Prozessbeginn in Brandenburg/Havel - Angeklagter KZ-Wachmann will sich nicht zu Vorwürfen äußern

In Brandenburg/Havel hat der Prozess gegen einen ehemaligen Wachmann im KZ Sachsenhausen begonnen. Dem 100-Jährigen wird Beihilfe zum Mord in mehr als 3.500 Fällen vorgeworfen. Der Angeklagte schweigt zu den Vorwürfen.
Im Prozess um die Massentötungen im damaligen Konzentrationslager Sachsenhausen will sich der angeklagte ehemalige Wachmann der SS nicht zu den Vorwürfen äußern. Dies erklärte sein Verteidiger Stefan Waterkamp am Donnerstag beim Auftakt des Prozesses unter strengen Sicherheitsvorkehrungen in Brandenburg/Havel.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann als Mitglied einer SS-Einheit Beihilfe zum Mord in 3.518 Fällen in der Zeit von Januar 1942 bis Februar 1945 vor.
Anklage verlesen
Sein Mandant wolle sich aber am Freitag zu seinen persönlichen Verhältnissen äußern, soweit dies nicht die Vorwürfe betreffe, erklärte der Anwalt.
Bei der Verlesung der Anklage hatte Staatsanwalt Cyrill Klement ausführlich die systematischen Tötungen von Tausenden Lagerinsassen während der Jahre 1941 bis 1945 beschrieben.
Dazu gehörten Massen-Erschießungen in speziellen Anlagen, Vernichtungsaktionen in Gaskammern und das Sterben durch Entkräftung und Krankheiten. "Der Angeklagte unterstützte dies wissentlich und willentlich zumindest durch gewissenhafte Ausübung des Wachdienstes, die sich nahtlos in das Tötungssystem einfügte."
21 Prozesstage bis Januar vorgesehen
In die Zeit, in der der Angeklagte in Sachsenhausen im Dienst war, fällt unter anderem der Mord an 71 niederländischen Widerstandskämpfern, die Erschießung von 250 "jüdischen Geiseln" als Vergeltung für einen Anschlag auf eine NS-Ausstellung in Berlin, der Beginn der Deportation jüdischer Häftlinge nach Auschwitz. 1943 sei in Sachsenhausen dann auch eine Gaskammer installiert worden. Erbaut wurde das Konzentrationslager im Sommer 1936. Insgesamt waren hier bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 mehr als 200.000 Menschen inhaftiert.
Für den Prozessauftakt am Donnerstag war nur die Verlesung der Anklage geplant. Bis in den Januar hinein sind weitere 21 Prozesstage vorgesehen. Der Angeklagte sei nur bis zu drei Stunden am Tag verhandlungsfähig. Der Prozess sei auch deshalb von Neuruppin in die Nähe seines Wohnortes in Brandenburg an der Havel verlegt worden, sagte eine Gerichtssprecherin: "Eine kürzere Anfahrt führt dazu, dass mehr Zeit für die Hauptverhandlung zur Verfügung steht."
Anwälte: Justiz hat Aufarbeitung zu lange vernachlässigt
An dem Prozess nehmen nach Angaben des Nebenklägeranwalts Thomas Walther 16 Nebenkläger teil, darunter sieben Überlebende des Konzentrationslagers und neun Angehörige von Opfern. Er vertritt nach eigenen Angaben elf von ihnen. Die deutsche Justiz habe die Aufarbeitung der NS-Verbrechen jahrzehntelang vernachlässigt, so Walther. Für die Nebenkläger sei das Verfahren ungemein bedeutsam. "Sie werden dort gehört werden und das ist bislang nicht genug geschehen."
Auch Stefan Waterkamp, der Verteidiger des Angeklagten, erklärte, das Verfahren sei zwar rechtsstaatlich korrekt, komme aber viel zu spät. "Es hätte viel mehr Frieden und Gerechtigkeit geben können, wenn wir das in der 1970er, 80er und 90er Jahren gemacht hätten", meinte er. Denn dann hätten noch viel mehr Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen werden können. "Und das hätte zu einer viel umfassenderen Aufarbeitung geführt."
Sendung: Inforadio, 07.10.21, 12:00 Uhr