Interview | Bildungsexperte - "Unser Bild von Unterricht wird sich völlig ändern"

Di 15.06.21 | 06:05 Uhr
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Schüler:innen arbeiten im digitalen Unterricht mit Virtual Reality-Brillen. (Quelle: dpa/Ina Fassbender)
Bild: dpa/Ina Fassbender

Manche Schulen kämpfen zum Ende des Schuljahres noch mit Technik und Know-how, andere haben sich reingefuchst. Bildungsfachmann Götz Bieber sagt: Digital-Unterricht ist eine große Bereicherung - wenn man weiß, wie es geht und die Ausstattung stimmt.

rbb|24: Herr Bieber, wir haben die Rückmeldung bekommen, dass es im Bildungsbereich durchaus positive Effekte durch Corona gab. Was sagen Sie?

Götz Bieber: Eine wesentliche Erfahrung war, dass die Schulen sich sehr pragmatisch der Digitalisierung gestellt haben. Da sind viele Hürden abgebaut worden, und damit können wir jetzt weiterarbeiten.

Wir haben vom Verband Bildung und Erziehung aber auch die Rückmeldung bekommen, vor allem in Brandenburg fehlten Fortbildungen zum digitalen Unterricht für Lehrkräfte. Muss da mehr passieren?

Wir im Lisum (Anm. d. Red.: Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg) bilden ja vor allem Schulleitungen und Schulberater fort. Wir setzen schon darauf, dass in der Folge sowohl in Brandenburg als auch in Berlin qualitativ gute Qualifizierungsangebote für die Lehrerinnen und Lehrer gemacht werden.

Götz Bieber, der Direktor des Landesinstituts für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (Bild: Privat)
Privat

Götz Bieber ist Direktor des Landesinstituts für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (Lisum). Das Institut berät und unterstützt die Schulen beider Bundesländer in Sachen Unterricht, Medienbildung und Personalentwicklung.Götz Bieber wurde 1957 in Brandenburg geboren und ist Diplom-Lehrer für Chemie und Mathematik.

Für die Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer sind ja die jeweiligen Schulverwaltungen zuständig. Haben Sie also die Hoffnung, da kommt noch mehr?

Davon gehe ich aus. Auch dort mussten entsprechende Voraussetzungen während der Pandemie geschaffen werden.

Berlin hat kurzfristig rund 11.000 mobile LTE-Router an Schulen verteilt, um das Problem dort zumindest für den Übergang zu lösen – weil der flächendeckende Breitbandanschluss erst ausgeschrieben und dann beauftragt werden muss. War das eine gute Lösung?

Für Berlin mit einem gut ausgebautes Mobilfunknetz ist das – sage ich aus der Ferne ganz vorsichtig - eine ganz gute Lösung. Ob das für Flächenländer wie Brandenburg so gilt, hängt einfach davon ab, wie dort der Mobilfunkausbau tatsächlich stattgefunden hat.

Kommen wir mal zum Digitalpakt. In Brandenburg sind laut Bildungsministerium alle verfügbaren Gelder von den Schulen beantragt. In Berlin etwa die Hälfte. Das dauert alles sehr lang in einer Zeit, wo man doch schnell Geld gebraucht hätte. Warum?

Dieser Digitalpakt hatte ja mit der Corona-Situation nichts zu tun, das Programm begann 2019. Ich glaube auch, dass wir aktuell nicht nur an die Pandemie-Situation denken sollten, sondern vor allem auch überlegen müssen: Was bedeutet es, nach der Krise, Schule neu aufzustellen. Und dafür denke ich, dass der Digitalpakt enorm wichtig ist. Der Vorteil jetzt durch die Pandemie-Situation ist, dass wir einfach genauere Vorstellungen entwickeln konnten, was es bedeutet, im Digitalen zu arbeiten. Es nützt ja nichts, Technik anzuschaffen, wenn Sie dafür kein pädagogisches Konzept und kein ausgebildetes Personal haben

Wir haben von Lehrkräften gehört: Kaum einer möchte wieder vor 32 Kindern sitzen, ohne digitale Werkzeuge, und die beschulen wie vor der Pandemie.

Also, wenn das so ist, ist das hervorragend...

Aber wie könnte ein Unterricht aussehen, der jetzt das Digitale mit der Anwesenheit in der Schule verbindet?

Das Digitale kann helfen, Dinge anschaulicher zu machen. Man kann sich aus dem Klassenraum heraus mit anderen verbinden. Weltweit!

Vielleicht auch mal in ein Institut schalten – zum Beispiel in Naturwissenschaften?

Genau! Hybride Arbeitsform nennen wir das. Experten zuschalten, virtuelle Rundgänge in Museen machen. Digitale Labore virtuell nutzen. Es gibt so viele Möglichkeiten. Dieses alte Bild von Unterricht - 25 Kinder sitzen in einem geschlossenen Raum und schauen an eine Tafel – wird sich völlig ändern. Ich glaube, dafür haben wir jetzt sozusagen das Eis gebrochen, indem wir durch die Pandemie-Situation durchgegangen sind.

