Verlängerung der A100 - Links-grüne Überholmanöver auf einer unfertigen Autobahn
In der Debatte über die Verlängerung der A100 machen die Linken mit einem Gutachten Druck - auf die Berliner Grünen: Deren Verkehrssenatorin soll die Planungshoheit über die Autobahn zurückholen. Kann der Bau noch verhindert werden? Von Sebastian Schöbel
Wenn Gesine Lötzsch über die Verlängerung der A100 spricht, könnte man sie glatt für einen Grünen-Politikerin halten. Das sei "ein Projekt aus dem vergangenen Jahrhundert", sagt die Bundestagsabgeordnete der Linken aus Lichtenberg.
Lötzsch meint nicht nur den geplanten 17. Bauabschnitt zwischen Treptower Park und Storkower Straße, sondern auch den schon im Bau befindlichen 16. Bauabschnitt zwischen Treptower Park und Dreieck Neukölln: Beides müsse das Land Berlin verhindern.
Wie das gehen kann, hat sich die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages in einem Gutachten erklären lassen, das dem rbb vorliegt. Darin erklären die juristischen Experten des Parlaments, welche Handhabe Kommunen gegen ungeliebte Bundesautobahnen - zumindest theoretisch - haben.
So könnten gebaute oder geplante Autobahnen zum Beispiel zur einfachen Bundesstraße herabgestuft oder gar ganz eingezogen werden, "wegen überwiegender Gründe des öffentlichen Wohl", so das Gutachten. Argumentationsbeispiele liefern die Experten gleich mit: Wohnumfeldverbesserung, Verkehrsberuhigung oder veränderte regionalplanerische Zielsetzungen.
Linke sieht Grundlage für Abstufung
All das könne man problemlos bei der A100 nachweisen, sagt Lötzsch. Beim 16. Bauabschnitt drohe durch den Neubau der Elsenbrücke ein Verkehrschaos, weil die Autobahn Tausende Fahrzeuge am Tag auf überlastete Nebenstraßen lenken würde. Hier sei eine Abstufung zwingend erforderlich. Und der 17. Bauabschnitt würde "zu massiven Wohnumfeldverschlechterungen" führen, so Lötzsch, "die umliegenden Straßen wären nicht in der Lage, die prognostizierten 110.000 Autos täglich aufzunehmen".
"Die gesetzlichen Grundlagen zur Einziehung oder Abstufung von Autobahnen sind da", zeigt sich Lötzsch sicher, die auf Listenplatz drei der Berliner Linken erneut für den Bundestag kandidiert. "Es kommt jetzt darauf an, sie auch zu nutzen."

Verkehrssenatorin soll Verlängerung verhindern
Gemeint ist Berlins Verkehrssenatorin Regine Günther von den Grünen - und damit wird die Sache heikel. Denn mit dem Autobahn-Gutachten will Linken-Politikerin Lötzsch zum wahlkämpferischen Überholmanöver ansetzen - allerdings nicht etwa vorbei an CSU-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, sondern vorbei am aktuellen Koalitionspartner in Berlin, den Grünen.
Beim 16. Bauabschnitt müsse Günther umgehend beim Bund auf eine Abstufung hinwirken - und beim 17. Bauabschnitt sogar noch einen Schritt weiter gehen, sagt Lötzsch. "Die grüne Verkehrssenatorin sollte sofort gemäß Fernstraßen-Bundesamt-Errichtungsgesetz, die Planfeststellungsbehörde vom Bund zurück zum Land Berlin holen", sagt sie. "Dann kann Berlin verhindern, dass Planungsrecht geschaffen wird.
Grüne werfen geplanten Rechtsbruch vor
"Wir sind gegen den Weiterbau", betont Harald Moritz, der verkehrspolitische Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus. Doch die Forderungen der Linken seien weder neu noch umsetzbar. Der 16. Bauabschnitt seien durch die rot-rote die und rot-schwarze Vorgänger-Regierung beschlossen und planfestgestellt worden, sagt Moritz. "Es ist es sehr schwierig, das rückgängig zu machen." Diesen 3,2 Kilometer langen Autobahnabschnitt in eine einfache Bundesstraße mit weniger Fahrstreifen zu machen, finde er im Prinzip richtig, sagt Moritz. Dann könne man am Treptower Park eventuell mit einer sogenannten Pförtnerampel regulieren, wie viele Autos in die Stadt einfahren.
