Überwachung und Sorge - Der 11. September und seine Spuren in der Berliner Sicherheitspolitik

Sa 11.09.21 | 08:10 Uhr | Von Birgit Raddatz
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Ein Beamter des Bundesgrenzschutzes steht am 13.9.2001 mit seiner Waffe vor dem Schalter einer amerikanischen Fluggesellschaft auf dem Flughafen. (Quelle: dpa/Matthias Schrader)
Bild: dpa/Matthias Schrader

Die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA bedeuteten auch für Berlin eine Zäsur. Die Sicherheitsmaßnahmen wurden angepasst. Auch auf andere Anschläge folgten Maßnahmen, doch nicht alle haben bis heute Bestand. Von Birgit Raddatz

An den Tag selbst erinnert sich Ehrhart Körting, ehemaliger Innensenator von Berlin, noch genau. "Ich saß in meinem Büro in der Klosterstraße und meine beiden Sekretärinnen kamen herein und riefen, ich solle unbedingt den Fernseher anmachen." Als der SPD-Politiker und seine Mitarbeiter:innen sahen, dass ein zweites Flugzeug in einen der beiden Türme in New York flog, war Körting klar, dass es sich um einen terroristischen Anschlag handelte, der auch das weit entfernte Berlin betraf.

Ehrhart Körting, Präsident des Behinderten-und Rehabilitations-Sportverbands Berlin, Innen-und Sportsenator a.D. (Quelle: dpa/Roland Popp)
Bild: dpa/Roland Popp

Er berief unmittelbar eine Sitzung mit der Polizeiführung, dem Verfassungsschutz, dem Landeskriminalamt und den Mitarbeiter:innen seiner Sicherheitsabteilung ein. "Wir haben sofort Maßnahmen eingeleitet, was den Schutz von amerikanischen, aber auch jüdischen Einrichtungen betraf", erzählt der 79-Jährige. Körting war damals erst ganz frisch zum Innensenator des Landes Berlin unter dem damaligen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ernannt worden.

Kurz darauf erhielt die Berliner Polizei neue Schutzausrüstung.

Rechtslage musste erst geklärt werden

Die Amerikaner hatten im Zuge der Anschläge vom 11. September eine Liste von Wünschen an die europäische Politik, sagt ARD-Terrorismusexperte Michael Götschenberg. Manches habe aber Zeit und Diskussion gebraucht. Zum Beispiel die Erfassung von Fluggastdaten (sogenannte Passenger Name Records), die als Konsequenz gefordert wurde. "2004 ging es noch um die Frage, ob die Essenswünsche an Bord an die Amerikaner übermittelt werden. Also die Frage, ob jemand Schweinefleisch ablehnt als Rückschluss auf einen muslimischen Glauben, sozusagen", so Götschenberg. Das habe für viel Diskussion gesorgt. Erst 2016 schuf die Europäische Union dann die nötige Rechtsgrundlage dafür.

Polizeibeamte tragen am Dienstag (11.09.2001) zusätzliche Absperrgitter vor die amerikanischen Botschaft in Berlin. (Quelle: dpa/Bernd Settnik)
Bild: dpa/Bernd Settnik

Schon viel früher, nämlich im Januar 2002, trat das Terrorismusbekämpfungsgesetz in Kraft. Eigentlich sollte es auf fünf Jahre befristet sein – es hat aber bis heute Bestand. Dank des Gesetzes sind Fluggast-Daten für das Bundeskriminalamt und den Verfassungsschutz abrufbar. Der damalige Innenminister Otto Schily (SPD) sah darin eine sicherheitspolitische Notwendigkeit – die zahlreichen Kritiker dagegen erkennen darin ein Gesetz, das es den Behörden viel zu leicht macht, Fluggäste auszuspähen.

Radikalisierung fand schon im eigenen Land statt

Rund ein Jahr nach den Anschlägen gingen die Sicherheitsbehörden davon aus, dass es sich beim internationalen Terrorismus vorwiegend um sogenannte "Schläfer" handelt, also um Menschen, die eigens dafür in die europäischen Länder einreisten, erinnert sich Ehrhart Körting.

Schließlich kam man jedoch zu dem Schluss, dass es sich vielmehr um sogenannte "homegrown terrorists" handelte, also um "Menschen, die hier teilweise schon seit
Jahren wohnen, radikalisiert werden und dann Kontakt zu möglichen internationalen
terroristischen Organisationen aufnehmen", fasst der ehemalige Berliner Innensenator das Phänomen zusammen.

Muslim:innen plötzlich unter Generalverdacht

Mit dieser Einschätzung änderte sich auch die Lage in Berlin. Nun ging es darum, herauszufinden, wo die Radikalisierung stattfinden könnte. "Da haben wir natürlich auf bestimmte Einrichtungen, auch auf bestimmte Moscheen geguckt, in denen sehr extreme Leute waren, um zu sehen, ob sich daraus auch etwas terroristisches entwickelt", so Körting.

