Interview | Christopher Street Day - "Wir wollen dieses Jahr den CSD wieder politischer machen"

Der Berliner CSD ist zurück - aber ohne Party-Trucks. Auf der Demo melden sich Aktivisten und Künstler zu Wort, es gibt einen langen Forderungskatalog an die Politik. CSD-Anmelder Nasser El-Ahmad erklärt, warum das wichtig ist.
rbb|24: Nasser El-Ahmad, warum ist es so wichtig für die Community, auf die Straße zu gehen – und nicht wie im vergangenen Jahr, den Christopher Street Day im Netz zu feiern?
Nasser El-Ahmad. Unter anderem, weil ich in insbesondere in der Pandemie mit diesem Satz geworben habe: Nur weil wir gerade Corona haben auf der ganzen Welt, und wir als Menschen eine Pause einlegen, heißt das nicht, dass Homo- und Transphobie genauso eine Pause eingelegt haben. Im Gegenteil: Insbesonderen in einer Großstadt wie Berlin ist man schon schockiert, wenn man sieht, dass sich die Statistik von 2019 und 2020 verdoppelt hat. Und das passiert halt nicht nur virtuell, sondern auch auf der Straße.

Die Zahl der Übergriffe im Netz hat sich verdoppelt, und auch die Gewalttaten sind angestiegen. Auch damit beschäftigt sich der Forderungskatalog des CSD. 32 Punkte umfasst er insgesamt, einer davon ist es, gegen Hate Speech und gegen Gewalt vorzugehen. Welche Schwerpunkte setzt er noch?
Wir haben gefordert, dass alle Straftaten aufgeklärt werden, beziehungsweise keine Toleranz und Diskriminierung und Gewalt gegenüber queeren Personen so einfach herrscht. Unter anderem fordern wir das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und alle weiteren Parteien auf, eine umgehende Änderung der Reform des Abstammungsgesetzes einzuleiten: Mutterschaftsanerkennung analog zur Vaterschaftsanerkennung, Mutterschaft bei lesbischen Eltern, geschlechtsneutrale Formulierung von Mutter, Vater und Elternteil. Es ist wirklich ein ganz großer Forderungskatalog mit insgesamt 32 Forderungen.
Wir wollen dieses Jahr den CSD wieder politischer machen, weil die letzten Jahre der Berliner CSD-Verein immer wieder in die Kritik kam, weil gesagt wurde: Er ist zu kommerziell, zu sehr wie eine Party. Es ist richtig, dass wir auch eine Party sind. Die Community ist schrill, bunt, laut, und das ist gut so. Aber das Politische muss einfach in den Vordergrund. Und man muss sagen: Wenn nicht wir, wer dann? Und wenn nicht jetzt, wann dann?
Die Demo startet an der Leipziger Straße, zieht über den Potsdamer Platz am Brandenburger Tor und der Siegessäule vorbei zur Urania. Es gibt keine Party-Trucks, sondern vom Veranstalter gestellte Wagen, auf denen vor allen Reden gehalten werden sollen. Was sind die Highlights?
Unter anderem gibt es zum Beispiel Künstler, die auch in der Pandemie gelitten haben. Wir haben etwa eine lesbische Aktivistin, Annette, die seit Jahren in der Community dabei ist, und sich möglichst bei jeder einzelnen Demo engagiert. Von "Travestie für Deutschland" ist Jacky-O Weinhaus dabei, eine Künstlerin, die sich gegen Hate Speech beziehungsweise auch gegen Rechtsradikale engagiert.
20.000 Teilnehmer hat der CSD e. V. angemeldet. Es könnten aber viel mehr werden. Wie wollen Sie sichergehen, dass die Corona-Regeln eingehalten werden und der CSD nicht zum Superspreader-Event wird?
Wir haben diese 20.000 nicht irgendwie einfach mal so benannt, wir haben uns wirklich die Statistiken angesehen. Die letzte Jahre hat man immer gesagt, das ist ein Riesen-Event mit einer Million Teilnehmern. Das ist richtig, aber man muss unterscheiden: Einmal gab es die Endveranstaltung am Brandenburger Tor mit etlichen Ständen, einer Bühne und allem Drumherum. Und dann gab es die Demo, die normalerweise am Kudamm angefangen hat, und bis zur Siegessäule ging: Dort waren nach der Statistik der Versammlungsbehörde zwischen 60.000 und 80.000 Menschen. Unter anderem wurden auch die Touris, die drumherum standen, mitberücksichtigt. Und wenn diese Touris und die Partymeile mit allem Drumherum fehlen, ist 20.000 aus jedem Fall eine realistische Zahl.
Wir arbeiten daran, dass die Hygiene-Maßnahmen eingehalten werden. Wir haben auf jeden Fall etliche Ordner und Volunteers angeheuert. Die Polizei hilft uns, und wir haben zusätzlich ein Hygiene- und Schutzkonzept entworfen, das vom Gesundheitsamt und von der Versammlungsbehörde abgesegnet wurde. Es gibt automatische Ansagen: Bitte haltet Abstand. Tragt eure Masken, damit der Umzug auch weiterläuft. Und ich vertrauen jedem Demonstranten, dass es eingehalten wird. Jeder Einzelne, der da hingeht, möchte auch, dass die Demonstration weitergeht.
Mit Nasser El-Ahmad sprachen Frauke Oppenberg und Tom Böttcher für Radioeins. Dieser Beitrag ist eine gekürzte und redaktionell leicht bearbeitete Version. Das Originalinterview können Sie mit Klick auf das Audiosymbol im Artikelfoto nachhören.
Sendung: Radioeins, 23.07.2021, 08:34 Uhr
Die Kommentarfunktion wurde am 24.07.2021 um 16:26 Uhr geschlossen
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