Rigaer Straße 94 - Die Frage nach dem Brandschutz

Im teilbesetzen Haus in der Rigaer Straße 94 in Berlin wird bald ein Brandschutzgutachter auftauchen: von der Eigentümerin ausgesucht und staatlich anerkannt. Der zuständige Baustadtrat wollte das eigentlich verhindern. Warum? Eine Rekonstruktion von Birgit Raddatz
Nein, mit den Medien wollen sie lieber nicht mehr sprechen, heißt es von den Menschen aus der Rigaer Straße 94 in Berlin auf rbb-Anfrage. Zu schlecht seien die Erfahrungen. Auch der zuständige Baustadtrat, Florian Schmidt (Grüne), stand für ein Interview nicht zur Verfügung. Und der Brandschutzgutachter, der Ende Juni ein Gutachten erstellen soll, bleibt lieber anonym.
Warum sich alle Beteiligten dermaßen zurückhalten, liegt daran, dass die anstehende Brandschutzprüfung das Ergebnis eines langen juristischen und politischen Prozesses ist. Ein Prozess, der eigentlich zu einer Räumung des besetzen Hauses führen sollte. Das hofft die Eigentümerin, eine Firma mit Sitz in Großbritannien, das fürchten die Bewohner*innen.
Die Rolle der Polizei
Seit den 1990er Jahren ist das Haus in der Rigaer Straße besetzt. Immer wieder kommt es zu Ausschreitungen zwischen Bewohner*innen und der Polizei Berlin. Auch hier möchte man sich lieber nicht zur Causa Rigaer Straße äußern. Ausgerechnet Polizist*innen haben das Thema vor einigen Jahren aber aufgeworfen.
Der Bauaufsicht schickten sie nach Einsätzen in der Rigaer Straße Fotos, das erste Mal 2016, später noch einmal 2019 und 2020. Darauf war allerlei Bauschutt zu sehen, sowie versperrte Zugänge und Falltüren. Das Bezirksamt sah sich gezwungen, zu handeln. Und schickte zunächst dem Anwalt der Bewohner*innen, Lukas Theune, eine Aufforderung, den Brandschutz klären zu lassen.
Laut Allgemeinem Sicherheits- und Ordnungsgesetz (Asog) [justiz.de] ist das zulässig. Den Brandschutz können entweder der Eigentümer oder die Bewohner*innen prüfen lassen. Das taten diese auch, allerdings nicht glaubhaft genug. Also alles wieder auf Anfang.
Die Rolle des Baustadtrats
Warum der Bezirk nur eine Mail an den Anwalt geschrieben und keine eigenen Leute ins Haus geschickt hat, begründete Bezirksbaustadtrat Schmidt damit, weitere Ausschreitungen verhindern zu wollen und die Situation insgesamt zu befrieden. Wie aus einer Antwort der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf eine Anfrage des FDP-Abgeordneten Stefan Förster [parlament-berlin.de] hervorgeht, vermutete Schmidt, dass die Eigentümer und die Polizei den Brandschutz nutzten, um andere zu Ziele erreichen.
Hinzu kam aber beim Bezirksamt und auch bei Theune ein weiterer Verdacht: Bewohner*innen sollten nicht primär vor den Folgen eines Brandes zu geschützt, sondern vielmehr die "Festung" Stück für Stück abgerissen werden. Anwalt Theune behauptet: "Die Bewohner*innen haben viel zu sehr Angst vor Brandanschlägen der Rechten, sie tun alles, um sich dagegen zu schützen."
Die Entscheidung des Bezirksamtes, nicht sofort ins Haus zu gehen, war durchaus politisch. Anfangs bekommt Schmidt dafür noch Unterstützung vom Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD). Der glaubt im Oktober 2020 nicht, dass man im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg nicht mehr auf dem Boden der Grundordnung steht.
Doch diese Einigkeit hält nicht lange. Später wird Geisel über Schmidt sagen, dieser "halte sich nicht an Recht und Gesetz".
Anwälte der Eigentümerin jahrelang nicht anerkannt
Nun ist die Rigaer Straße kein herrenloses Haus. Warum wurde also die Eigentümerin nicht tätig? Eine in Großbritannien eingetragene Firma, die Lafone Investment Limited, gibt an, die Eigentümerin zu sein. Die deutsche Vertretung wurde jedoch jahrelang weder von Berliner Gerichten noch vom Senat anerkannt. Das änderte sich im Februar dieses Jahres durch mehrere Gerichtsentscheidungen.