Als Innensenator nahm er eine veränderte Haltung der Gesellschaft gegenüber Muslim:innen wahr. Deshalb sei er damals in viele Moscheen und zu muslimischen Veranstaltungen gegangen und habe dort gesprochen. "Das gehört zum inneren Frieden der Stadt und auch des Landes, dass da nicht eine Bevölkerungsgruppe ausgegrenzt wird, weil einige wenige Terroristen aus dieser Bevölkerungsgruppe gekommen sind."

Weitere Terroranschläge in Europa

Im Zuge der Anschläge von Madrid im Jahr 2004 und in London 2005, bei denen sich Terroristen in U-Bahnen in die Luft sprengten und insgesamt über 300 Menschen töteten und fast 3.000 verletzten, entwickelte sich die Anpassung der Sicherheitsmaßnahmen ständig weiter.

In Deutschland fingen die Bundesländer gemeinsam mit dem Bund an, sich stärker zu vernetzen. 2004 wurde das Gemeinsame Terror-Abwehrzentrum (GTAZ) eröffnet. Eine stärkere Vernetzung zwischen den Geheimdiensten war damit möglich.

2006 verhinderten britische Sicherheitsbehörden Anschläge, bei denen flüssiger Sprengstoff in Getränkeflaschen während des Flugs zur Explosion gebracht werden sollte. Kurz darauf wurden die Mitnahme von Flüssigkeiten in Flugzeugen begrenzt.

Zehn Jahre später verübte der Islamist Anis Amri ein Attentat auf den Breitscheidplatz. Im Zuge dessen wurde der Platz zusammen mit 16 weiteren als Sicherheitszone ausgewiesen.

Was in Bayern geht, ist in Berlin verboten

Viele der Sicherheitsmaßnahmen sind bis heute geblieben. Manches jedoch setzte sich nicht durch, sagt ARD-Terrorismusexperte Götschenberg. Die Vorratsdatenspeicherung beispielsweise wurde vom Bundesverfassungsgericht wieder gekippt. In Berlin ist es – anders als beispielsweise in Bayern - bis heute nicht möglich, Gefährder:innen in Präventivhaft zu nehmen. "In Berlin geht das nur mit begründetem Verdacht. Das heißt aber nicht, dass die einen die Dinge laxer nehmen als die anderen. Da geht es am Ende um ideologische Fragen, um die politische Koalition."

Ein anderes Beispiel sei die präventive Telekommunikationsüberwachung, die in Berlin auch nach der Reform des Polizeigesetzes nicht möglich ist. Bei all den Maßnahmen gilt: Einen ultimativen Schutz gegen jede Art von Anschlag gibt es nicht, glaubt Ehrhart Körting. "Wir leben in einer freien Gesellschaft, in der sich Menschen frei bewegen, wir können den Zugang zum amerikanischen Generalkonsulat oder zur amerikanischen Botschaft schützen. Aber wir können nicht jede U-Bahn, jeden Kinderladen, jede Schule kontrollieren." Der beste Schutz gegen Terrorismus, da ist sich Berlins Ex-Innensenator sicher, sei es, frühzeitig zu wissen, wenn eine Gefahr droht.

Sendung: Inforadio, 10.09.2021, 11.40 Uhr

Beitrag von Birgit Raddatz

10 Kommentare

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  1. 10.

    Ihren Beitrag unterstreiche ich vollends. Schon vor der Jahrtausendwende ist mir mal die Hutschnur geplatzt und ich nahm mir einen türkischen Familienvater vor, der bei uns im Haus wohnte. Ich hielt ihm vor nicht alle Deutschen seien Nazis und haben Vorurteile gegenüber Nichtdeutsche. Es gab eine hitzige Diskussion und auf einmal waren wir uns beide einig. Der Anlass war seine 14 jährige Tochter. Immer wenn ich ihr im Treppenhaus begegnet bin u.grüßte, kam nur ein böser Blick von ihr.

  2. 9.

    Entschuldigung, wenn ich mich da einmische. Potsdam ist allerdings wirklich nicht der Lebensraum, in dem sich solche Fragen stellen (kann ich beurteilen, habe dort 3 Jahre gelebt). In Berlin bin ich schon mal von einer voll verschleierten Frau als "Scheiß-Deutsche" beschimpft worden, weil ich im Bus nicht sofort Platz für den Kinderwagen machte. Ich war sprachlos, zumal ich nicht mal aussehe, wie eine typische "Kartoffel". Natürlich macht das misstrauisch.
    Die damaligen Attentäter fielen zuvor im liberalen Hamburg nicht auf, sie lebten ihren Glauben in der Moschee, sogar an der TU Harburg, wo ein eigens für sie hergerichteter Gebetsraum eingerichtet wurde, wo sie sich radikalisierten, Sie waren nicht ungebildet, kamen nicht aus verarmten Verhältnissen, wirkten einigergemaßen angepasst. Dieser Schock, das sich hinter dieser Fassade eine extremistische, entschieden feindliche Haltung gegenüber der Kultur verbarg, die sie als Muslime akzeptiert und unterstützt hat, sitzt tief!

  3. 8.

