregger an. Er nennt es "ärgerlich", dass die Nichtnennung des Veranstalters nicht sanktioniert werden soll. Das stehe "im Widerspruch zu der gewünschten Kooperation zwischen Polizei- und Versammlungsdurchführer."
AfD-Mann Marc Vallendar befürchtet für die Zukunft wachsende Eskalationen zwischen verschiedenen Demonstrationen: "Das Gesetz schafft fast Weimarer-Verhältnisse". Zudem vermutet Vallendar auch verfassungsrechtliche Probleme durch künftig erlaubte Demonstrationen auf privatem Grund.
Arbeit der Ordnungskräfte könnte erschwert werden
Letzteren Vorwurf kann Rot-Rot-Grün einigermaßen schnell entkräften. Denn dass Eigentümer von Plätzen, Malls oder Privatstraßen Demonstrationen unter bestimmten Voraussetzungen dulden müssen, ist schlicht die Folge eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) von 2015: Das erlaubte einen sogenannten Bierdosen-Flashmob auf einem privaten Grundstück.
Für die Versammlung ohne offiziellen Veranstaltungsleiter verweist der Linke-Rechtsexperte Sebastian Schlüsselburg auf die veränderten Formen von Demonstrationen: "Es gibt keine Pflicht für die Bestellung eines Versammlungsleiters, da neuere Phänomene wie Smartmobs und Flashmobs sich gerade dadurch auszeichnen, dass sie keine Veranstalter und Leiter haben." Ganz von der Hand zu weisen dürfte es dennoch nicht sein, dass die Arbeit der Ordnungsbehörden dadurch erschwert wird.
Die Abgeordneten von Rot-Rot-Grün will Zeichen für Demokratie setzen
Gerade in Zeiten, in denen die Demokratie unter Druck gerate, setze das Abgeordnetenhaus mit dem angestrebten Gesetz ein Zeichen, sagte Schlüsselburg dem rbb. Die Menschen müssten Gehör bekommen, das gelte gerade in Berlin.
Nicht nur über die angestrebten Regelungen des geplanten Versammlungsgesetzes wird das Abgeordnetenhaus am Donnerstag wahrscheinlich noch einmal hitzig debattieren. Es könnte auch um die Frage gehen, ob der Entwurf mitten in der Pandemie zur richtigen Zeit kommt.
Sendung: Inforadio, 11.02.2021, 11 Uhr