Durch diese Anerkennung sah die die Eigentümerin nun auch eine Chance, zumindest Teile des Hauses räumen lassen zu können. Etwa die "Kadterschmiede", mehrere leerstehende Wohnungen im Seitenflügel des Hauses, die als Kneipe genutzt werden - allerdings ohne Baugenehmigung. Die für kommenden Montag angesetzte Verhandlung über die Räumung ist nun verschoben worden.
An diese die Lafone Investment Limited und deren Vertretung richtete Schmidt im Dezember 2020 schließlich doch eine Anordnung. Sie habe sich um den Brandschutz zu kümmern, hieß es.
Besteht unmittelbare Gefahr, kommt es zur Räumung
Nun soll sich etwas bewegen, nach all den politischen Diskussionen und juristischen Prozessen. Für Ende Juni hat die Eigentümerin den Brandschutzgutachter bestellt. Auch sein Besuch musste juristisch durchgeboxt werden. Mit Polizeischutz wird er sich das Haus ansehen. Angesichts der Vorgeschichte darf man durchaus annehmen, dass die aufgeheizte Stimmung einen Höhepunkt erreichen wird. Bis heute kam es dort immer wieder zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Bewohner*innen und Polizist*innen. Beim Versuch, ins Haus zu gelangen, wurde ein Hausverwalter und dessen Anwalt angegriffen.
Die wichtigste Frage aber lautet: Kommt es während der Begehung zu einer Räumung? Dafür müsste der Gutachter eine unmittelbare Gefahr feststellen. Zwei Kriterien müssten dafür theoretisch erfüllt sein:
1. Der erste Rettungsweg über den Treppenraum ist zum Beispiel versperrt oder Geländer sind nicht richtig angebracht.
2. Die Feuerwehr könnte im Falle eines Brandes für die oberen Etagen keinen zweiten Rettungsweg sicherstellen.
Dann müssten alle Mieter*innen der betroffenen Wohnungen diese verlassen. Das käme dem Vermieter gelegen. Denn wieder hereinlassen müsste er dann nur diejenigen mit gültigem Mietvertrag. Laut Bewohner*innen-Anwalt Theune sind die meisten mit Mietvertrag, der Anwalt der Eigentümer bestätigt: Es sind 19 Mietverträge. Laut seiner Berechnung nutzen die Mieter*innen drei der Wohnungen selbst, die anderen 16 Wohnungen seien entweder leer, besetzt oder illegal untervermietet, so Alexander von Aretin.
Die Eigentümeranwälte machten jedoch in der Vergangenheit keinen Hehl daraus, dass bei einer Begehung auch gleich Schlösser ausgewechselt werden sollen. Fraglich, ob dann auch jede*r einen Schlüssel bekommt. Für die Bewohner*innen gilt es also, die Räumung zu verhindern.
Bewohner*innen sind gewarnt
Was dann passierte, mögen viele als Farce bezeichnen, den Bewohner*innen könnte es durchaus als nützliche Vorbereitung dienen. Denn nun reagierte das Bezirksamt doch: Es schickte – im Auftrag des Stadtrates – eine Mitarbeiterin ins Haus.
Über vier Stunden besichtigte die neue Leiterin der Bauaufsicht zusammen mit Theune alle Wohnungen. Das Protokoll umfasst verschiedene Mängel im ganzen Haus: Im Treppenhaus ist das Geländer lose, elektrische Kabel liegen zum Teil frei, der Treppenunterbau besteht nur aus Holz statt aus Beton. Nicht ausgeschlossen ist also, dass der Gutachter die unmittelbare Gefahr feststellen würde.
Aber: Das können die Mieter*innen selbst beseitigen, heißt es im Bezirks-Protokoll. Der Verdacht drängt sich auf, dass es also eine Warnung für die Bewohner*innen war: Kurz nach der Besichtigung jedenfalls beobachten Anwohner*innen, wie die Bewohner*innen fleißig entrümpelten.
Was nach der Brandschutzbegehung Ende Juni folgt, ist noch nicht ganz klar. Sicher ist, dass die Eigentümerin alles tun wird, um erneut ins Haus zu gelangen. Was ein Ende der Besetzung der Rigaer Straße werden sollte, könnte nun eher der Beginn eines neuen Kapitels werden.