Interview | "Volksentscheid: Berlin autofrei" - "Dieses Privileg, Auto zu fahren, sollte nur mit einem guten Grund möglich sein"

Die Bürgerinitiative "Volksentscheid: Berlin autofrei" will Autos aus der Berliner Innenstadt nahezu verbannen. Am Donnerstag sollen die gesammelten Unterschriften übergeben werden. Im Interview spricht einer der Initiatoren über die Motive.
rbb: Herr Wiemann, mit Ihrer Initiative soll der Autoverkehr in Berlin um 65 Prozent reduziert werden. Die Bürgermeisterkandidatin Franziska Giffey nennt das wirklichkeitsfremd. Wie realistisch ist dieses Ziel wirklich?
Manuel Wiemann: Ich glaube, das ist sehr, sehr realistisch. Weil in Berlin ja nur die Hälfte der Haushalte ein Auto besitzen. Bei den Menschen innerhalb des S-Bahnrings ist es sogar so, dass dort nur 17 Prozent der Fahrten mit dem Auto zurückgelegt werden. Das heißt 83 Prozent der Wege finden schon auf dem Fahrrad, dem ÖPNV oder zu Fuß statt. Wir glauben, dass Berlin reif ist für eine Verkehrswende. Das heißt, dass wir dann endlich mehr Platz auf den Straßen haben für Menschen, für Cafés, für sichere Radwege, für breite Gehwege und alles, was den Menschen sonst so vor ihrer Haustür einfällt, statt Blechlawine und gefährlichen Verkehrssituationen.
Was Sie fordern, ist schon radikal. Sie wollen innerhalb des S-Bahnrings fast alle Straßen zu autoreduzierten Bereichen erklären. Private Fahrten sind dann verboten. Abgesehen von zwölf Fahrten pro Jahr, um schwere Sachen zu transportieren oder mit Gepäck in den Urlaub zu fahren. Das kann doch nicht funktionieren.
Wir haben sehr unterschiedliche Reaktionen von Menschen auf der Straße bekommen. Es gab auch ganz viele, die das unterstützen, weil sie sich mehr Platz auf den Straßen wünschen und weil sie finden, dass da eine Wende notwendig ist.
Wir haben bei dem Gesetzentwurf darauf geachtet, dass das möglichst ausgewogen ist. Dass wir schauen, dass Menschen, die wirklich auf das Auto angewiesen sind, weiterhin mit dem Auto unterwegs sind. Dazu gehören zum Beispiel Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, Handwerker und Handwerkerinnen, Lieferdienste und so weiter. Wir haben auch darauf geachtet, dass das Verfahren, wie man dann mit dem Auto weiterfährt, möglichst einfach ist. Und deswegen bin ich da sehr zuversichtlich.
Wie stellen Sie sich konkret vor, wie die Menschen sich künftig innerhalb der Stadt bewegen sollen? Der Ring ist ja sehr groß und es gibt innerhalb lange Strecken zurückzulegen.
Das soll über Online-Verfahren ganz einfach möglich sein. Man soll einfach auf dem Smartphone oder auf dem PC zu Hause eingeben, ich möchte jetzt unterwegs sein, und das ist dann ganz simpel machbar. Der Unterschied von unserem Gesetz zu anderen Verkehrsvorhaben in Berlin ist der, dass wir nicht auf bauliche Maßnahmen setzen, wie zum Beispiel Poller oder irgendwas an neuer Infrastruktur. Das dauert häufig sehr lang und ist kostspielig.
Wir setzen darauf zu fragen: Was ist der Grund? Ist diese Fahrt wirklich notwendig? Denn das Auto ist ja ein massives Sicherheitsproblem für viele andere Menschen. Es verursacht, egal ob mit Elektroantrieb oder mit Dieselantrieb, unglaublich viel Feinstaub. Wir finden, dieses Privileg, Auto zu fahren, sollte nur mit einem guten Grund möglich sein. Und deswegen schlagen wir das vor als Prüfung.
Ich stelle mir jetzt schon die vollen S-Bahnen und Trams und U-Bahnen vor, wenn dann keine Autos mehr für private Fahrten in Berlin unterwegs sein sollen. Wie soll dann der ÖPNV in Berlin funktionieren?
Ja, da sind Sie auch nicht die Einzige. Es begegnen uns auch immer wieder Menschen, die vor allem ans Auto gewöhnt sind und die Sorge haben, was das alles bedeutet. In den Übergangszeiten, bis das Gesetz dann tatsächlich in Kraft tritt, braucht es einen massiven Ausbau vom ÖPNV. Damit eben genau das nicht passiert, was Sie eben geschildert haben.
Der Weg zum Volksentscheid ist ja noch lang. Würden Sie sich wünschen, dass vorher das – wahrscheinlich dann neu gewählte – Abgeordnetenhaus schon etwas tut?
Ja, wünschen würden wir uns das auf jeden Fall. Ich bin mir gerade allerdings nicht sicher, ob das realistisch ist. Die Parteien halten sich jetzt gerade im Wahlkampf sehr zurück mit konkreten Maßnahmen und reden irgendwie larifari immer wieder von "Verkehrswende" und "lebenswertem Berlin".
Sie hatten anfangs auch Franziska Giffey genannt. Die SPD ist da gerade eine total lösungslose Partei, die irgendwie auf U-Bahnausbau setzt. Bis eine U-Bahn mal umgesetzt ist, dauert das ewig. Ansonsten hat sie kaum ernstzunehmende Vorschläge für die Verkehrswende. Ich glaube, dass sich das auch nicht ändern wird durch ein neues Abgeordnetenhaus. Wir werden da weiter Druck machen müssen. Wir werden da weiter dran bleiben und dafür sorgen, dass die Verkehrswende endlich tatsächlich auch auf die Straße kommt.
Vielen Dank für das Gespräch!
Bei diesem Text handelt es sich um eine redigierte Fassung des Interviews, das Kerstin Hermes und Julia Menger mit Manuel Wiemann für Radioeins geführt haben. Das Audio im Original hören Sie, wenn Sie das Symbol im Bild des Artikels anklicken.
Sendung: Radioeins, 03.08.2021, 06.34 Uhr
Die Kommentarfunktion wurde am 04.08.2021 um 16:28 Uhr geschlossen
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