Aktion am Kanzleramt -

Am Mittwochnachmittag haben sechs der ursprünglich sieben Aktivisten angekündigt, den Hungerstreik zu beenden. Ein Aktivist und eine Aktivistin, die sich vor einer Woche der Gruppe angeschlossen hatte und in Hungerstreik getreten war, wollen die Aktion dagegen fortsetzen.
Der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber hat die Klima-Aktivisten vor dem Reichstagsgebäude in Berlin um einen sofortigen Abbruch ihres Hungerstreiks gebeten. "Das Zeichen, das ihr gesetzt habt, ist ohnehin schon auf der ganzen Welt wahrgenommen worden", schrieb Schellnhuber am Mittwoch in einem Offenen Brief. Der Gründer und frühere Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung bot den Aktivisten an, so bald wie möglich Treffen mit führenden Klimawissenschaftlern zu organisieren. Auch könne er sein Netzwerk von Kontakten nutzen, "damit ihr mit Persönlichkeiten sprecht, die zu überzeugen sich wirklich lohnt".
Schellnhuber warnt vor "Arroganz des selbstauferlegten Martyriums"
Dafür brauche es allerdings ein paar Monate Zeit, "die wir nach der weitgehenden politischen Untätigkeit der letzten drei Jahrzehnte auch noch aufbringen sollten", schrieb Schellnhuber weiter. Der Tag, "wo man sich für das Wohlergehen der Gemeinschaft selbst Gewalt antun möchte", sei noch nicht gekommen und werde hoffentlich nie anbrechen.
Der Klimaforscher verwies auch darauf, dass es "neben der Arroganz der Macht und der Arroganz des Wissens" auch "eine Arroganz des selbstauferlegten Martyriums" gebe. "Wir müssen aber alle Arten von Arroganz ablegen, wenn wir die Welt noch gemeinsam retten wollen", mahnte Schellnhuber, der auch Mitglied der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften ist.
Auch evangelische Kirche ruft zu Streikende auf
Zuvor hatte bereits der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, die Klimaaktivisten zur Beendigung ihrer Aktion aufgerufen. "Ich appelliere dringend an Sie, wieder Nahrung zu sich zu nehmen", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung". "Die bewusste Gefährdung des eigenen Lebens ist der falsche Weg, um sich für beherzte Maßnahmen gegen die Klimaerwärmung und damit ja für das Leben einzusetzen."
Bedford-Strohm nannte den Hungerstreik zugleich ein "Alarmzeichen" für die Gesellschaft insgesamt. "Viele junge Leute sehen keine Zukunft mehr, weil sie den Veränderungswillen nicht sehen, der notwendig wäre, um die ökologischen Zerstörungsprozesse noch umzukehren", sagte er. "Wir machen uns schuldig an der jüngeren Generation, wenn wir ihnen die Zukunft verweigern." Es sei höchste Zeit umzusteuern.
Streikende wollen Gespräch mit Kanzlerkandidaten
Mehrere junge Menschen hatten am 30. August vor dem Reichstagsgebäude mit einem unbefristeten Hungerstreik begonnen. Sie wollen ein öffentliches Gespräch mit den drei Kanzlerkandidaten über den Klimawandel erreichen und haben dafür ein Ultimatum bis Donnerstag gestellt. Zudem fordern sie das Versprechen, dass die neue Regierung einen Bürgerrat einberuft, der sich mit Sofortmaßnahmen gegen die Klimakrise beschäftigen soll.
Klimaforscher Schellnhuber warb dafür, dass noch "eine Fülle von gesellschaftlichen Einflussmöglichkeiten" zur Verfügung stehe, "bei denen niemand zwingend sein Leben für die Bewahrung der Schöpfung gefährden muss". Vermutlich würden sich nach der Bundestagswahl am Sonntag "sogar größere Spielräume für eine deutsche Klimapolitik eröffnen, die der dramatischen Lage eher gerecht wird". Dabei könnten direkte Begegnungen zwischen Entscheidungsträgern und Aktivisten entscheidende Impulse geben. Die Aktivisten würden also auch in den kommenden Jahren dringend gebraucht.
Sendung: Inforadio, 22.09.2021, 13:00 Uhr