Probleme bei der E-Akte - Müde Bilanz bei der Digitalisierung der Berliner Verwaltung

Die Digitalisierung der Berliner Verwaltung war eines der wichtigsten Vorhaben der rot-rot-grünen Koalition. Dafür gab es neues Personal, straffere Entscheidungsstrukturen und viel Geld. Die Bilanz fällt allerdings nüchtern aus. Von Christoph Reinhardt
Nach vielen Jahren der Sparpolitik sollte vor allem die elektronische Akte die gehörig verstaubte Berliner Verwaltung auf den richtigen Digitalisierungskurs bringen - das neue E-Government-Gesetz hatte 2016 noch die rot-schwarze Koalition auf den Weg gebracht.
Rot-Rot-Grün war sich nach den Wahlen schnell über die herausgehobene Bedeutung der E-Akte einig. Die Koalition versprach "einen raschen Einstieg und sichtbare Fortschritte", ernannte zum ersten Mal eine eigenständige IT-Staatssekretärin und stellte für die Umstellung von rund 80.000 Arbeitsplätzen auf die elektronische Akte 135 Millionen Euro zur Verfügung.
Vergabeverfahren gescheitert
Aber die gesetzlich für spätestens Ende 2022 vorgesehene vollständige Umstellung wird sich verzögern, musste IT-Staatssekretärin Sabine Smentek (SPD) im Frühjahr 2020 einräumen. "Wir hatten ein kleines Problem und mussten einen Teil des Vergabeverfahrens wiederholen. Das hat uns zwei Jahre Zeit gekostet."
Inzwischen konnte der Großauftrag rechtskräftig erteilt werden, aber in diesem Jahr werden trotzdem gerade mal zwei Verwaltungen mit der E-Akte ausgestattet: Neben der Berliner Innenverwaltung, in der die Staatssekretärin selbst angesiedelt ist, noch das Bezirksamt Mitte, für das Smentek vor ihrer Ernennung als Stadträtin tätig war. Langfristig sollen aber rund 100 unterschiedliche Dienststellen mit der E-Akte arbeiten. Wenn es keine weiteren Verzögerungen gibt, könne die Umstellung bis Ende 2024 abgeschlossen sein, sagt die Staatssekretärin.
Die gescheiterte Ausschreibung nennt der FDP-Digitalisierungsexperte im Berliner Abgeordnetenhaus, Bernd Schlömer, den größten Flop der rot-rot-grünen Digitalisierungsbilanz. Auch der SPD-Digitalexperte Sven Kohlmeier will die Verzögerung nicht schönreden, selbst wenn sie "im Rahmen" vergleichbarer Großprojekte liege und die Ursachen vielschichtig seien: "Vielleicht lag es ein bisschen daran, wie die Ausschreibung formuliert war."
"Damit kann man nicht zufrieden sein"
Für Stephan Lenz (CDU) liegt die politische Verantwortung eindeutig bei der SPD-Staatssekretärin: "Aus meiner Sicht ist das ein Führungsfehler. Das Vergabeverfahren ist ja an formalen Fehlern gescheitert. Und formale Fehler kann man vermeiden, wenn man ordentlich arbeitet." Zwar sei Verwaltungsmodernisierung ein dickes Brett, bei dem niemand schnelle Fortschritte erwarten dürfe, das räumt Lenz ein. Am Ende der Wahlperiode seien die Kernprojekte aber nicht erledigt: "Damit kann man nicht zufrieden sein."
Vor allem die Situation der Bürgerämter ist für Lenz inakzeptabel. "Wir haben früher darüber gemeckert, dass das 14-Tage-Ziel nicht erreicht wurde. Und jetzt kann man seine Angelegenheit überhaupt nicht mehr regeln." Zwar arbeiten heute nach Angaben der Innenverwaltung rund 150 Beschäftigte mehr in den Bürgerämtern als 2016, die Erreichbarkeit für die Bürger habe sich dennoch verschlechtert, konstatiert Lenz.
