Hitzige Debatte im Abgeordnetenhaus - Berlin will weitere Ortskräfte aus Afghanistan aufnehmen

Berlin sei vorbereitet, weitere afghanische Ortskräfte unterzubringen, sagt Linken-Integrationssenatorin Elke Breitenbach. Die Fraktionen im Abgeordnetenhaus allerdings streiten über die Voraussetzung und Umsetzung dieser Unterbringung.
In einer vom Wahlkampf überschatteten Debatte hat sich das Berliner Abgeordnetenhaus am Donnerstag mit der Lage von afghanischen Flüchtlingen und vor allem Ortskräften der Bundeswehr und anderer Organisationen beschäftigt.
Jarasch fordert Aufnahmeprogramm
Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch forderte ein Aufnahmeprogramm für Angehörige von afghanischen Flüchtlingen in Berlin. Diese Menschen seien verzweifelt und würden zurzeit in großer Zahl Hilfsorganisationen wie die Berliner Beratungsstelle für politische Verfolgte kontaktieren.
Jarasch kritisierte zugleich die Bundesregierung: Diese habe zu spät die Lage in Afghanistan erkannt und die Aufnahme von Flüchtlingen lange erschwert oder gar verweigert. Sie dankte dem Senat, der früh die Bereitschaft zeigte, Flüchtlinge aus Afghanistan aufzunehmen. "Berlin duckt sich nicht weg, Berlin macht den Rücken gerade", so Jarasch.
Dregger warnt vor einem "Flüchtlingsstrom"
CDU-Fraktionschef Burkardt Dregger unterstützte die Aufnahme von afghanischen Ortskräften, die vor allem der Bundeswehr jahrelang geholfen haben. "Wer unseren Truppen und weiteren Stellen treu gedient hat, hat auch unsere Treue verdient." Ein Flüchtlingsstrom aus Afghanistan müsse jedoch verhindert werden, so Dregger. Deswegen sollten die meisten zu erwartenden afghanischen Flüchtlinge in den Nachbarländern Afghanistans untergebracht werden. Der Linkspartei warf Dregger vor, im Bundestag gegen den Bundeswehreinsatz in Kabul zur Evakuierung von Ortskräften gestimmt zu haben.
Die SPD-Abgeordnete Ülker Radziwill warf wiederum Dregger vor, mit der Not der Menschen in Afghanistan Wahlkampf zu betreiben. Sie kritisierte, dass der CDU-Abgeordnete Christian Gräff in Marzahn-Hellersdorf Klagen gegen die Unterbringung von afghanischen Flüchtlingen unterstützen wolle. Radziwill forderte, dass Berlin besonders afghanische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aufnimmt: "Denn Terrorregime wie die Taliban hassen die freie Wissenschaft."
Pazderski erkennt einen "gutmenschlich-dekadenten Zeitgeist"
AfD-Fraktionschef Georg Pazderski warf den Regierungsparteien in Bund und Berlin vor, mit "ideologischer Blindheit" die Probleme in Afghanistan jahrelang ignoriert zu haben. Das sei typisch für den "gutmenschlich-dekadenten Zeitgeist" in Deutschland. Pazderski stellte in Frage, dass alle bisher aus Afghanistan evakuierten Menschen schutzbedürftig sind. "Niemand weiß, ob wir auf diesem Wege nicht auch Personen zu uns geholt haben, die unsere Hilfe gar nicht verdienen, weil sie bestechlich oder gewaltbereit waren, für die Taliban spioniert haben oder sogar Terroristen sind."
Den bereits hier lebenden Afghanen warf Pazderski vor "Ehrenmorde, Messerstechereien, Übergriffe auf Frauen sowie Sozialbetrug" begangen zu haben. Deswegen müssten die meisten Flüchtlinge aus dem Land in Nachbarländern untergebracht und gehalten werden. Einreisen nach Deutschland dürften nicht ohne Sicherheitscheck und Identitätsprüfung geschehen.
FDP fordert "rechtsstaatliches Aufnahmeverfahren"
Der rechtspolitische Sprecher der FDP, Holger Krestel, sieht in der Flüchtlingsfrage vor allem den Bund in der Verantwortung. Für afghanische Ortskräfte brauche es ein rechtsstaatliches Aufnahmeverfahren, "unter Berücksichtigung der von ihnen erbrachten Leistungen".
Sozialsenatorin Elke Breitenbach von den Linken bedankte sich "bei den demokratischen Parteien" für die Bereitschaft, afghanische Flüchtlinge in Berlin aufzunehmen. Das Land habe schnell eine bereits geschlossene Aufnahmeeinrichtung wieder reaktiviert und bereits am 23. August dort die ersten 192 Ortskräfte mit ihren Familien, "darunter sehr viele Kinder", untergebracht. Eine weitere Unterkunft sei ebenfalls bereits wieder hergerichtet worden, so Breitenbach.
Breitenbach verteidigt Reserve-Unterbringungskapazitäten der Stadt
Die afghanischen Flüchtlinge, die in Berlin ankommen, würden allerdings auf andere Bundesländer verteilt. Die Senatorin verteidigte, dass Berlin immer Unterbringungskapazitäten in Reserve halte, so gebe es zum Beispiel in den Gemeinschaftsunterkünften immer 1.000 freie Plätze. Breitenbach erinnerte zugleich an die zahlreichen Angehörigen, die von den Flüchtlingen in Afghanistan zurückgelassen werden mussten. Auch denen müsse Deutschland jetzt helfen. "Weil sie Demokratinnen und Demokraten sind, und keine Messerstecher", sagte Breitenbach in Richtung der AfD. "Weil es Menschen sind, die um ihre Freiheit kämpfen, um die Freiheit ihrer Töchter. Das sind die Menschen, die hierherkommen."
Sendung: Inforadio, 02.09.2021, 14 Uhr
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