Umwandlung in Eigentum abgelehnt - Ein Jahr nach "Syndikat"-Räumung: Bezirksamt bremst Briefkastenfirma aus

Seit der Räumung der Kneipe "Syndikat" vor einem Jahr steht die Bar im Schillerkiez leer. Zuletzt wollte die Eigentümerfirma "Firman Properties" alle Mietwohnungen im Haus umwandeln. Das Vorhaben hat der Bezirk vorerst gestoppt. Von Roberto Jurkschat
Die Fenster im Erdgeschoss sind zugemauert, der Eingang mit einer schweren Pressholzplatte versperrt. Genau ein Jahr nach der Räumung der Kiezkneipe "Syndikat" steht die frühere Bar in Neuköllner Schillerkiez noch immer leer. Was die Eigentümer mit dem einstigen Lokal vorhaben, ist ungewiss.
Räumung nach 33 Jahren
33 Jahre hatte das Syndikat für Gäste geöffnet, die sich in der Kneipe getroffen, Bier getrunken und gekickert haben. Die Räumung im August 2020 wurde von Protesten und von einem Großeinsatz der Berliner Polizei mit rund 2.300 Einsatzkräften begleitet. Nach der Ankündigung linker Gruppen, gegen die Räumung zu protestieren, hatte der zuständige Gerichtsvollzieher um Amtshilfe gebeten.
Mehrere Tage vor der Räumung hatte die Polizei die Straßen rings um die Bar abgeriegelt, Anwohner mussten ihre Personalausweise vorzeigen, um die Absperrungen zu passieren. "Hier sah es aus wie in einem Krisengebiet", sagt der frühere Kneipenwirt Christian Schröder* im Gespräch mit rbb|24. "Ich will nicht wissen, was das alles gekostet hat. Am Ende ein riesiger Aufwand für eine Briefkastenfirma, die keinerlei soziale Verantwortung für den Kiez übernimmt und eine alteingesessene Kneipe nur zumauert und abriegelt. Mich ärgert es immer noch, dass solche Dinge politisch möglich gemacht werden."
Im Jahr 2019 hatten "Correctiv" und der "Tagesspiegel" berichtet, dass das Eigentümerunternehmen "Firman Properties S.à r.l." mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Netzwerk von Briefkastenfirmen der britischen Unternehmerfamilie Pears gehört. Mitglieder des Syndikat-Kollektivs waren wegen der Kündigung ihres Mietvertrags nach erfolglosen Kontaktversuchen zur Adresse der Firman Properties nach Luxemburg gefahren. Dort fanden sie einen Briefkasten, auf dem die Namen 75 weiterer Firmen standen. Laut Medienberichten sollen sich diese Firmen der britischen "Pears Global Real Estate" zuordnen lassen.
Allein in Berlin soll das Pears-Netzwerk mindestens 3.000 Wohnungen besitzen. Inzwischen steht die Gruppe auf der Liste der Initiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen". Anfragen von rbbl24 ließ das Büro der "Pears Global Real Estate Germany" am Kurfürstendamm unbeantwortet.
Eigentümer will Wohnungen umwandeln
Jetzt, ein Jahr nach der Räumung, gibt es erneuten Wirbel um das Haus in der Weisestraße 56. Vom Bezirksamt erfuhren die Mieter der 35 Wohneinheiten im Juli, dass "Firman Properties" einen Antrag auf Umwandlung der Mietswohnungen in Eigentum gestellt hatte.
In einem Brief des Bezirks an die Mieter, der rbbl24 vorliegt, heißt es, das Bezirksamt müsse dem Antrag auf Umwandlung auf der Grundlage des Baugesetzbuches, Stand Februar 2020, stattgeben. "Sollten Sie (...) keine weitere Benachrichtigung erhalten, wurde die Umwandlung entsprechend der gesetzlichen Fristen bis zum 12.08.2021 genehmigt." Die Möglichkeit, rechtlich Einspruch einzulegen, bestehe nicht.
