Hinter Gittern ins Netz - So soll der Internetzugang in Berliner Gefängnissen funktionieren

Kein Videostreaming, keine sozialen Medien: Berliner Inhaftierte sollen eingeschränkt Zugang zum Internet erhalten. Während sich die Gefangenen über einen sinnvollen Baustein zur Resozialisierung freuen, warnt die Opposition vor unnötigem Luxus. Von Tobias Schmutzler
Vier Quadratmeter, auf denen er sich frei bewegen kann. Dazu ein Bett, ein Klo, ein paar Schränke. Und das Highlight: Fernseher und Radio. Sie sind Andreas Bachs Fenster, mit denen er gedanklich rauskommt aus seiner Zelle. Medien, mit denen der Häftling einen Blick jenseits der Gefängnismauern der JVA Berlin-Tegel werfen kann. Und er hofft, dass bald noch ein drittes großes Medium dazu kommt: das Internet.

"Wir als Inhaftierte sollen ja nicht von dem Leben draußen abgeschnitten werden", sagt Bach, als wir ihn per Video-Anruf in einem extra eingerichteten Chat-Raum in der JVA Tegel erreichen. Die Digitalisierung durchdringe heutzutage alle Lebensbereiche – da müssten auch die Justizvollzugsanstalten mitziehen, findet Bach.
"Wir müssen ja mit der digitalen Welt irgendwie in Verbindung bleiben." Der 46-Jährige schreibt als Redakteur für die unabhängige Gefangenen-Zeitung "Der Lichtblick" [lichtblick-zeitung.org], die sich für die Rechte von Häftlingen stark macht.
Alles andere als ein freies Internet
Die Senatsverwaltung für Justiz hat Bach auf seiner Seite: Im Endspurt vor der Abgeordnetenhauswahl will die rot-rot-grüne Regierung ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag noch auf den Weg bringen: den Internetzugang für die JVAs.
Es wird allerdings alles andere als ein freies, offenes Internet sein, in dem die Gefangenen beliebige Webseiten ansurfen können. Soziale Medien und Videostreaming sind beispielsweise tabu, erklärt Susanne Gerlach gegenüber dem rbb. Sie leitet die Abteilung Strafvollzug in der Justizverwaltung.
"Wir werden den Gefangenen einzelne Seiten zur Verfügung stellen – vor allem Informations- und Bildungsangebote", so Gerlach. Nicht über WLAN, sondern kabelgebunden soll das Internet in die Zellen kommen. Gerlach spricht von sogenannten "All-in-one"-Endgeräten, die in jedem der fast 4.000 Hafträume installiert werden sollen. Geplant sind Bildschirme, die an die Wand montiert sind und an denen voraussichtlich Tastatur und Maus hängen werden. Über dieses Gerät sollen die Gefangenen dann das eingeschränkte Internet, außerdem Fernsehen und Telefon nutzen können – wenn sie dafür zahlen.
Wie teuer wird die Kabelverlegung?
Denn das Unternehmen, das voraussichtlich im Herbst den Zuschlag in der aktuell laufenden Ausschreibung bekommt, soll rein über die Nutzungsverträge mit Gefangenen Geld verdienen. Vom Land Berlin werde für die Einrichtung, die Wartung und Betreuung der Internetgeräte kein Cent fließen, verspricht die Justizverwaltung. Der wirtschaftliche Wert dieser Konzessionsausschreibung liegt bei über 5 Millionen Euro. Im Moment sind laut Senatsverwaltung drei Firmen im Rennen, die in Kürze ihre konkreten Angebote abgeben werden.
Doch ein Kostenfaktor kommt durchaus aufs Land Berlin zu: die Verlegung neuer Kabel in den teils stark veralteten Justizvollzugsanstalten. Wie Susanne Gerlach dem rbb erklärt, wird die Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) für die Kabelverlegung zuständig sein. Ein nicht zu unterschätzender Kostenfaktor, fürchtet Marc Vallendar, rechtspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. "Wenn ich mir vorstelle, dass man ganze Wände aufreißen muss, und dass das am Ende noch den Sicherheitsstandards in den JVAs entsprechen muss – dann wird das sicherlich sehr viel Geld kosten", sagt Vallendar.
Vorwurf: "Luxus-Privileg" für Gefangene
Die Opposition zweifelt das Projekt auch grundsätzlich an. "Ein Gefängnisaufenthalt soll nie ein angenehmer Aufenthalt sein", argumentiert der AfD-Abgeordnete Vallendar. Für Telefonie und Fernsehen im Haftraum habe er noch Verständnis, für einen, wenn auch eingeschränkten Internetzugang nicht. "Es ist meines Erachtens kein Menschen- oder Grundrecht, sondern ein Luxus-Privileg, das da jetzt eingebaut wird."
Weitere Kritik kommt von Sven Rissmann, dem rechtspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus. "Ich will niemanden gegeneinander ausspielen – aber in der Prioritätenliste kommen für mich Schulen und Strafverfolgungsbehörden vor den Einrichtungen des Strafvollzuges", so Rissmann. Solange Gerichte, Staatsanwaltschaft und Polizei digital nicht besser aufgestellt seien, finde er es fragwürdig, Internetzugänge in jede Gefängniszelle zu legen.
Individuelle Surfprofile für alle Gefangenen?
Und dann sind da noch die Sicherheitsbedenken – und die Frage, wer den ordnungsgemäßen Betrieb der neuen Infrastruktur überwachen soll. Susanne Gerlach von der Senatsverwaltung für Justiz sagt, dass die Endgeräte für jeden Häftling individuell konfigurierbar sein sollen. "Es gibt Gefangene, denen wir vieles zutrauen. Die werden mehr dürfen als andere Häftlinge, bei denen wir Bedenken haben", so Gerlach. Das konkrete Feintuning würden allerdings nicht die JVA-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter übernehmen, sondern Beschäftigte des Dienstleistungsunternehmens, die vor Ort in den Gefängnissen dafür abgestellt wären. Auch dieser Punkt sei Teil der Ausschreibung, sagt die Leiterin der Abteilung Strafvollzug.
Die ersten nutzbaren Internetgeräte könnten im kommenden Frühjahr online gehen: voraussichtlich zuerst in der vergleichsweise kleinen JVA für Frauen, danach sollen laut Gerlach die Sicherungsverwahrten dran sein. Und irgendwann kann dann vielleicht auch Andreas Bach von seiner Zelle in der JVA Tegel aus ins Internet gehen. Bis Sommer 2023 sollen alle Gefängnisse online sein.
Ohne Digitalisierung drohen Frustration – und neue Straftaten
Ein kompliziertes Unterfangen ist es also, die Knäste ans Internet anzuschließen. Doch ist es unumgänglich, findet der JVA-Häftling Andreas Bach. Er denkt vor allem an die Gefangenen, die lange in Haft sitzen, und denen beispielsweise Job- und Wohnungssuche nach der Freilassung große Probleme bereiten.
"Wenn jemand nach 15 oder 20 Jahren aus der Haft kommt und nicht mit der Digitalisierung in Berührung gekommen ist, dann steht der da wie ein Urmensch", sagt Bach. Dies führe zu Frustration, die die Betroffenen am Ende zu neuen Straftaten treiben könnte. Das wäre dann das Gegenteil der Resozialisierung, die ja das Ziel der Gefängnishaft in Deutschland ist.
Sendung: Abendschau, 06.07.2021, 19:30 Uhr