Fragen und Antworten - Was afghanische Ortskräfte in Berlin und Brandenburg erwartet

Schon Ende Juni haben die letzten Bundeswehrsoldaten Afghanistan verlassen. Afghanische Familien, die den Deutschen geholfen haben, blieben zurück und sind in Gefahr. Schutz suchen können sie auch in Berlin und Brandenburg.
Ob als Übersetzer, Wachmann oder auch Koch: Tausende Afghanen haben die deutschen Bundeswehrsoldaten bei ihrem Einsatz in Afghanistan unterstützt. Mit ihrer Zuarbeit haben sie sich zugleich zur Zielscheibe der Taliban gemacht und sich und ihre Familien in Lebensgefahr gebracht.
Ende Juni haben auch die letzten deutschen Soldaten und Polizisten Afghanistan verlassen, zurück blieben die afghanischen Ortskräfte. Per Flugzeug können sie nach Deutschland reisen und dort ein Visum bekommen. Doch dieser Weg ist mitunter steinig und mühsam. Fragen und Antworten zu dem Thema:
Um wie viele Menschen geht es?
Nach Angaben des Bundesverteidigungsministeriums haben bislang 491 Ortskräfte und deren Familien ein Visum, also eine Aufnahmezusage erhalten. Insgesamt geht es dabei um knapp 2.500 Personen. In Deutschland schon eingetroffen sind demnach 150 Ortskräfte und 750 Angehörige.
Wie viele Betroffene wurden bislang in der Region aufgenommen?
Von diesen knapp 2.500 Personen wurden nach rbb-Informationen dem Land Berlin 167 Personen zugeteilt, von denen bislang 85 Personen in Berlin angekommen sind.
In Brandenburg wurden seit Beginn des Aufnahmeverfahrens der afghanischen Ortskräfte im Jahr 2013 bislang 26 afghanische Ortskräfte mit ihren Familienangehörigen (insgesamt 107 Personen) aufgenommen, wie das Brandenburger Innenministerium auf rbb-Anfrage mitteilte. Im beschleunigten Verfahren seit Mai 2021 wurden demnach dem Land Brandenburg bislang neun weitere afghanische Familien (55 Personen) zugewiesen, von denen bereits vier Familien eingereist sind.
Die Verteilung der Betroffenen auf die Bundesländer regelt der "Königsteiner Schlüssel".
Wer kümmert sich um die Menschen nach ihrer Ankunft in Berlin?
Die Ausreise nach Deutschland müssen Betroffene bislang selbst organisieren, das heißt sie müssen ihre Flüge selbst buchen und bezahlen sowie ihre Weiterreise in die zuständige Zielkommune selbst organisieren. Die Bundesregierung will aber nachsteuern und beispielsweise Sammelflüge nach Deutschland organisieren.
Von der Berliner Senatsverwaltung für Soziales und Inneres hieß es auf rbb-Anfrage, insofern das Land Berlin vorab über eine Ankunft von Ortskräften informiert sei, werde versucht, Kontakt aufzunehmen und die Ortskräfte über die notwendige Weiterreise nach Berlin zu informieren. Im Falle einer Mittellosigkeit werde ein Transfer in die vorgesehene Unterkunft in Berlin organisiert.
Sollte dem Land Berlin erst nach Ankunft eine Meldung über eingetroffene Ortskräfte vorliegen, werde im jeweiligen Einzelfall eine Lösung gesucht. Dazu stehe das Land Berlin im regelmäßigen Austausch mit den beteiligten Behörden und der Bundespolizei am BER-Flughafen, hieß es. "Alle in Berlin ankommenden Ortskräfte werden durch das Land Berlin untergebracht, auch solche, bei denen zunächst eine Klärung mit dem BAMF erfolgen muss, welchem Bundesland sie zugewiesen wurden", so die Senatsverwaltung.
Sobald die Betroffenen in ihren Unterkünften angelangt seien, hätten sie Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, über die das örtlich zuständige Jobcenter entscheide. Die Zeit bis zur ersten Leistungsgewährung durch das Jobcenter werde in Berlin durch die Versorgung mit Sachleistungen und Lebensmitteln überbrückt.
Wer kümmert sich um die Menschen nach ihrer Ankunft in Brandenburg?
Aus dem Brandenburger Innenministerium hieß es auf rbb-Anfrage, die nach Brandenburg zugewiesenen afghanischen Familien seien bislang am Flughafen von Mitarbeitern der jeweils aufnahmebereiten Kommune abgeholt und in die vorgesehene Unterkunft gebracht worden.
Da seit Mai 2021 das Verfahren wegen des kurzfristig für August 2021 angekündigten Truppenabzugs aus Afghanistan stark beschleunigt worden sei, kümmere sich nun die Zentrale Ausländerbehörde des Landes Brandenburg (ZABH) um diese Menschen. Der Behörde unterstellt sei eine Erstaufnahme (einschließlich Anlaufquarantäne und Impfung). Die ZABH sei nun zuständig für die Abholung vom Flughafen, für die Erstaufnahme und für den späteren Transport in die aufnehmende Kommune. Dort kümmern sich dann die jeweils kommunalen Akteure (Sozialamt, Integrationsamt, Ausländerbehörde, kommunale Integrations- bzw. Ausländerbeauftragte, Migrationsberatungsstellen etc.) um die afghanischen Familien.
Welchen Aufenthaltstitel erhalten afghanische Ortskräfte?
Sie werden mit ihrer Kernfamilie aufgrund der mit ihrer Tätigkeit einhergehenden latenten Gefährdung in Afghanistan zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik gemäß § 22 S. 2 Aufenthaltsgesetz in Deutschland aufgenommen. Die Entscheidung hierüber trifft das Bundesinnenministerium. Die Länder und die Kommunen sind an diese Aufnahmeentscheidung gebunden und setzen diese Entscheidung um. Ortskräfte bekommen eine Aufenthaltserlaubnis inklusive Arbeitserlaubnis.
Wo sehen Migrationsexperten noch Handlungsbedarf?
Der Brandenburger Flüchtlingsrat begrüßt, dass betroffene Familien bei Einreise die Gewissheit haben, "dass ihnen und ihren Familien eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis zusteht und sie nicht einen erstmal ergebnisoffenen Asylantrag stellen müssen." Wichtig sei aber auch, dass Ortskräfte und ihre Familien privaten Wohnraum beziehen könnten, um ihre Zeit in Deutschland nicht in Gemeinschaftsunterkünften fristen zu müssen.
Gleichzeitig bemängelt der Flüchtlingsrat, die Ortskräfte hätten "größte Mühe", ein Visum zu erhalten, um auch tatsächlich einreisen zu können.
Wichtig sei auch eine lückenlose Information von Betroffenen: "Wir erarbeiten in Zusammenarbeit mit den anderen Flüchtlingsräten derzeit ein Informationsblatt für ankommende afghanische Ortskräfte auf Pastho und Dari", so der Brandenburger Flüchtlingsrat auf rbb-Anfrage. Dies solle auch davor schützen, falsche Schritte zu unternehmen: "Von Kolleg*innen in anderen Bundesländern haben wir zum Beispiel vernommen, dass Ortskräfte schlecht beraten wurden und beispielsweise den Tipp erhielten, einen Asylantrag zu stellen. Dies hätte jedoch die fatale Folge, dass die Aufenthaltserlaubnis erlöschen würde."
Sendung: Inforadio, 26. Juli 2021, 11:05 Uhr