Berlin -

Die allermeisten Tatverdächtigen bei Fällen von häuslicher Gewalt in Berlin sind bereits polizeibekannt. Das teilte der Senat in einer parlamentarischen Anfrage des fraktionslosen Abgeordneten Marcel Luthe mit, die dem rbb vorliegt. Demnach wurden 2020 mehr als 1.300 Straftaten gegen das Gewaltschutzgesetz verzeichnet, in fast 94 Prozent der Fälle waren die Täter männlich.
Laut Senatsangaben waren von den rund 1.300 Tatverdächtigen im Jahr 2020 rund 1.270 zuvor bereits wegen häuslicher Gewalt oder anderer Vergehen polizeilich in Erscheinung getreten. Luthe kritisiert in diesem Zusammenhang, dass die Jugendämter häufig dennoch nicht den Umgang der Täter mit ihren Opfern – oft Partner oder Ex-Partner - und den gemeinsamen Kindern konsequent einschränken oder unterbinden. "Häusliche Gewalt klingt schon zu verharmlosend", so Luthe. "Wir sprechen oft von psychischer Manipulation, brutaler Gewalt und Vergewaltigungen - und das im eigenen Heim."
Luthe: Tätern werde es leicht gemacht
Aus Sicht des ehemaligen FDP-Politikers ist die Gefahr, die von vielen Tätern ausgeht, aufgrund ihrer Vorgeschichte frühzeitig erkennbar. Dennoch würde ihnen zu oft der Zugriff auf ihre Opfer erleichtert. "Die Jugendämter spielen hier eine unrühmliche Rolle", so Luthe. "Wer zu Gewalt gegen den eigenen Partner greift, kann auch sein Kind nicht gewaltfrei erziehen. Hier müssen die Jugendämter die Opfer der Gewalt schützen und dürfen nicht den Tätern helfen, indem sie Kontakt zwischen Täter und Opfer zum angeblichen Kindeswohl verlangen."
Die zuständige Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie weist darauf hin, dass die Jugendämter bei Fällen von häuslicher Gewalt das Wohl von möglicherweise betroffenen Kindern besonders im Blick haben. "Im Rahmen des Kinderschutzes ist häusliche Gewalt ein wesentlicher Indikator für eine Kindeswohlgefährdung." Es gebe zahlreiche Beratungs- und Hilfsangebote, die man den Eltern unterbreiten würde. Juristische Handhabe gegenüber den gewalttätigen Partnern habe das Jugendamt aber nicht. "Entscheidungen über ein gemeinsames Sorge- oder bestehendes Umgangsrecht treffen grundsätzlich die Familiengerichte."
97 Fälle von Mord und Totschlag seit 2015
Am häufigsten kommt es bei häuslicher Gewalt zu Fällen von einfacher oder gefährlicher Körperverletzung. Insgesamt 97 Fälle von Mord oder Totschlag wurden seit 2015 gezählt. Deutlich seltener, nämlich vier Mal, kam es zu Körperverletzung mit Todesfolge. Fast 800 Mal wurden sexuelle Straftaten im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt registriert, von sexueller Nötigung bis Vergewaltigung. In den allermeisten Fällen waren die Opfer Frauen.
Laut aktuellen Zahlen der Gewaltschutzambulanz an der Berliner Charité gab es im Zusammenhang mit dem zweiten Corona-Lockdown eine höhere Zahl an Gewaltopfern. Insgesamt registrierte die Einrichtung im vergangenen Jahr acht Prozent mehr Fälle als noch im Jahr 2019. Von den 1.661 Gewaltopfern, die sich in der Ambulanz gemeldet haben, waren 900 Frauen und 352 Männer. Die Zahl der Kinderfälle in der Gewaltschutzambulanz stieg um 14,4 Prozent auf 405 Fälle.