1. Mai in Berlin - Mieten-Proteste, Fahrradkorso in den Grunewald und Tränengas

Viel mehr Menschen, deutlich politischer: Der 1. Mai hat Zehntausende in Berlin auf die Straßen getrieben - radelnd in Villenvororte, protestierend gegen Mietwucher. Am Ende kam es bei der "Revolutionären 1.-Mai-Demo" zu Flaschenwürfen, Tränengas und Festnahmen.
Zum Tag der Arbeit haben in Berlin Zehntausende Menschen an Dutzenden Demonstrationen teilgenommen - größtenteils friedlich. Am Abend gab es allerdings Zusammenstöße zwischen der Polizei und Demonstranten in Neukölln.
Hauptthemen der Proteste waren faire Arbeitsbedingungen für Angestellte, die Sorge um übermäßig steigende Mieten sowie die desolate wirtschaftliche Lage der Club- und Veranstaltungsbranche in der Stadt aufgrund der pandemiebedingten Einschränkungen.

Eskalation in der Sonnenallee
Bei der "Revolutionären 1. Mai-Demonstration" kam es am Samstagabend in Berlin zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstrierenden. Es gab mehrere Festnahmen. Polizeipräsidentin Barbara Slowik sagte am Abend, dass bis zu 10.000 Menschen an dieser Demonstration teilgenommen hatten, die Organisatoren gaben die Teilnehmerzahl mit mehr als 20.000 an. Angemeldet waren 1.000 Demonstranten.
Der Protestzug, der am Neuköllner Hermannplatz startete und zum Oranienplatz in Kreuzberg ziehen wollte, wurde in der Sonnenallee gestoppt. Die Polizei hatte am Rathaus Neukölln einen Block mit schwarz gekleideten Demonstranten isoliert, in der Folge war der Zug zweigeteilt. Der übrige Demonstrationszug steckte fest und kam nicht weiter.

Daraufhin stauten sich die Menschen, die Stimmung wurde zusehends angespannter und kippte schließlich. Flaschen, Böller und Steine wurden aus der Menge auf die Beamten geworfen. Die Polizei setzte Pfefferspray ein.
Auf der Sonnenallee brannten auf der Höhe Weichselstraße Holzpaletten und Mülltonnen, im Umfeld der Demonstration wurde außerdem ein Geländewagen angezündet. Gegen 21.30 Uhr beruhigte sich die Lage. Die Demonstration wurde aufgelöst, ihre Teilnehmer zogen über umliegende Straßen weiter oder in die Hasenheide. Die Polizei ging mit Taschenlampen durch den Park und machte anwesende Gruppen auf die Ausgangsbeschränkungen aufmerksam.
Der Protestzug war kurz nach 18 Uhr am Hermannplatz mit Verspätung gestartet, weil Mindestabstände nicht eingehalten worden waren. Die Polizei hatte dann jedoch das Loslaufen gestattet, "damit sich das Ganze weiter entzerrt und die Abstände besser eingehalten werden können", wie sie twitterte.
rbb-Reporter beobachteten, dass auch während des Zuges die Mindestabstände vielfach unterschritten wurden. Allerdings trugen die allermeisten Teilnehmer Mund-Nasen-Schutz. Bis zu den späteren Ausschreitungen war die Stimmung der weitaus meisten Demonstranten friedlich und gelöst.