Für den 17. Abschnitt die Planungsbehörde zum Land Berlin zurückzuholen, lehnt Moritz allerdings kategorisch ab. Denn hinter der Idee verberge sich in Wirklichkeit eine Mini-Rebellion. "Weil die Idee der Linken ist, dass die Beamten der Landesbehörde die Autobahn verzögern oder verhindern sollen. Das ist kein rechtmäßiger Weg und wird praktisch auch nicht funktionieren." Schließlich stehe der 17. Bauabschnitt im Bundesverkehrswegeplan und im entsprechenden Ausbaugesetz. Zudem bleibe Berlin so der Klageweg gegen den 17. Abschnitt noch offen. Plant Berlin die Autobahn selber, sei das nicht mehr möglich.
Zumal man die politisch heiße Kartoffel A100 auch gar nicht selber haben wolle, sagt Moritz. "Das soll schön der Bund machen." Aktuell also: die Bundesregierung von CDU/CSU und SPD.
Der Bund will nicht, Berlin kann nicht
Verkehrssenatorin Regine Günther weist die Forderung der Linken auf rbb-Nachfrage zurück. Natürlich lehne sie den Weiterbau ab. Aber: "Das Land kann nicht selbst aktiv werden, weil Bundesverkehrswege Sache des Bundes sind." Das gelte sowohl für die Herabstufung des 16. Bauabschnitts als auch für die Umsetzung des 17. Bauabschnitts.
Zwar sei es richtig, dass Berlin bis zum 1. Januar dieses Jahr im Auftrag des Bundes Autobahnbau ausgeführt habe, doch inzwischen sei die neue Autobahn GmbH zuständig. "Eine Option, die Zuständigkeit für die Planungs- und Ausführungsleistungen im Land zu behalten, bestand nicht", so die Verkehrsverwaltung.
Und selbst wenn: Es hätte an der Situation nichts geändert. Planfeststellungsbehörden müssten stets weisungsunabhängig und neutral agieren. Würde Berlin dem Plan der Linken folgen und sich zumindest für den 17. Bauabschnitt der A100 die Planungshoheit sichern, würde das gar nichts ändern, so die Verkehrsverwaltung. Die Autobahn müsste gebaut werden. "Verkehrspolitische Auseinandersetzungen haben im politischen Raum ihren Platz, nicht in der Planfeststellungsbehörde."
"Schnellstmöglich Baurecht schaffen"
Das Bundesverkehrsministerium äußert sich auch rbb-Nachfrage nur knapp, aber deutlich: "Der baulich weit fortgeschrittene 16. Bauabschnitt wird auf Grundlage eines bestandskräftigen und damit unanfechtbaren Planfeststellungsbeschlusses realisiert", teilte eine Ministeriumssprecherin mit. Den 17. Bauabschnitt hätten die Planungen bereits begonnen, heißt es weiter, "mit dem Ziel, schnellstmöglich Baurecht zu schaffen und das Gesamtprojekt zu vollenden".
Die Autobahnverlängerung müsse auch nicht neu überdacht werden, so das Bundesverkehrsministerium. Im Gegenteil: Die A100 bündele den motorisierten Verkehr und entlaste die Straßen Berlins. "Gerade die Verkehrssituation in Berlin zeigt, dass punktueller Autobahnneubau auch heute noch ein unabdingbarer Beitrag zu einer modernen, nachhaltigen Mobilität sein kann", so das Ministerium.
TU-Experte: Nur der Bund entscheidet
Für Christian-W. Otto, den Leiter des Fachbereichs Bau-, Planungs- und Umweltrecht an der Technischen Universtität Berlin, ist das Thema A100 eine "Berliner Nabelschau". Denn bei der Entscheidung, ob eine Autobahn gebraucht wird, gehe es immer auch um die bundesweite Belange, nicht nur regionale. "Das ist prinzipiell überall so."
Natürlich könne sich Berlin gegen den Weiterbau der A100 wehren, sagt Otto. Den 16. Bauabschnitt zur einfachen Bundesstraße abzustufen oder gar zurückzubauen, sei genauso möglich wie den 17. Bauabschnitt gar nicht erst anzufangen. Doch bei alledem gilt laut Otto: Das könne nur der Bund entscheiden. "Deshalb braucht man für das gesamte Verfahren eine Mehrheit auf Bundesebene."
Doch die ist nicht in Sicht - zumindest nicht mit Blick auf die A100. Denn selbst wenn die Grünen im September stärkste Kraft im Bund werden: Um die Autobahnverlängerung zu verhindern, fehlen bisher die Koalitionspartner. Denn klar gegen den Bau sind bisher nur die Linken - diejenigen also, die im politischen Autobahnrennen gerade mit Lichthupe von hinten drängeln.