Mieterin Christine Steiner* sagte im Gespräch mit rbbl24, die Mieterinnen und Mieter hätten sich anschließend getroffen, die Verunsicherung sei groß gewesen. "Wir haben uns ausgeliefert und alleingelassen gefühlt", sagt die Mieterin. Weil die Weisestraße im Milieuschutzgebiet Schillerpromenade liegt, gelten für die Umwandlung besondere Regeln. Zum Beispiel haben Mieter ein sieben Jahre dauerndes Vorkaufsrecht. Eine Kündigung wegen Eigenbedarfs dürfen Eigentümer erst nach dieser Zeit aussprechen. Für die Mieter sei das ein schwacher Trost gewesen, sagt Christine Steiner. "Eine Kaufoption besteht für keinen von uns, auch aus finanziellen Gründen."
Mehr als 91.500 Wohnungen in Eigentum umgewandelt
Genau in den Wochen, in denen das Bezirksamt Neukölln dem Antrag der Eigentümer zustimmen sollte, hat der Berliner Senat eine Rechtsverordnung beschlossen, um den Trend zur Umwandlung von Wohnraum in Berlin zu bremsen. Die Grundlage für hatte der Bundestag schon davor mit dem Baulandmobilisierungsgesetzes gelegt.
Nach Angaben des Bausenats wurden zwischen 2015 und 2020 rund 91.500 Berliner Mietswohnungen in Eigentum umgewandelt, rund 19.000 davon im vergangenen Jahr. Zwar besteht für Mieter in Milieuschutzgebieten wie dem Schillerkiez in solchen Fällen ein Vorkaufsrecht. Von dem haben nach Angaben des Bausenats bis Ende 2019 aber nur 0,3 Prozent der betroffenen Mietparteien Gebrauch gemacht.
Der Berliner Bausenator Sebastian Scheel (Linke) mahnte Ende Juli: Es sei zu erwarten, dass etliche Eigentümer von dem alten Umwandlungsrecht noch schnell Gebrauch machen wollten. Deshalb gelte es, die Lücke zwischen Ankündigung und Umsetzung der Verordnung möglichst kurz zu halten.
Nach dem Senatsbeschluss am 4. August trat die Neuregelung dann am 6. August in Kraft. Seitdem haben Berliner Bezirke mehr Möglichkeiten, um Umwandlungen in angespannten Wohngegenden zu regulieren.
Neuköllner Bezirksamt stoppt Briefkastenfirma
Für die Mieter in der Weisestraße 56 hat sich das Blatt damit gewendet. Auf Anfrage von rbbl24 teilte das Neuköllner Bezirksamt nun mit, es habe den Antrag zur Umwandlung des früheren Syndikat-Hauses abgelehnt. Durch das Inkrafttreten des neuen Gesetzes liege eine neue Rechtslage vor, durch die die Verwaltung "gehindert ist", den Antrag zu bescheiden. "Der Umwandlungsantrag wurde daher abgelehnt."
Der Neuköllner Bezirksstadtrat Jochen Biedermann (Grüne) erklärte rbbl24, mit der neuen Regelung werde der Realität auf dem angespannten Berliner Wohnungsmarkt Rechnung getragen. "Das verschafft den Mieter:innen dieser Stadt eine dringend benötigte Verschaufpause vor der Umwandlung. Leider kommt diese Regelung allerdings für viele Häuser viele Jahre zu spät."
Leerstand von Gewerbeimmobilien nicht verboten
An einer möglichen Nutzung der Räume des früheren Syndikats ändert die neue Regelung allerdings wenig. Der Bezirk hat für die Fläche einen "Barbetrieb mit Imbissangebot" zugelassen. Die Voraussetzungen für die Öffnung einer neuen Bar wären eigentlich gegeben. Allerdings könnte es auch ganz anders kommen. Denn das Zweckentfremdungsverbot, das Leerstand zu Spekulationszwecken verbietet, gilt nur für Wohnungen. Rein theoretisch könnte die frühere Kneipe als Gewerberaum einfach zugemauert bleiben.
Das Syndikat-Kollektiv hofft jetzt, in der Umgebung eine neue Kneipe eröffnen zu können. Zehn leere Lokale habe er sich schon angesehen, sagt Christian Schröder. Etwas passendes sei bislang aber nicht dabei gewesen. "Wir sind hier zuhause, ein Großteil unserer Gäste ist hier zuhause, deshalb wollen wir hier bleiben. Aber wir finden nichts. Die Gewerbemieten in dem Kiez sind in den vergangenen Jahren einfach extrem nach oben gegangen."
* Namen von der Redaktion geändert
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