Mehrere Freiheitsbeschränkungen
Nach Polizeiangaben wurden mehrere Polizisten bei dem Einsatz in Neukölln verletzt. Ihre Zahl bewege sich im niedrigen zweistelligen Bereich, einige hätten zur Behandlung ins Krankenhaus gebracht werden müssen. Wie viele Demonstranten verletzt wurden, war zunächst hingegen unklar.
Im Umfeld der "Revolutionären 1.-Mai-Demo" habe es etwa 50 Freiheitsbeschränkungen gegeben, hieß es. Über den ganzen Tag hinweg summierte sich die Zahl auf etwa 240, sagte Polizeisprecher Thilo Cablitz dem rbb.
Viele Freiheitsbeschränkungen habe es auch im Umfeld einer Demonstration von sogenannten "Querdenkern" in Lichtenberg gegeben, hatte die Polizei bereits zuvor mitgeteilt.
Polizeisprecher Cablitz: "Emotionale Ausgangslage"
Linke, aber auch linksradikale Gruppen hatten zu dem Protest aufgerufen. Cablitz betonte, dass die Ausgangslage in diesem Jahr deutlich emotionaler gewesen sei als in den vergangenen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes gegen den Mietendeckel, Räumungen linksradikaler Wohnprojekte und der linken Szenekneipe Syndikat und die Corona-Pandemie - all dies seien Faktoren, die in diesem Jahr zu einer emotionaleren Situation führen könnten.
In ganz Berlin waren für den 1. Mai 41 Demonstrationen angemeldet worden, wie Innensenator Andreas Geisel (SPD) der rbb-Abendschau sagte. Bereits am Nachmittag zogen mit einem Fahrradkorso rund 10.000 Menschen bei der Demonstration "MyGruni" durch Berlin-Grunewald. Die Radler waren am Mittag vom Großen Stern in das Villenviertel gefahren. Für die Demonstration waren ursprünglich 2.500 Teilnehmer angemeldet.
Im Verlauf des geplanten Demonstrationszuges sperrte die Polizei zahlreiche Seitenstraßen, aber zeitweise auch die A100. Ausschreitungen gab es nach bisherigen Informationen nicht.
Im Treptower Park waren am Nachmittag 1.500 Menschen zusammengekommen - angemeldet war eine Art Tanzdemonstration. Bei der Veranstaltung im Bezirk Treptow-Köpenick habe die Polizei keine Verstöße gegen die Hygiene-Auflagen festgestellt, sagte ein Sprecher. Durch den Park schallte zeitweise laute Musik, auf der Wiese waren tanzende und hüpfende Menschen zu sehen. Angemeldet wurde die Versammlung laut Polizei von "Ecstatic Dance Berlin".
Den Demo-Auftakt hatte am Vormittag die DGB-Kundgebung am Brandenburger Tor gemacht - wegen der Corona-Pandemie eine deutliche kleinere Veranstaltung als in früheren Jahren. Mehrere hundert Teilnehmer fuhren anschließend bei einem Fahrradkorso der Gewerkschaften zum Tempelhofer Feld mit. Dort versammelten sich nach Schätzungen eines rbb-Reporters rund 500 Teilnehmer.
Gegen Mittag versammelten sich rund 350 Gegner der Corona-Maßnahmen in Berlin-Lichtenberg. Die Veranstalter der Gruppe "Querdenken" hätten mit 1.000 Teilnehmern gerechnet. Die meisten Teilnehmer trugen die vorgeschriebenen Schutzmasken - einige aber auch nicht. Die Polizei führte schon zu Beginn der Veranstaltung mehr als ein Dutzend von ihnen zur Seite und nahm ihre Personalien auf, um Ordnungswidrigkeitsanzeigen zu stellen.
Wenige Meter weiter demonstrierten rund 200 Menschen gegen die Veranstaltung der Kritiker der Corona-Regeln. Insgesamt sprach die Polizei aber von einer friedlichen und nicht auffälligen Veranstaltung. Die Polizei hielt beide Demonstrationen in Lichtenberg getrennt.
Am Mittag startete am Stralauer Platz am Ostbahnhof eine Kundgebung "Für die Wiederbelebung der Kultur- und Clubszene". Die Teilnehmer, oft jüngere Menschen, wollten Richtung Ostkreuz ziehen. Musik gab es vom Lautsprecherwagen, auch Jongleure und Einradfahrer waren bei der Demonstration zu sehen. Auch hier wurden mehrere Tausend Menschen gezählt. Die Polizei musste mehrfach auf die Einhaltung von Hygienevorschriften hinweisen. Insgesamt sei aber auch diese Veranstaltung "ruhig" verlaufen, sagte Cablitz.
Die Polizei ist mit einem Großaufgebot von rund 5.600 Beamten im Einsatz. Vor dem Mai-Feiertag sind zur Walpurgisnacht am Freitagabend bei zwei Demonstrationen von linken und feministischen Gruppen rund 3.500 Demonstranten weitgehend friedlich auf die Straße gegangen.
Sendung: Abendschau, 01.05.2021, 19:30 Uhr