Neun Wohnungen betroffen - Brandschutzgutachten stellt fehlende Rettungswege in "Rigaer 94" fest
Mitte Juni prüfte ein Brandschutzexperte das teilbesetzte Haus in der Rigaer Straße 94 in Berlin-Friedrichshain auf mögliche Mängel. Sein Gutachten liegt dem rbb vor. Demnach könnte bald schon ein neuer Polizeieinsatz drohen. Von Birgit Raddatz
Sein Funkrufname ist "Florian Berlin eLHF B-2101". Es ist das neueste Einsatzwagenmodell, das die Berliner Feuerwehr erst seit diesem Jahr im Bestand hat. Ausgestattet ist "Florian" mit einer vierteiligen Steckleiter, einer dreiteiligen Schiebeleiter sowie einem sogenannten Sprungretter, eine Art Kissen, in das Bewohner*innen aus höheren Stockwerken hineinspringen sollen. Alle Fahrzeuge der Berliner Feuerwehr sind so ausgestattet.
Durchgang von erstem zu zweitem Hof zu eng
Sollte es in dem teilbesetzen Haus in der Rigaer Straße 94 brennen, dann käme "Florian" vielleicht zum Einsatz. Nur würde die dreiteilige Schiebeleiter es lediglich bis zum ersten Hof schaffen, die vierteilige Leiter müsste zerlegt werden. Lediglich der Sprungretter könnte "unter Mühen auf den 2. Hof transportiert werden", heißt es im Gutachten der Brandschutzbegehung vom 17. Juni, das dem rbb vorliegt. Ob das aber angesichts eines Brandes in angemessener Zeit möglich ist, "wird vom Prüfingenieur bezweifelt". Der Sprungretter gilt außerdem als letztes Mittel der Wahl, etwa bei höheren Stockwerken. Beim Sprung können sich Menschen leicht Knochenbrüche zuziehen.
Der Grund ist der Durchgang vom ersten zum zweiten Hof, heißt es weiter. Aus den Baugenehmigungsunterlagen von 1893 und 1990 ginge hervor, dass dieser einmal zwei Meter breit gewesen sei. Durch eine zusätzlich eingezogene Wand jedoch liegt der Durchgang nun unter den vorgeschriebenen 1,60 Metern Breite. Zwar stellte die Bauaufsicht die Wand bei ihren Besichtigungen auch fest, ging allerdings davon aus, dass es dafür laut Berliner Bauordnung keine Genehmigung brauche. Das sieht der Brandschutzgutachter anders und verweist darauf, dass die Bauordnung nicht für Bestandsbauten gilt und für eine Rettung mindestens die dreiteilige Schiebeleiter der Feuerwehr eingesetzt werden müsse.
Damit fehlt für insgesamt neun Wohnungen in der Rigaer Straße 94 der zweite Rettungsweg.
"Kadterschmiede" ist laut Gutachten Sonderbaunutzung
Die Eigentümerseite hat der zuständigen Bauaufsicht bis Ende dieser Woche eine Frist gesetzt. Sie fordert, dass der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg eine zusätzliche Stellungnahme der Berliner Feuerwehr einholt.
Und noch etwas ist dem Brandschutzgutachter aufgefallen. Bei der als Kneipe betriebenen Wohnung "Kadterschmiede", deren Räumungsklage noch vor Gericht verhandelt wird, handele es sich laut Gutachten um eine Sonderbaunutzung. Denn dort gebe es eine Küche, in der nicht nur Getränke, sondern auch Essen zubereitet werden könnte. Er geht davon aus, dass hier bis zu 70 Menschen Platz fänden. Die Eigentümerseite will, dass der Bezirk nach der offiziellen Beschreibung hier nun die Nutzung untersagt.
Keine Reaktion vom Bezirk
Der Bezirk äußerte sich bis zum Erscheinen dieses Artikels auf rbb|24-Nachfrage weder zu der vom Eigentümer gesetzten Frist noch zum weiteren Vorgehen.
Doch auch wenn eine Stellungnahme der Feuerwehr vorläge, den Durchgang zwischen den beiden Höfen werden die Bewohner*innen kaum allein verbreitern können. Damit stünde ein erneuter Polizeieinsatz an, denn nach den Erfahrungen der letzten Zeit wären die Bewohner*innen wohl eher nicht bereit, Bauarbeiter*innen in das Haus zu lassen.
Sendung: Inforadio, 14.07.2021, 19 Uhr