Berliner Polizei ermittelt - Zwölf Berliner Polizisten unter Verdacht rechtsextremer Straftaten

Für die CDU ist die Debatte über eine rechtsextreme Chatgruppe Zeitverschwendung, die Linke zweifelt an den Selbstreinigungskräften der Polizei. Und der Innensenator? Spricht von einem "überschaubaren Kreis". Von Christoph Reinhardt
In einem sind sich AfD und CDU einig: Die Debatte im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses ist Zeitverschwendung. Denn: Es gebe zwar immer wieder Einzelfälle im Zusammenhang mit rechtsextremen Chatgruppen. Um die kümmere sich aber systematisch schon die Polizei, davon ist CDU-Fraktionschef Burkard Dregger überzeugt.
Dass die rot-rot-grüne Koalition das Thema dennoch auf die Tagesordnung gesetzt habe, sei völliger Unsinn und diene einem anderen ganz anderen Ziel: "Das machen Sie, weil es zu Ihrem Narrativ gehört, die rechtstaatlichen Institutionen der Bundesrepublik Deutschland und Berlins zu destabilisieren."
"Polizisten, die Hitlerbilder teilen. Und das lässt Sie kalt?"
Zuletzt hatte der Innenausschuss vor zehn Monaten das Thema diskutiert, nachdem ein ARD-Magazin über eine rechtextreme Chatgruppe bei der Polizei berichtet hatte. Kurz darauf war eine weitere Gruppe an der Berliner Polizeiakademie aufgeflogen, in der mehrere Anwärter menschenverachtende Inhalte gepostet hatten. Man habe das Thema damals bewusst nicht abgeschlossen, sondern nur vertagt, hielt der innenpolitische Sprecher der Linken, Niklas Schrader, CDU-Chef Dregger entgegen. Es gebe sehr wohl neue Erkenntnisse zu besprechen: "Da sind Polizisten, die teilen Hitlerbilder und so. Und das lässt Sie kalt?"
Zwar ist der im Juli bekannt gewordene Fall schon älter. Den Kollegen M. hatten die Ermittler schon länger im Verdacht, Dienstgeheimnisse im Zusammenhang mit der Anschlagserie in Neukölln verraten zu haben. Eine Durchsuchung und die Beschlagnahmung seines Handys im vergangenen Jahr habe das zwar nicht erhärten können, berichtet Polizeivizepräsident Marco Langner den Abgeordneten. Aber bei der Auswertung seien die Ermittler auf eine weitere Chatgruppe gestoßen. Vier Polizisten sollen dort aktiv volksverhetzende Inhalte bzw. Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gepostet haben.
Langner will den Fall als Beleg dafür verstanden wissen, dass die Polizei inzwischen so sensibilisiert sei, dass rechtsextreme Umtriebe im Kollegenkreis nicht mehr geduldet würden. Der Linke Schrader sieht dagegen einen reinen Zufallsfund, "und ich stelle mir schon die Frage, ob es wirklich so weit her ist mit den Selbstreinigungskräften – oder ob da nicht auch in manchen Dienststellen ein Klima herrscht, bei dem so etwas unwidersprochen gedeihen kann". Der grüne Innenpolitiker Benedikt Lux bezweifelt, ob der Fall mit genügend Priorität verfolgt worden sei. Er will wissen, warum es von der ersten Beschlagnahme mehr als ein Jahr bis zur nächsten Durchsuchung gedauert habe.
Digitale Beweisflut
Damit sei man selbst nicht zufrieden, so die Antwort des stellvertretenden Chefs des Landeskriminalamts, Stefan Redlich: "Wir beschlagnahmen heute nicht nur eine Videokassette oder einen Zettel". Die digitale Beweisflut stelle die Polizei vor erhebliche Herausforderungen. Auf M.s Telefon habe man 200.000 Whatsapp-Chatnachrichten, 10.000 Telegram-Nachrichten sowie 123.000 Webverläufe und hunderte von Kontakten vorgefunden. "Das muss alles mit einer gewissen Gründlichkeit ausgewertet werden." Aus tausenden von Bildern habe man 19 gefunden, die strafrechtlich relevant sein könnten. Alle Fälle rechtsextremer Chats zusammengenommen, ermittle die Polizei derzeit gegen zwölf Beamte, berichtet der Innensenator Andreas Geisel (SPD).
Zwei abgeschlossene Fälle habe die Polizei an die Staatsanwaltschaft übermittelt, in sechs Fällen würden immerhin Disziplinarmaßnahmen geprüft. Ein "überschaubarer Kreis", so sieht es der Innensenator, im Verhältnis zu den insgesamt rund 25.000 Polizeikräften. Und ein Indiz dafür, dass die internen Maßnahmen der Polizei greifen würden: "Die Häufung der Fälle ist nicht der Situation geschuldet, dass es in den letzten zwei, drei Jahren besonders viele rechtsextremistische Vorgänge in der Berliner Polizei gab, sondern ist das Ergebnis unserer Arbeit."
Polizei will System für anonyme Hinweise einrichten
So sieht es auch Polizeivizepräsident Langner: Man habe in den letzten Jahren intern viel gearbeitet. Neben den Ermittlungsverfahren stehe die Prävention im Vordergrund. Der Umgang mit Rechtsextremismus in den eigenen Reihen sei nicht nur Thema in Aus- und Fortbildungen. Neben Workshops für Führungskräfte und der Ernennung einer Extremismusbeauftragten arbeite die Polizei daran, ein anonymes Hinweisgebersystem auch für die Meldung von rechtsextremistischen Vorkommnissen einzurichten. Für erledigt erklären wollte der Innenausschuss das Thema auch heute nicht. Es wurde vertagt und soll bei neuen Erkenntnissen wieder aufgerufen werden.
Korrektur: In einer ersten Version dieses Beitrags hatten wir im Teaser geschrieben: "Für die CDU ist die Debatte über eine neue rechtsextreme Chatgruppe Zeitverschwendung." Die Gruppe ist nach Angaben der Polizei jedoch nicht "neu", die Ermittlungen liefen schon längere Zeit. Wir haben das Wort daher aus dem Teaser entfernt.
Sendung: Inforadio, 16.08.2021, 12:00 Uhr