Smentek sieht trotzdem Fortschritte
Staatssekretärin Smentek spricht von Schwierigkeiten, zeitnahe Termine anzubieten, sieht aber Fortschritte. Verantwortlich für den derzeitigen Bearbeitungsstau seien die Corona-Beschränkungen gewesen. Diesen Rückstand hole man Stück für Stück auf, biete längere Öffnungszeiten an und habe innerhalb von zehn Wochen ein zusätzliches Bürgeramt aus dem Boden gestampft.
Für die Betroffenen sei es zwar unbefriedigend, wenn es innerhalb der nächsten acht Wochen keine freien Termine gebe, sagt Smentek. Wenn alle Termine ausgebucht seien, bedeute das aber anderseits, dass rund 150.000 Bürgerinnen und Bürger jeweils einen Termin in Anspruch nehmen würden – noch nie hätten die Bürgerämter so viele Termine anbieten können.
"Tropfen auf den heißen Stein"
Insgesamt wollen Bund und Länder 575 Verwaltungsleistungen online anbieten, so steht es im 2017 beschlossenen Onlinezugangsgesetz. In Berlin lassen sich nach Angaben Smenteks heute gerade mal 33 Dienstleistungen durchgängig online nutzen, bei weiteren rund 200 Leistungen gebe es Teillösungen oder zumindest Informationen.
Ein Tropfen auf den heißen Stein, sagt der FDP-Politiker Schlömer, denn erst die breite Einführung von Onlinedienstleistungen ermögliche den Bürgerämtern eine umfassende Modernisierung. So sieht es zwar auch die Staatssekretärin. Dies sei aber in den meisten Fällen noch nicht möglich, weil Bundesgesetze derzeit noch das persönliche Erscheinen vorschrieben. "Ich wünsche mir, dass die nächste Legislaturperiode da den Durchbruch schafft", sagt Smentek und verweist auf die Verbesserungen bei den Kraftfahrzeug-Zulassungsstellen.
Alle wollen die Zentralisierung
SPD-Digitalexperte Sven Kohlmeier kann sich selbst nicht erklären, warum sich auch mit dem IT-Government-Gesetz die Lage der Bürgerämter nicht nennenswert verbessert hat. "Das sind die Geheimnisse eines Politikerlebens, dass man nicht versteht, warum es nicht funktioniert. Obwohl wir mehr Geld und mehr Personal zur Verfügung gestellt haben, hat sich die Situation kaum verändert." In einem ist sich Kohlmeier aber sicher: Die Zentralisierung der bis dahin völlig zersplitterten Berliner IT-Landschaft 2016 sei richtig gewesen.
Die CDU wünscht sich in der nächsten Legislaturperiode eine "starke Persönlichkeit" für die IT-Steuerung. Das Problem liege nicht in den gesetzlichen Rahmenbedingungen, sondern an fehlender Führung, sagt Stephan Lenz: "Vielleicht muss man für den Posten jemanden aus der freien Wirtschaft gewinnen, der das besser umsetzen kann."
Für die FDP gibt es dagegen immer noch zu viel dezentrale Verantwortung. Berlin brauche einen CIO, einen "Chief Information Officer", sagt Schlömer, der sowohl die Kompetenzen für die Digitalisierung der Wirtschaft, die Verwaltungsmodernisierung und die IT-Steuerung innehabe. Bisher sind die Zuständigkeiten auf die Wirtschaftsverwaltung, die Senatskanzlei und die Innenverwaltung verteilt. Gefordert sei aber auch eine andere Persönlichkeit.
Smentek lacht die Kritik weg
Die kritisierte Staatssekretärin selbst lacht die Vorwürfe der Opposition weg. Dass ihre Chancen auf eine zweite Amtszeit gering sind, weiß sie selbst. "Ich hätte mir manches besser vorstellen können, aber weil ich Verwaltung kannte, habe ich gewusst, was für ein dickes Brett wir bohren."
Die entscheidende Frage sei, was mit den bisher dezentral verantworteten IT-Fachverfahren geschehe und ob die dafür vorgesehen Mittel künftig zentral gesteuert werden könne, sagt Smentek: "Die zentrale Steuerung ist der richtige Weg – ich wünsche mir, dass wir mit Verve weiterarbeiten in die Richtung."
Sendung: Inforadio, 01.09.2021, 09:00 Uhr