Unterstützung für bedrohte Kiezläden - "Gewerbemieter sind quasi rechtlos"

Explodierende Gewerbemieten kosten kleine Kiezläden oftmals die Existenz – denn das Mietrecht bietet ihnen kaum Schutz. Auch die Kreuzberger Buchhandlung "Kisch & Co." stand vor dem Aus. Dass es für sie gut ausging, liegt auch an der Arbeit von Stefan Klein. Von Wolf Siebert
Eine Seitenstraße in Kreuzberg in der Nähe des Görlitzer Parks. In einer Altbauwohnung betreibt Stefan Klein seine Firma "Kiezgewerbe", kurz KiGe. Auf der Firmenwebsite heißt es: "Wir sind eine gemeinwohlorientierte Anlaufstelle für Gewerbemieter:innen in Friedrichshain-Kreuzberg, die von Verdrängung bedroht sind." Für die Kunden ist die Beratung kostenlos, denn die KiGe bekommt Zuschüsse vom Bezirksamt.
Stefan Klein ist 60 Jahre alt, ein großer, schlanker Mann, der druckreif formuliert. Er wurde in Berlin geboren, aufgewachsen ist er in Frankfurt am Main. In diese Zeit fällt auch seine Politisierung, damals ging es gegen die neue Startbahn-West am Frankfurter Flughafen. "Da habe ich mich sehr engagiert, auch bei Besetzungsaktionen des Baugeländes", sagt Klein und zieht an seiner Zigarette.
Klein studierte Jura und gründete mit einem Partner ein Büro für Musik-, Medien- und Verlagsrecht. Irgendwann ging es zurück nach Berlin. Gemeinsam mit seiner Frau engagierte er sich in der Kreuzberger Mieterinitiative "GloReiche". Sie kämpften mit Erfolg gegen die Verdrängung einer Bäckerei, später auch gegen die Ansiedlung des "Google Campus", deren Initiatoren sich auf Grund des massiven Protestes dann zurückzogen.
"Damals dachten wir: Jetzt kümmern wir uns noch um andere Firmen, die von Verdrängung bedroht sind. Wir rechneten mit zwei bis drei pro Jahr." Aber es waren viel mehr, und ehrenamtlich war das nicht mehr zu schaffen. Vor zwei Jahren gründete Klein deshalb die Firma "Kiezgewerbe". Da er davon allein nicht leben kann, arbeitet er auch noch für eine Kreuzberger Bundestagsabgeordnete der Grünen als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Und er schreibt für eine Zeitschrift.
Wildwest-Methoden bei den Gewerbemieten
Stefan Klein sieht sich als Kapitalismus-Kritiker, und in diesem Zusammenhang habe sich das Gewerbemieten-Thema geradezu aufgedrängt. "Gewerbemieter sind quasi rechtlos, deshalb herrscht auf diesem Markt praktisch Wildwest."
Denn Schutzrechte gegenüber dem Vermieter haben Gewerbemieter – anders als Wohnungsmieter - nicht. Und seit die Immobilienpreise explodieren, tun das auch die Gewerbemieten in bestimmten Berliner Lagen. Klein kennt aus seiner Beratungstätigkeit die Folgen: Ein Vermieter verlangte plötzlich das Vierfache der ursprünglichen Miete. Ein anderer hatte in seinen Verträgen Kündigungsfristen von einem Monat vorgesehen.
"Kiezgewerbe" begleitet Vertragsverhandlungen
Stefan Klein und sein winziges Team von "Kiezgewerbe" prüfen zunächst die Mietverträge der bedrohten Kleinunternehmer. Eine Unternehmensberaterin schaut sich dann an, ob das Geschäft wirtschaftlich überlebensfähig ist. Schließlich geht Klein auf die Vermieter zu und begleitet Gespräche und Vertragsverhandlungen, prüft die Verträge. "Je persönlicher der Kontakt zum Vermieter, je größer seine Angst vor öffentlicher Kritik ist, desto größer sind unsere Chancen."
Manchmal muss Klein dicke Bretter bohren: Sechs Monate dauerten die Verhandlungen mit dem Vermieter einer Kreuzberger Sportschule. Dann konnte ein Mietvertrag zu annehmbaren Bedingungen unterschrieben werden.
Mobilisierung der Öffentlichkeit
Wenn Vermieter sich stur zeigen, mobilisiert Klein die Öffentlichkeit. Allein zehn Veranstaltungen organisierte er zusammen mit Mieter-Initiativen zur Rettung der Buchhandlung "Kisch & Co." in der Oranienstraße, der die Zwangsräumung drohte.
Als die Buchhändler im vergangenen Jahr gegen die Räumung klagten, stand eine große Menschenmenge vor dem Gerichtsgebäude, es gab eine politische Performance und einen "Kisch & Co.-Song", Politikerinnen zeigten Solidarität.
Auch Stefan Klein war da, schnappte sich ein Mikrofon, erklärte der Menge sachkundig, wie die Anwälte des Hauseigentümers argumentiert hatten, ordnete ein und mobilisierte. Das Echo in den Medien und im Internet war groß, zwei Senatoren schalteten sich zugunsten der Buchhandlung ein.
Auf einmal stand die Deutsche Wohnen im Büro
Und auch andere wurden offenbar auf den Fall aufmerksam: Eines Tages stand ein Vertreter des Immobilienkonzerns Deutsche Wohnen im Laden von Buchhändler Thorsten Willenbrock und bot ihm neue Räume an – nur wenige Häuser weiter.
"Das hat auch uns überrascht", sagt Stefan Klein. "Wir vermuten, dass der Konzern mit Aktionen wie diesen sein lädiertes Image aufbessern will." In wenigen Wochen wird in einem Volksentscheid über die mögliche Enteignung der Deutsche Wohnen abgestimmt, die sich den Ruf erarbeitet hat, bei der Vermietung vor allem die Steigerung des shareholder values im Auge zu haben.
Klein und seine Firma "Kiezgewerbe" unterstützten "Kisch & Co." bei den Verhandlungen über den neuen Mietvertrag. Am Ende erfolgreich: Für rund zehn Jahre hat "Kisch & Co." nun Planungssicherheit, die neuen Räume liegen ganz in der Nähe der alten. Nur die Ladenfläche ist deutlich kleiner. Thorsten Willenbrock sagte rbb24, Kleins Unterstützung sei "unglaublich wichtig" gewesen.
Ziel: Kleingewerbe per Gesetz besser schützen
Als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag hat der Jurist Stefan Klein an einem Gesetzentwurf mitgearbeitet, mit dem Gewerbetreibende rechtlich besser geschützt werden sollen. "Kleinunternehmer brauchen einen Schutz, der sich am Wohnungs-Mietrecht orientiert", sagt Klein , "sonst sind sie der Willkür von Vermietern ausgesetzt."
Die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram hat den Gesetzentwurf im vergangenen Jahr im Bundestag vorgestellt – eine Mehrheit fand er nicht. Nun hofft Klein auf die Bundestagswahl und auf neue Mehrheitsverhältnisse.
Sendung: Inforadio, 24.08.2021