    Ich denke, zwischen "Schauen" und "Schauen" besteht ein gewaltiger Unterschied. Menschen können nach langen Bärten schauen, sich bei einem bloßen Anfangsverdacht die Fersen abrennen und das allerletzte Kaugummi auf Waffentauglichkeit untersuchen oder aber, es gibt eine unvorfestgelegte Beobachtung. Das wiederum hätte auch mit einer ZUSÄTZLICHEN menschlichen Intuition zu tun, mit ausgeglichen Gefühlszuständen, die beobachten sollen.

    Dazu halte ich die Geheimdienstmitarbeitenden grundsätzlich nicht für in der Lage. Und zwar deshalb nicht, weil sie in Kästchen denken. Selbst das Dienstgebäude des Auslandsgeheimdienstes verrät von der Architektur her, wie Diejenigen im Innern "ticken." Legendär ist die Sammelwut der Stasi. Das aber ist nur die Spitze der Absurdität JEGLICHEN Geheimdienstes.

    Da kann kaum etwas entdeckt werden, außer Zufälligkeiten.

  4. 7.

    ".. bei den allermeisten wird dieses Vorurteil und die Ablehnung bleiben."

    Solange Sie sich auf andere berufen, wird Ihr Vorurteil sicher bleiben. Das ist dann wohl so.

  5. 6.

    "Der beste Schutz gegen Terrorismus, da ist sich Berlins Ex-Innensenator sicher, sei es, frühzeitig zu wissen, wenn eine Gefahr droht."

    Ist es eben nicht. Unsere Behörden schauen zu, beobachten, sammeln Erkenntnisse und dann passiert nichts, bis etwas passiert und alle sind wieder einmal völlig überrascht. Unsere Politiker sind stets bemüht alles als Einzelfall, psychische Erkrankung abzutun oder gar nicht erst zu erwähnen. Die Sicherheit der schon länger hier Lebenden spielt keinerlei Rolle, trotz Amtseid. Wenn schon die Menschenleben nicht zählen, sollte man die Politiker vielleicht mal daran erinnern das auch potentielle Steuerzahler abhanden kommen.

    Viele der durch extreme Gewalt oder Mord in Erscheinung getretenen, wurden bereits beobachtet oder sind Mehrfachstraftäter gewesen.

  6. 5.

    Hallo Frau Tiedke,

    Danke für ihren Hinweis. Wir haben eine Erklärung dazu ergänzt. Grüße aus der Redaktion

  7. 4.

    Seit den brutalen Anschlägen in den USA 9/11, den vielen Anschlägen in Frankreich mit Hunderten von Toten im Laufe der Jahre und auch der Anschlag am Breitscheidplatz in Berlin hat sich mein Menschenbild zwangsläufig geändert gegenüber einer gewissen Kultur, obwohl ich nicht aus Bayern und auch nicht aus Berlin komme.
    Und dieses Vorurteil wieder zu ändern ist für mich und höchst wahrscheinlich auch für viele andere sehr schwierig. Da haben die Islamisten gründliche Arbeit geleistet. Viele Wissenschaftler können Gegenargumente und Erklärungen bringen, bei den allermeisten wird dieses Vorurteil und die Ablehnung bleiben.

  8. 3.

    Komisch:
    Auf vielen Kanälen findet man gerade Artikel zum 11. September, wo über Rechtsstaatlichkeit und Freiheitsrechte gesprochen wird.
    Bzw. diesen ein Universeller Wert zugesprochen wird.
    So weit so gut.
    Bei Corona hingegen finden weite Teile der Journalisten die Rechtseingriffe gut.
    Und das Ende der Fahnenstange (Keine Lohnfortzahlung, 2G usw.) ist ja noch lange nicht erreicht.

  9. 2.

    Der Unterschied zwischen Bayern und Berlin mag in der Vorstellung begründet sein, dass auf einen groben Klotz ein grober Keil gehört, also Abschreckung irgendeine Wirkung hätte oder eben nicht.

    Dahinter steckt ein Menschenbild, dass es Menschen gäbe, die quasi "von Natur aus" so dächten, wie sie im Endeffekt schließlich handelte. Genau das halte ich schon immer für eine Mär.

    Auch das formulierte glatte Gegenteil dazu, dass es eben NUR gesellschaftliche Umstände wären, die Menschen so handeln ließen, stimmt in dieser Reinheit m. E. nicht. Es geht also darum, sich das weite Feld zwischen diesen Extrempositionen anzuschauen.

    Lupenreiner noch als in Bayern ist die eine Extremposition in den USA vertreten. Mal kommt sie offen zum Ausdruck und lässt Menschen hierzulande die Nackenhaare sträuben, mal mit überlegteren Worten. In meinen Augen geht es AUCH darum, die unterschiedlichen Handelsverständnisse, ausgehend von Kulturen, anzuerkennen.

  10. 1.

    Könnten Sie zu dem Zitat bitten einen Kommentar machen: Koscheres Essen ist ein Begriff aus dem jüdischen Glauben. Im muslimischen Glauben heißt es halal.

    „Also die Frage, ob jemand koscheres Essen will, ob jemand Schweinefleisch ablehnt, als Rückschluss auf einen muslimischen Glauben, sozusagen.“

    By the way, so ein Fehler sagt viel über die Einstellung aus. Not cool guys, not cool.

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