Umstrittene Justizreform - Brandenburg stellt seine Arbeitsgerichte neu auf

Mi 19.05.21 | 06:05 Uhr | Von Sebastian Schöbel
Archivbild: Demonstranten während einer Kundgebung gegen die Schließung der Arbeitsgerichtsstandorte Potsdam, Eberswalde und Senftenberg vor dem Brandenburger Landtag in Potsdam, 4. Mai 2021. (Quelle: imago images/M. Müller)
Bild: imago images/M. Müller

Die Brandenburger Richterschaft hat sie vehement abgelehnt, Gewerkschaften liefen Sturm, sogar der Bauernverband übte Kritik. Trotzdem will die Kenia-Koalition die Reform der Arbeitsgerichte nun final beschließen - allerdings mit Änderungen. Von Sebastian Schöbel

Gut möglich, dass der Film-Pfarrer Don Camillo bald zum stilistischen Vorbild der Brandenburger Arbeitsrichter wird. Der brauste, gespielt von Terrence Hill, in den 1980er Jahren auf seinem Cagiva-Motorrad von Gemeinde zu Gemeinde durchs ländliche Norditalien. Einen ähnlichen fahrbaren Untersatz (oder einen aktuellen Zugfahrplan) werden ab Januar 2023 auch die märkischen Arbeitsrichter brauchen, wenn sie für einzelne Gerichtstage durch die Weiten Brandenburgs reisen müssen. Denn mit der Reform von Justizministerin Susanne Hoffmann (CDU), die der Landtag am Donnerstag beschließen will, wird die Struktur der Arbeitsgerichte neu ausgerichtet - gegen den vehementen Widerstand der Richterschaft.

Nur noch vier feste Arbeitsgerichte wird es dann in Brandenburg geben: in Brandenburg an der Havel, Frankfurt (Oder), Neuruppin (Ostprignitz-Ruppin) und Cottbus. Die Arbeitsgerichte in Eberswalde (Barnim) und Potsdam sowie die Kammer des Arbeitsgerichts Cottbus in Senftenberg (Oberspreewald-Lausitz) werden in ihrer jetzigen Form geschlossen.

Arbeitsrichtern geht die Arbeit aus

Denn es gibt zu wenig Arbeit an den Arbeitsgerichten: Die Menge der Verfahren sinkt von Jahr zu Jahr, wohl auch, weil der Arbeitsmarkt stabil ist und arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen immer seltener werden – und sich das Kräfteverhältnis zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verändert hat. "Die zurückgehenden Fallzahlen machen eine Neujustierung der Arbeitsgerichtsbarkeit notwendig", sagte die justizpolitische Sprecherin der SPD, Tina Fischer.

Justizministerin Hoffmann drückte es drastischer aus: "Diese Reform ist dringend notwendig, um die Zukunft der Arbeitsgerichtsbarkeit zu gewährleisten." Denn die rund 20 Arbeitsrichter in Brandenburg seien bislang auf zu viele Standorte verteilt, was zum Beispiel Vertretungen im Krankheitsfall schwierig mache.

Massive Kritik an Reform

Die Richterschaft hat sich bis zuletzt gegen die Reform gestemmt - und fühlte sich brüskiert von Hoffmann, die den Juristen ein zu geringes Arbeitspensum vorhielt und flapsig von der "Vertreibung aus dem Paradies" sprach. Vom Gesamtrichterrat am Landesarbeitsgericht bis zur Anwaltskammer hagelte es Beschwerden und scharf formulierte Stellungnahmen: Der Rechtsstaat dürfe sich nicht aus dem ländlichen Raum zurückziehen, hieß es.

Auch lokale Interessenvertreter wie die Handwerkskammer oder der Bauernverband Barnim übten Kritik. Marlen Block, die justizpolitische Sprecherin der Linken, warnte vor "deutlich längeren Wegen, längeren Verfahrenslaufzeiten und höheren Kosten", die vor allem Menschen mit niedrigen Einkommen treffen würden. "Insbesondere der gesamte Nordosten des Landes Brandenburg würde bei der geplanten Verteilung stark benachteiligt."

Dass mit Potsdam ausgerechnet die Landeshauptstadt ihr Arbeitsgericht verliert, stieß auf besonders heftigen Widerstand. Das sei ein "Tiefpunkt des Handelns der Brandenburger Landesregierung", sagte der Landesvorsitzende des Beamtenbundes, Ralf Roggenbuck. "Diese Sehnsucht nach Provinzialität ist nicht zu verstehen, wir machen uns damit kleiner, als wir es sind."

Kenia-Koalition änderte Reform

Angesichts des massiven Drucks besserten SPD, Grüne und CDU die Reform vor der finalen Abstimmung am Mittwoch nun noch einmal nach. In Eberswalde soll nun zumindest eine Außenkammer des Arbeitsgerichtes Frankfurt (Oder) eingerichtet werden. Zudem wird es in den Amtsgerichten Potsdam und Senftenberg gesetzlich garantierte Gerichtstage für arbeitsrechtliche Verfahren geben.

Weniger Gerichte, mehr Gerichtstage

Zusätzlich sind solche einzelnen Gerichtstage auch in Luckenwalde (Teltow-Fläming), Perleberg (Prignitz) und Königs Wusterhausen (Dahme-Spreewald) geplant - dort, wohin es bisher noch keinen Arbeitsrichter beruflich verschlagen hat. Allerdings mit einer Einschränkung: Diese Standorte werde es vorerst nur als eine Art Pilotprojekt geben, heißt es aus Koalitionskreisen. Nach ein paar Jahren soll evaluiert werden, ob diese Gerichtstage für arbeitsrechtliche Verfahren überhaupt gebraucht werden.

"An allen Standorten der Gerichtstage wird es Rechtsantragsstellen geben, die für die Bürger vor Ort erreichbar und nutzbar sind", sagte der rechtspolitische Sprecher der CDU, Danny Eichelbaum. Das soll auch nach außen hin sichtbar sein, heißt es im Gesetzentwurf: mit Schildern an den Gebäuden, die auf die Präsenz des Arbeitsgerichts hinweisen.

Diese Schilder dürften sicherlich auch den Arbeitsrichtern und Arbeitsanwälten helfen, ihre neuen Wirkungsstätten zu finden. Der eine Jurist oder die andere Juristin könnte dann dort auch sicherlich das Pendler-Motorrad parken.

Hinweis: Die namentliche Abstimmung über die Reform ist für Donnerstag geplant.

Sendung: Heute im Parlament, 19.05.2021, 15:00 Uhr

Beitrag von Sebastian Schöbel

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