Abschiebezentrum am BER? - "Wir wüssten jetzt gern, was da wirklich Sache ist"

Bei Schönefeld soll ein "Ein- und Ausreisezentrum" entstehen. Die Gemeindevertretung hat zugestimmt – aber manche beschleichen jetzt Zweifel. Denn es gibt Vermutungen, dass hier ein bundesweites Abschiebezentrum geplant ist. Von Stephanie Teistler
Im August hat die Gemeindevertretung von Schönefeld (Dahme-Spreewald) beschlossen, einen Bebauungsplan für ein Behördenzentrum des Landes zu ermöglichen. Was genau hinter diesem Zentrum steht, wie groß das tatsächlich wird – da ist sich Grünen-Gemeindevertreterin Sabine Freund inzwischen aber nach eigenen Aussagen nicht mehr sicher. Sie habe von Anfang an kein gutes Gefühl dabei gehabt, sagt sie dem rbb.
"Wir lehnen Abschiebungen eigentlich grundsätzlich ab. Aber bei uns wurde der Eindruck erweckt, dass das Zentrum sich nur zu zehn Prozent mit Ausreisen und zu 90 Prozent mit Einreisen beschäftigen würde", erinnert sie sich. Das Behördenzentrum solle es den Menschen erleichtern, zu ihrem Recht zu kommen, habe es geheißen. Auch deshalb habe ihre Fraktion letztlich nicht dagegen gestimmt, als es darum ging, das Vorhaben voranzubringen.
Behördenzentrum oder Abschiebedrehkreuz?
Klar ist: Das Land plant gemeinsam mit dem Bund ein Behördenzentrum für Ein- und Ausreiseangelegenheiten. So schreibt es das Innenministerium Ende August in einer kurzen Pressemitteilung. Alle Aspekte der Migration sollten dort "ordentlich, human und zügig" umgesetzt werden, wird Innenminister Michael Stübgen (CDU) zitiert.
Die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (Linke) befürchtet jetzt ein "Abschiebedrehkreuz für ganz Deutschland". Die "Märkische Allgemeine Zeitung" [maz-online.de / kostenpflichtig] hatte diese Woche zuerst darüber berichtet. Johlige wirft dem Innenministerium vor, die Dimension des Projekts zu verschleiern. "Das Zentrum soll höchste Priorität für Land und Bund haben, nächstes Jahr soll schon Baustart sein", sagt Johlige dem rbb. "Und trotzdem hat das Innenministerium noch keinen Plan dazu, welche Kosten auf das Land zukommen?" Die Linken-Politikerin kritisiert, dass das Land hier offenbar vollendete Tatsachen schaffen wolle - am Parlament vorbei.
Innenministerium versucht, Bedenken zu zerstreuen
Auch die Gemeindevertretung in Schönefeld habe zunächst Bedenken gegen das Projekt gehabt, sagt Sabine Freund. Mehrmals gab es deshalb Gespräche mit Vertretern des Innenministeriums.
Auch im Innenausschuss des Landtags im September versuchte Staatssekretär Markus Grünewald, Zweifel zu zerstreuen. Das europaweit einmalige Projekt sei moderne Migrationspolitik in Form eines Behördenzentrums: Für Zweigstellen von Gerichten gebe es ebenso Platz auf dem Gelände wie für ärztliche Betreuung, Dolmetscher, kirchliche und soziale Einrichtungen. Grünewald betonte, es gehe nicht nur um Abschiebungen, sondern auch um Fälle von Flughafenasyl, um freiwillige Ausreisen, Erstregistrierungen, Fachkräfteeinwanderung und humanitäre Aufnahmen.
Die Zahlen, an die sich Sabine Freund nach eigener Aussage erinnert, kann Grünewald dem rbb allerdings nicht bestätigen. Dass den Gemeindevertretern gegenüber von 90 Prozent Ein- gegenüber zehn Prozent Ausreisen gesprochen worden sei, sei ihm nicht bekannt. Zu diesem Zeitpunkt könne er nicht seriös sagen, dass es überhaupt mehr Ein- als Ausreisen geben werde - mit Afghanistan sehe man, dass die Situation in der Migration immer beweglich sei.
In der Powerpoint-Präsentation zum Projekt, die den Gemeindevertretern gezeigt wurde und die dem rbb vorliegt, liest sich das allerdings nicht so offen. Hier steht eindeutig: "Die meisten Personen, welche in dem geplanten Behördenzentrum untergebracht sind, reisen an oder ein und nicht aus!" Der Satz ist mit einem Ausrufezeichen versehen.
Olaf Damm, Gemeindevertreter in Schönefeld und Vorsitzender der Fraktion CDU/Alle für Eine, hält die Diskussion für Wahlkampfgetöse, wie er sagt. Ihm leuchte ein, dass Schönefeld mit dem BER nun eine EU-Außengrenze habe und das Land die Aufgaben wahrnehmen müsse, die das mit sich bringe. "Das tun wir ja jetzt auch schon, nur unter widrigen Umständen."
Am BER werden bereits jetzt Asylgesuche in einem beschleunigten Verfahren auf dem Flughafengelände behandelt. "Ich habe wenig Bauchschmerzen, dass uns da durch die Hintertür etwas verkauft worden ist, was wir so nicht wollen", so Damm.
Damm verweist darauf, dass die Gemeinde über den Bebauungsplan und dessen Genehmigung außerdem immer noch handlungsfähig sei. Er sagt allerdings auch: "Zu keinem Zeitpunkt war davon die Rede, dass es vordergründig um die Ausreise geht – womöglich auch noch bundesweit. Wenn es am Ende 90 Prozent Ausreisen wären, dann wäre das für uns ein eklatanter Wortbruch."
Das Innenministerium sagt dazu, man sei gegenüber der Gemeindevertretung immer transparent gewesen. Ob etwa der Bund plane, Abschiebungen zentral in Schönefeld abzuwickeln, sei bisher in den Verhandlungen kein Thema gewesen.
Stresstest für die Koalition
Abschiebungen sind auch für die rot-schwarz-grüne Koalition in Brandenburg ein sensibles Thema. Die Grünen haben sich im Koalitionsvertrag dafür eingesetzt, dass das Land vorrangig auf freiwillige Ausreisen setzt, ein Abschiebegefängnis auf Brandenburger Boden lehnen sie ab. Co-Parteichefin Julia Schmidt sagte der "Märkischen Allgemeinen Zeitung", bislang machten vor allem Gerüchte über das Projekt die Runde, Fakten fehlten aber. Sie gehe davon aus, dass "die Vereinbarung im Koalitionsvertrag gilt, dass in Brandenburg keine Abschiebehaftanstalt entsteht".
Auch hier beruhigt das Innenministerium und sagt, man halte sich strikt an den Koalitionsvertrag. Eine Abschiebehaft sei nicht geplant.
Die Frage nach der Dimension des Projekts bleibt, und das Innenministerium nennt auch keine Zahlen. Bisher ist nur bekannt, dass die Zentrale Ausländerbehörde mit 30 bis 35 zusätzlichen Stellen rechnet. Staatssekretär Grünewald verweist darauf, dass man die Pläne mit dem Bund bald zusammenbringe. Er sagt, er hoffe auf eine Grundsteinlegung im kommenden Jahr.
Bei Gemeindevertreterin Sabine Freund bleibt Unbehagen zurück. Sie will sich die Sache mit ihrer Fraktion noch einmal genau anschauen: "Wir wüssten jetzt gern, was da wirklich Sache ist."
Sendung: Brandenburg aktuell, 16.09.2021, 19:30 Uhr