Was müssen die Bildungsverantwortlichen in Berlin und Brandenburg zusammengefasst und auf den Punkt gebracht als Nächstes tun, damit das alles auf dem Weg bleibt und weiter voranschreiten kann?

Auf den Punkt gebracht würde ich sagen: das Digitale weiter fördern, und zwar über das Jahr 2024 hinaus, wenn der Digitalpakt ausläuft. Beide Länder sollten ihre Lernplattformen sichern und festigen: Brandenburg die Schul-Cloud und Berlin den "Lernraum" mit "Its Learning".

An all dem muss kontinuierlich weitergearbeitet werden – genauso wie an der Technik, deren Sicherstellung, und an der Fortbildung für Lehrkräfte. Forschung sollte außerdem prüfen, inwieweit wir in der Lernentwicklung tatsächlich sinnvoll weitergekommen sind. Und wenn wir diese Wege konsequenterweise so gehen, bin ich sehr optimistisch, dass sich die Schule sehr gut in Richtung einer Bildung für eine immer digitaler geprägte Welt weiterentwickelt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Sylvia Tiegs

Sendung: Brandenburg aktuell, 15.06.2021, 19:30 Uhr

5 Kommentare

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  1. 5.

    Der Distanzunterricht hat bei mir dazu geführt, dass ich bei den meisten Klassen den Lehrplan erfüllen konnte. Im Präsenzunterricht stellte ich dann leider nur minimale Lernerfolge fest. Es ist eine Erkenntnis aus der ersten Welle (damals E-learning) vor 20 Jahren, die mittlerweile wissenschaftlich genauestens untersucht und belegt ist, dass beim (echten) Lernen ganz andere Kanäle angesprochen werden müssen, was digital nicht geht. Wir sind Menschen und lernen von Menschen, von Interaktion durch Sprache, Mimik, Gestik mit Motivation, Bezugnahme, Interesse am Gegenüber usw. Es ist die Marotte der Politik, die eine Sache zum höchsten Ziel erklärt und fachliche Kritik abtut, wie ein bockiges Kind. Der Bildung hat es bislang mehr geschadet, als genützt. Und, wie gesagt, leider gibt es eben auch Kollegen, die sich dafür hergeben, auch in dieses Horn zu blasen.

  2. 4.

    Da bleiben noch viele Fragen offen: Wer verhandelt und bezahlt die Verlage? Wer stimmt die digitalen Inhalte so ab, dass der Lehrplan erfüllt werden kann? Was wird unternommen, damit sich Schüler und Lehrer zukünftig keine "Flatrate" kaufen müssen, um digitalen Lehrstoff zu "sehen"? Denn davon träumt so mancher...Und schließlich, und das soll nicht arrogant sein, was macht eigentlich das Lisum den ganzen Tag mit wieviel festen und "abgesaugten" Lehrern, wenn nur die äußerst wichtigen Schulberater hin und wieder geschult werden? So mancher Schulleiter kommt ohne die gar nicht aus und wartet schon bis er beraten wird? Etwa wie er die Formblätter des "Digitalverhinderungspaktes" in wenigen Minuten ausfüllt? Äußerst wichtig bleibt, ob mit oder ohne Digitalisierung: die echte (und nicht "geschönte") Klassenstärke. Ausweichende Antworten, wie hier ("Experten zuschalten, virtuelle Rundgänge in Museen") entlarven die Praxisferne.

  3. 3.

    Liegt vielleicht daran, dass er das letzte Mal in den 80er Jahren vor einer Schulklasse stand!
    Danach "nur" noch Bildungsexperte!
    Ich bin ein Fussballexperte, allein mir fehlt die methodische Kompetenz, eine Mannschaft zu trainieren! Auch nicht digital!!

  4. 2.

    Der sogenannte Bildungsexperte, ein Fachkollege, hat ein seltsames Bild vom Unterricht. Dass 25 Schüler in meinem Unterricht an die Tafel schauen ist eher selten. Vielleicht war es bei ihm so, bei mir eher nicht. Methodenvielfalt wurde schon in den letzten 20 Jahren durch mediale und digitale Methoden und Angebote ergänzt. Der derzeitige Digitalhype scheint mir eher ein billiges Mittel gegen den Lehrermangel. Und der liebe Herr Kollege scheint mir ein Werkzeug politischer Ziele zur Verbilligung der Bildung für den Staat.

  5. 1.

    Das Interview verdeutlicht sehr schön, daß selbst jetzt noch die meisten Bildungsverantwortlichen lediglich zurückschauen und resümieren, aber kaum eigene Visionen haben. Hier wirkte der Interviewer vorwärtsgewandter als der Interviewte. Und das ist das Dilemma. Die Spitzen der Bildungsverwaltung müssen ausgetauscht werden, sonst gibts kein neues Denken und erst recht kein neues Handeln.

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